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Beiträge von SALOME
SALOME: Der Zufall ist Begehren.
SALOME: An Vorbestimmtheit glaubte ich auch. Ich
war sogar davon überzeugt, daß es für jeden
Menschen nur einen einzigen Partner geben könne,
der mir 'von Ewigkeit her' bestimmt gewesen wäre.
Ich liebte ihn schon, bevor ich ihn kannte.
SALOME: Das stimmt nicht. Bei dir zu Hause hängen
Bilder von Brigitte Bardot, Catherine Deneuve und
Isabelle Adjani, alles Filmstars, die durch ihre
Unerreichbarkeit und Künstlichkeit glänzen. Kalte
Sterne am Firmament.
SALOME: Es gibt den Zauber einer schönen Stimme,
die vom Nebenzimmer durch die trennende Tür dringt
und die Aufmerksamkeit erregt. Hector glaubt, daß
sein sonorer Baß die Frauen betört.
SALOME: In der Mythologie ist der Blick ein
Machtinstrument. Er tötet, fasziniert, erschlägt
und verführt. Der Blick des anderen gleicht dem
der Medusa. Er lähmt und versteinert jeden, der
sie anschaut oder den sie anschaut. So auch in der
mystischen Lyrik: "Enthülle mir dein Angesicht und
laß mich am Blitz deiner Schönheit sterben."
SALOME: ...und Angst vor der Vereinnahmung, vor
der Enteignung des Selbst.
SALOME: Frauen, die hohe Absätze tragen, wissen um
die Wirkung der Hüftbewegungen...
SALOME: Es gibt jedoch Menschen, die den Mißerfolg
suchen. Denkt an die Fabel mit den Trauben, die zu
hoch hängen. Der eine bemüht sich vergeblich, sie
zu erreichen und geifert ein Leben lang danach,
während der andere sich mit dem Gedanken tröstet,
daß die Trauben vermutlich sauer sind, weitergeht
und süße Trauben findet, die ihn glücklich machen.
SALOME: Lyriker beschreiben die Liebe als
mystische Verzückung. Der Liebende hat ein hohes
Ideal und projiziert es auf das geliebte Wesen. Es
ist nicht erstaunlich, daß er das Objekt seiner
Leidenschaft überschätzt.
SALOME: Die heilige Angela von Foligno, ein Bild
von Jesus betrachtend, hörte ihn zu sich sprechen:
"Meine süße Tochter, mein Mädchen, meine Geliebte,
mein Tempel... Liebe mich, denn ich liebe dich
viel, viel mehr, als du mich lieben kannst." Als
Kind träumte ich oft, Jesus hätte mich unter
tausend Kindern ausgewählt und auf seinen Schoß
genommen. Fortan lebte ich in der Überzeugung,
einen Mann zu treffen, der - einzigartig auf der
Welt - meiner Liebe würdig war, so wie ich in
meiner Phantasie der Liebe Jesus würdig gewesen
war.
SALOME: Ohne Schönheit kein Roman, kein Film,
keine Werbung. Doch das alles interessiert uns
nicht. Wir sprechen von der Liebe, und Liebe ist
in ihrer Wahrnehmung subjektiv, weil wir es mit
einer Vision zu tun haben. Diese ist nicht nur an
unsere Blicke adressiert, sondern nimmt eine
tiefere Wahrnehmung in Anspruch. Sie verfügt über
unser ganzes Sein.
SALOME: Der Begriff der Schönheit ist flüchtig und
zudem veränderlich in Raum und Zeit. Denkt an die
Größe des Busens. In wirtschaftlicher
Wiederaufbauzeit üppig wie bei Marilyn Monroe oder
Anita Ekberg, in den sechziger Jahren flach wie
bei Twiggy. Und heute wird wieder mit der
weiblichen Potenz geprotzt.
SALOME: Ich habe Männer mit Worten erschlagen.
Jahrhunderte französischer Literatur steckten
dahinter. Durch die erotische Kraft des Erzählens
erhoffte ich, den Mann zu entwaffnen. Zugleich
hielt ich ihre ungestümen Gefühle in Schach, die
Worte boten mir Schutz.
SALOME: Ich lernte einmal einen sehr attraktiven
Mann kennen. Als er lächelte, sah ich an der Seite
eine Zahnlücke wie bei meinem Vater. Damit war die
Faszination erloschen.
SALOME: Ähnlichkeit kann erfrischend sein. Ich
habe einmal innerhalb einer Dreierbeziehung
versucht, mich von dem Jesusbild und der
Komplementarität zu befreien, die ich so lange
ersehnt hatte. Der andere Mann war genau das
Gegenteil meines Partners: Er hatte dunkle Haare
und eine dunkle Haut. Er sah aus wie ein Zigeuner,
wie ein Bruder aus einem früheren Leben. Daraus
entstand eine Art Geschwisterliebe.
SALOME: Ich kenne auch beides, die Suche nach dem
Ähnlichen und die Suche nach dem Fremden. Für
jeden von uns ist die Landschaft eine Verlängerung
unseres primären Narzißmus. Ich entschied mich
schließlich für Landschaften, die mich von meiner
Kindheit lösten. Im Ausland suchte ich nach einem
anderen Bild, nach einer anderen Sprache. Alle,
die sich in Ausländer verliebt haben, kennen das.
Sie lieben im anderen die Fremdheit und das
Mysteriöse, nicht die Ähnlichkeit oder das
Vertraute. Dieses Wagnis ist ein Abenteuer, das
nie enden will.
SALOME: Wir reden jetzt nicht über Abenteuer. Der
Wählende antizipiert die Beziehung. Wenn er
erfahren ist, weiß er die feinen Hinweise zu
deuten: unsicher fliegende Blicke in
unübersichtlichen Gruppensituationen, Schwung oder
Stocken in der Stimme, Zurückgezogenheit oder
Aufgeräumtheit inmitten der anderen, sichtliches
Wohlbefinden oder ängstliches Auf-der-Hut-Sein:
alles Hinweise auf mögliche Verhaltensweisen in
einer Partnerschaft.
SALOME: Manche Muttersöhnchen suchen sich eine
charakterschwache Frau, um sich gegen die
mütterliche Herrschaft aufzulehnen. Das werden
später die Haustyrannen.
SALOME: Liebe kreist um den eigenen Bauchnabel.
Man sucht und hofft, die eigene Vollendung mit
Hilfe des anderen zu erreichen. Beantwortet die
Frage: Wollt ihr den Partner oder den
Prestigezuwachs? Könnt ihr den Partner nahtlos in
eure Welt einfügen? Geht ihr das Risiko ein,
enterbt zu werden? Verzichtet ihr auf ein
Zerwürfnis mit der Familie und lehnt die
Mesalliance ab? Wenn ihr die Fragen ordnungsgemäß
beantwortet, habt ihr eine konservative Liebesform
gewonnen.
SALOME: Wir sprechen die ganze Zeit von Prägungen
und vergessen die Gleichgültigkeit, die
Beliebigkeit. Geeignete Bedingungen vorausgesetzt,
kann jeder Liebe induzieren. Stendhal beschreibt
dazu eine vergnügliche Szene: "In einer völlig
gleichgültigen Seele, in einem jungen Mädchen, das
in einem isolierten Herrenhaus in der tiefsten
Provinz lebt, kann das kleinste Erstaunen eine
kleine Bewunderung auslösen, und wenn sich dann
die leichteste Hoffnung hinzugesellt, wird hier
die Liebe geboren."
SALOME: Es folgen die Krisen, in denen die
Variationen der Lebenswege erprobt werden. Es ist
faszinierend, was das Leben aus atemberaubenden,
mitreißenden und lustvollen Begegnungen macht. Die
Versöhnungen entscheiden, ob der andere doch der
richtige war.
SALOME: Wie Madame Bovary an ihrem Fenster, bis
der Verführer die Szene betritt...
SALOME: Wer sich von Ängsten schrecken läßt, wird
natürlich kein Frauenheld. Er bekommt nie den
professionellen Blick dafür, welche Frau für seine
Vorstöße empfänglich ist und welche nicht.
SALOME: Nein, ich bitte dich! Das war kein
Casanova, sondern ein Don Juan. Casanova war erst
zufrieden mit sich selbst, wenn er die Geliebte
des Augenblicks beglückt hatte. Er war zwar weder
für die Ehe, noch für Familie oder Treue
geschaffen, aber er liebte die Liebe und deren
Vertreterin: die Frau. Für Don Juan hingegen war
die Frau nur eine Beute.
SALOME: Natürlich. Casanova verehrte die Frauen in
seinem Innersten, alle Frauen. Er war der perfekte
Liebhaber. Was solche Männer so faszinierend
macht, ist ihr Sinn für die Weiblichkeit. Im
Grunde sind sie heimliche Lesben.
SALOME: Das trifft auch für das Phänomen Madonna
zu: postmoderne Verführerin par excellence,
Meisterin in der Kunst der Stilisierung. Durch das
Kokettieren mit Bisexualität, mehreren Partnern,
Transvestismus und Sadomasochismus verwischt sie
die Grenzen zwischen Mann und Frau. Sie nennt das
geschlechtslosen Sex, weil geschlechtsloser Sex
nicht beschränkt. Ihr Körper ist voll sexueller
Zeichen und Aufforderungen, aber er bleibt
unberührbar, selbstbezüglich, nichts als leere
Schablone für ihre diversen Chamäleon-Häute.
SALOME: Ist ein Jäger ein Mann, der gern Hasen
ißt? Die Lust besteht doch darin, ihn zu erlegen.
Der Mythos von Don Juan ist die perfekte
Illustration des Verführers, der im Grunde die
Frauen haßt. Er verachtet sie, obwohl er sie nicht
entbehren kann. In diesem Sinne ist er der
Anti-Casanova, ein Krieger. Das wichtigste Merkmal
bei Don Juan ist die Rivalität zu den anderen
Männern, zu den Männern der Frauen, die er begehrt
und die er an die Wand zu spielen versucht.
SALOME: Wenn ich Verführung höre, denke ich an das
Lied der Sirenen. Der Tod tritt ins Spiel. In der
Verführung geht es darum, den anderen wahnsinnig
zu machen. Das Liebesspiel eines Don Juan ist
grausam, denn er will weder lieben noch verwöhnen,
weder dem anderen gefallen noch geliebt werden.
Sein Geheimnis ist die Beherrschung des Scheins,
die ausgefeilte Konstruktion, in der sich das
Begehren des anderen verliert. Seine Verführung -
oder seine Macht - besteht darin, den anderen
glauben zu lassen, daß er Subjekt des Verlangens
ist, ohne in die eigene Falle zu gehen.
SALOME: Er verhält sich wie ein maskierter
Stratege. Er nähert sich ihr respektvoll,
schmeichelt ihr, heuchelt Leidenschaft. Einmal am
Ziel angelangt, genießt er die dreifache Qual der
Frau: sie zu beschämen, sie bloßzustellen und sie
am Ende zu verlassen. Er zieht sich zurück, und
die Frau ruft nach ihm. Er ist der nährende Stoff,
die Droge, die er häppchenweise dosiert, bevor er
alles zurücknimmt und sie auf Entzug setzt.
SALOME: Eine Mutter, ein Spiegel.
SALOME: Dir seine Weiblichkeit und Schönheit
aneignen... Das entspringt schon der Verführung
als Strategie, um die Andersartigkeit zu wecken,
die in uns schläft. Diese Spaltung kenne ich auch,
zwar nicht zwischen schön und häßlich, sondern
zwischen gut und böse, blond und dunkel. Das war
fast krankhaft. Früher konnte ich mit blonden
Frauen nicht umgehen. Für mich war das Blonde das
Weibliche und Engelhafte, und das war mir bei
einer Frau zuviel. Blond und Mann fand ich
vollkommen, jenseits von Gut und Böse. Lucia hat
recht: Die Weiblichkeit im Mann ist das Höchste.
SALOME: Die Erotik über Schleimhautkontakte kommt
ohnehin aus der Mode. Das ist in AIDS-Zeiten
adäquat. Die Sozialforscher sprechen von einer
Onanisierung des menschlichen Trieblebens.
SALOME: Wie in Soderberghs Film Sex, Lügen und
Videos. Der Held ist nicht imstande, eine
wirkliche Frau zu lieben. Er onaniert, während er
ihren sexuellen Bekenntnissen zuhört, die er auf
Video aufgenommen hat.
SALOME: Für mich der Mund und die Worte, die
daraus sprühen, das Lachen.
SALOME: Verführer, Männer wie Frauen, verstehen,
es zu erscheinen und wieder zu verschwinden, sich
zur Hälfte hinzugeben, sich in ein Geheimnis zu
hüllen und als Spiegel der Phantasie zu dienen,
kurz: sich unantastbar zu machen. Hier wird die
Verführung in der Verleugnung deutlich, da ja die
Herausforderung ein wesentliches Element der
Verführung ist.
SALOME: Gelegentlich hat jemand versucht, meine
Widerstände mit Alkohol hinwegzuschwemmen.
SALOME: Besser als Hunde sind Kinder. Der Sohn
eines Freundes war mit sechs Jahren in der Lage,
im Café auf Anhieb diejenige herauszufinden, die
seinem Vater gefiel. Nach wenigen Minuten saß er
der Schönen auf dem Schoß und zitierte seinen
Vater herbei.
SALOME: Ich kenne diese Masche sonst nur von
Männern, die jeder Frau systematisch die gleichen
Geschenke machen. Dann findet man bei den
Vorgängerinnen die gleichen Ohrringe, die gleichen
Bilder. Vermutlich haben sie eine Schablone im
Kopf und projizieren dieses Bild auf ganz
verschiedene Frauen.
SALOME: Und dennoch sind die Wiederholungen in der
Liebe unerträglich. Am einfallsreichsten ist man
vielleicht in der Jugend. Mit zwölf habe ich in
der Schule Ohnmachten fingiert, ganz im Sinne der
literarischen Schwindsucht. Leider beugten sich
immer die Falschen über mich.
SALOME: Aber das alles sind nur die weniger
effizienten Varianten des italienischen
Grundmodells: der allabendlichen Passeggiata, zu
der die ganze Stadt sich trifft und wo die Blicke
rasen. Dort läuft Anmache zu zweit, mit einem
Freund oder einer Freundin. Ein Auftritt im Duo
ist lebendiger und attraktiver als die cool
starrende Solo-Anmache.
SALOME: Aber nicht für Frauen allein. Männer
glauben einem doch fast alles.
SALOME: Der Brief hat den Wert eines Fetischs. Er
ist das Symbol des angebotenen Sexus, die
Kompensation einer Abwesenheit.
SALOME: Einspruch!
SALOME: Oder einer Flugreise. Manche Männer quälen
mit ihrem langweiligen Geschwätz.
SALOME: Schönheit ist nicht nur eine Kategorie der
Ästhetik. Die visuelle Wahrnehmung, das Sehen an
sich, unterliegt Veränderungen. Wir sehen häufig
mit den Augen eines anderen. Wenn der andere -
eine Person, eine Gruppe, eine Gesellschaft -
großen Einfluß hat, wird die Schönheit zum
Gegenstand zwischenmenschlicher Interaktion, wobei
der eine sich der Macht der anderen fügt. Der
Mensch und im besonderen die Frau verfügt nicht
frei über ihre Erscheinung, denn Schönsein ist
immer ein Schönsein-für, ein
Aus-sich-Heraustreten.
SALOME: Die Mode- und Kosmetikindustrie lebt von
diesen Selbstzweifeln: der Auseinandersetzung mit
den eigenen Problemzonen und dem Zorn über die
Mitgift der Natur, wenn die Abweichungen von den
Standardvorstellungen zu augenfällig sind.
SALOME: Je älter man wird, desto weniger
funktioniert die Strategie des Rückzugs. Das
zunehmende Unsichtbar-Werden kann vernichtend
sein, wenn eine Frau ein Leben lang den
anerkennenden Blick gesucht hat, der ihr
bestätigt, daß sie gefällt und begehrenswert ist.
SALOME: Schön wär's. Ich habe eher den Eindruck,
daß der weibliche Erfolgs-Mythos einen
machistischen Rückschlag hervorrufen wird. Eine
Frau, die sich offen zu ihrer Sexualität bekennt
und sie auslebt, wird nach wie vor als
furchterregend eingestuft. Das Grundmodell des
immer potenten Machos liefern uns die Bodybuilder
der Werbebranche mit ihrem gefährlichen
Männlichkeitsmythos. Auch die dandyistische
Handlung suggeriert männliche Vollkommenheit. Der
einzige Haken dabei ist, daß die Frau für den
Dandy unentbehrlich ist. Er findet alles, was der
Frau bis heute zustand, in sich selbst: das
Modische und Musische, das Narzißtische und das
Ästhetische. Der neue Mann genügt sich selbst.
SALOME: Nein! Liebe ist nicht auf Sexualität
allein zurückzuführen. Das Lustempfinden geht über
den rein biologischen Triebzusammenhang hinaus. Es
gehört dem Bereich des Psychischen ebenso sehr an
wie dem des Körperlichen.
SALOME: Es soll diese Verschmelzung herstellen,
erreicht sie aber nie. Das Paradoxe und Traurige
der Sexualität liegt darin begründet, daß ihre
vollkommene Erfüllung unmöglich ist. Sobald der
Akt beendet ist, trennen sich Partner und Körper
aufs neue. Der Körper wird wieder fremd, lebt für
sich statt für mich.
SALOME: Noch einmal zu Arthur: Mir ist die
Beschränkung der gemeinsamen Körperlichkeit in der
Liebe auf den Sex zu einfältig. Natürlich sind
zwei Liebende auch zwei liebende Körper. Aber die
körperliche Beziehung in der Liebe ist viel zu
umfassend, als daß sie sich auf das Genitale
zurückführen ließe. Es gibt eine Reihe von
intensiven körperlichen Kontakten, die für die
Liebe grundlegend sind, jedoch nichts mit Sex zu
tun haben. In vielen Situationen geht es nur um
Nähe: daß man sich berührt, streichelt, umarmt, um
Geborgenheit zu geben und zu spüren. Dann dreht es
sich nicht um die Körper an sich. Die Körper
stellen das her, was die Liebenden spüren wollen:
Anwesenheit und Nähe.
SALOME: Das primäre Begehren wurde in den Zweck
der Fortpflanzung gestellt und unterdrückt. In der
Liebe setzt es sich wieder durch. Die Zärtlichkeit
fließt in mir wie ein Saft, sie gibt mir meine
Wurzeln zurück.
SALOME: Sex ist vor allem ein endlos verspieltes
Spiel. Am schönsten sind lange Vorspiele, ganz
ohne Ziel vor Augen.
SALOME: Ich finde Arthurs venerischen Appetit
gesund, aber ein wenig roh. Diese Art Sexualität
ist charakteristisch männlich. Außerdem
unterstellst du, daß sublimierte Begehren
geringere Befriedigungen bieten als die rohen. Der
Mensch aber besteht in der Sublimierung. Du willst
zurück zum Animalischen, zum Primären – du suchst
Dionysos. Das ist ein gefährliches Unterfangen und
vielleicht auch ein illusorisches.
SALOME: Was bedeutet dieses Fieber, das dich bis
zur Raserei treibt, wenn nicht eine explosive
Äußerung des Strebens nach Auflösung der Dualität
und Sehnsucht nach Symbiose.
SALOME: Für mich ist das Begehren selbst viel
lustvoller als der Akt. Dazu gehört wesentlich die
Sprache. Das Begehren, das sich in Worten äußert,
die man sich zuflüstert. Die plötzlich alles
anstoßen, einen sexuellen Taumel auslösen. Es
können viele Worte sein oder nur ein einziges.
Manchmal ist es nur die Stimme, der bestimmte Ton,
die Schwingung.
SALOME: In der Erotik verändert sich die Funktion
der Sprache. Die Sprache findet ihre Wurzeln
wieder, kehrt zurück zum Augenblick ihrer
Entstehung. Unartikuliert ist sie Schrei und
Lautmalerei.
SALOME: Am Anfang ist man unersättlich, das hat
aber nicht unbedingt etwas mit Sexualität zu tun.
Es geht um eine Obsession, eine hektische Sucht,
immer, überall beim anderen zu sein, ohne
Unterlaß. Man will den anderen mit sich bedecken,
alle Distanzen überwinden. Es gibt eine Angst,
nicht genug zu erfahren, nicht alles zu entdecken.
SALOME: Irgendwann kann dir das Körperliche auch
zuviel werden, zuviel Nähe und Verschmelzung
bedeuten. Gerade in einer längeren Beziehung sind
Distanzierungen wichtig. Die Anorgasmie der Frau
wie auch bestimmte Formen der Impotenz beim Mann
entstehen aus der Furcht, ganz und gar vereinnahmt
zu werden.
SALOME: Man muß Tricks finden, um sich den Sex
aufregend zu erhalten. Sexualität muß man sich
erarbeiten. Ein Kniff sind Unterbrechungen,
kürzere oder längere Phasen, in denen man sich
zurückhält. Man kann den Sex inszenieren.
SALOME: Das Wesentliche im Sex ist die Vielfalt.
Die Zeit der Vorherrschaft des Genitalen ist
vorbei. Das heißt aber: Wir haben veränderte
Körper. Die Losung müßte lauten: 'polymorphe
Sexualität'. Frauen waren noch nie so zentriert um
ihr Geschlecht. Im Grunde ist jede Frau von Natur
aus homosexuell.
SALOME: Ich finde den 'wilden Sex' sehr männlich.
Liebkosen ist eine Art, sich auf die Frau
einzulassen, allgemein auf das Weibliche
einzugehen, weil Frauen einen ganz anderen
Rhythmus haben als Männer. Frauen brauchen viel
länger, um zum Orgasmus zu kommen. Das Vorspiel
ist eine Spiegelung der Sexualität selbst.
SALOME: Das meinte ich nicht. Es ist die Frage, ob
man das Vorspiel männlich-kurz oder
weiblich-ausgiebig praktiziert. Die langen
Vorspiele in den romanischen Ländern sind ein
Eingehen auf die weibliche Sexualität.
SALOME: Ich mache auch keine Trennung zwischen
Mann und Frau, sondern zwischen männlich und
weiblich. Diese Anteile weist jeder auf. Es ist
kein Zufall, daß die deutschen Frauen so auf
südländische Männer abfahren. Die haben nicht mehr
Sexappeal. Da geht es nicht um Sex, es geht um die
Verführung durch Worte.
SALOME: Sondern daran, wie die Erziehung die
Jugendlichen mit Sexualität konfrontiert. Der
Koitus hat nichts Natürliches. Es ist ein
historisches Produkt, die Festschreibung eines
bestimmten Machtverhältnisses zwischen Mann und
Frau.
SALOME: Daher läßt die Werbung die Frau hinter dem
Schleier oder dem Schador verschwinden. Die
Auflösung ihrer Sexualität sieht man auch im
anorektischen Körperbild der extrem dürren
Mannequins. In der Modebranche kursiert sogar das
Bonmot, die beste Frau sei der Transvestit! Wohin
soll das führen!
SALOME: Ein Frauenkörper fühlt sich viel weicher
an. Das war immer mein Problem mit Männern. Selbst
die kleinen Details, zum Beispiel die Ohrläppchen.
Oder nimm die Brüste. Wie soll ich bei einem
behaarten Mann meine Sehnsucht nach glatter Haut,
nach diesem Weichen und Fülligen stillen. Es
verlangt der Frau eine enorme Überwindung ab, den
Mann als ein erotisches Objekt wahrzunehmen.
Schließlich war die Mutter das erste Liebesobjekt,
an dem alles Begehren entfacht und ausgebildet
wurde.
SALOME: Lucia hat eine starke männliche
Komponente. Die Phantasie, Grenzen im dunklen Raum
zu sprengen, kenne ich eher von Männern. Sie
fühlen sich im unpersönlichen Dunkel des Instinkts
beruhigt, von der Last ihrer festgelegten
Identität befreit. In der Anonymität halten sie
sich in einem undifferenzierten Leben und in der
Erinnerung ihrer gesichtslosen Vergangenheit auf,
als sie noch eins mit ihrer Mutter waren.
SALOME: Du mußt das als Metapher verstehen. Die
Geschlechter nähern sich einander an, vermischen
sich, sie werden androgyn. Es ist eine
Inszenierung der Geschlechtsrollen, die sich
untereinander vertauschen können. Rebecca ist im
Trend, das siehst du in sehr vielen Video-Clips
und in der Werbung. Die Schwulen in Italien haben
das immer schon inszeniert. Der griechische
Uranuskult, der noch nach dem Zweiten Weltkrieg in
Neapel von den Transvestiten praktiziert wurde,
imitiert den Akt des Gebärens.
SALOME: Man kann sich natürlich für sich selbst
anziehen. Das ist dann eine Form der Autoerotik.
SALOME: Ja, ja, das ist eben das umgekehrte
Klischee: Der richtige Mann nackt und die Frau in
Reizwäsche. Ich bin da sehr zwiespältig. Die
Designer von Männerunterwäsche achten auf
Sexappeal, doch leider verwenden die meisten
Männer wenig Zeit und Sorgfalt auf ihr Äußeres.
Einige Bodysuite sind doch ausgesprochen erotisch.
Und lange Unterhosen hat sogar James Dean
getragen. Die Dessous machen den Mann unantastbar.
Trotzdem trage ich keine Reizwäsche. Mieder,
Strapse... Solche Accessoires verbinde ich nach
wie vor mit Unterwürfigkeit und Selbstzucht.
SALOME: Arthur lebt die Verschmelzungsphantasie in
der körperlichen Intimität. Jede Frau wird
zugeben, daß die größte Mystikerin, Theresa von
Avila, den höchsten Grad von Lust in der
sinnlichen Liebe wunderbar beschrieben hat.
SALOME: Ein kleiner Tod.
SALOME: Das sind Bräuche aus der Steinzeit. Man
nahm und hielt gefangen, was man an sich binden
wollte.
SALOME: Die Eifersucht erfindet Geschichten. Sie
macht die Mücke zum Elefanten. Ihre
Einbildungskraft liegt unentwegt auf der Lauer
nach diesen Mücken, die für die meisten anderen
noch nicht einmal zu sehen sind.
SALOME: Viele Menschen können sich keine Liebe
vorstellen ohne Eifersucht. Keine Eifersucht zu
empfinden, das heißt, nach ihrer Auffassung, nicht
zu lieben. Deswegen suchen sie sich Partner aus,
die sie eifersüchtig machen.
SALOME: Ich brauche auch sehr gewichtige Gründe,
um Eifersucht zu empfinden.
SALOME: In dem Wort Eifersucht ist das Wort Sucht
enthalten, die Sucht, sich zu ereifern.
Pathologisch wird die Eifersucht erst, wenn sie
einen zwanghaften Charakter annimmt. Für mich ist
ein eifersüchtiger Mensch jemand, der keinen Grund
hat. Aber was berechtigt zur Eifersucht und was
nicht?
SALOME: Das hängt davon ab, welche Rolle der
frühere Partner gespielt hat.
SALOME: Das bekommst du nie heraus. Ist Eifersucht
überhaupt etwas Natürliches?
SALOME: Ich verstehe, was du meinst. Für mich gibt
es nur eine Art, mit der Eifersucht umzugehen: die
Souveränität. Darin liegt für mich die einzige
Hilfe. Ich will das beste daraus machen, ich will
verhindern, daß sie mich vernichtet.
SALOME: Das erinnert mich an eine Frau, die immer
wieder solche Konstellationen wählte. Entscheidend
war für sie, daß sie sich in das
Verlassenheitsgefühl der anderen Frau, mit der der
Mann eine Beziehung hatte, hineinversetzte. Sie
erzählte einmal, daß sie dieses Gefühl von
Verlassenwerden und Eifersucht in der Liebe als
eine Art Keimzelle für einen immer wieder
möglichen Neuanfang brauchte. Ohne diesen könne in
ihr keine Liebe entstehen. Die Idee dahinter
gefällt mir, schade nur, daß sie von dieser
Konstellation abhängig blieb, daß es ihr nicht
gelang, neue Anfänge zu säen.
SALOME: In der Phantasie wird die andere Frau als
vollkommen imaginiert und mit allen Attributen der
Weiblichkeit ausgestattet. Deshalb will ich an der
Macht dieser anderen Frau teilhaben. Das ist eine
Suche nach dem eigenen Selbst im Ähnlichen.
SALOME: Diese Anverwandlung ist mir bekannt. Ich
kenne sie als Unfähigkeit, eine Frau abzulehnen,
die meinen Geliebten liebt. Weil sie ihn liebt,
haben wir etwas Gemeinsames. Wir sind Schwestern.
Ich habe früher wegen zwei Frauen gelitten, aber
ich habe sie auch geliebt. Das ist meine Art, die
Eifersucht zu verdecken, die bösen Geister zu
beschwören.
SALOME: Es gibt dann etwas, was uns verbindet: die
Liebe zu ihm.
SALOME: Simone de Beauvoir ist noch weiter
gegangen. Als Sartre sich in Olga verliebte, wurde
die Beauvoir zu seiner schlimmsten Rivalin. Ein
paar Jahre später machte Sartre Simones Schwester
Wanda zu seiner Geliebten. Zufall?
SALOME: Es ist keine Identifikation, sondern der
Versuch, vom Zustand einer Frau, die noch nicht
ist, zu dem Zustand einer anderen Frau
überzugehen, die für vollkommen gehalten wird. Der
Einsatz in diesem Konflikt ist nicht ungefährlich,
das Gefühl der Leere, das Gefühl, keinen Körper zu
haben, behält meist die Überhand. Eine
Möglichkeit, die Eifersucht zu sublimieren, liegt
gewiß darin, von der anderen Frau Besitz zu
ergreifen.
SALOME: Auch eifersüchtige Menschen sind
verzweifelt.
SALOME: Eine Lebendigkeit vielleicht, die auf der
Kippe steht und in Formen des Wahnsinns
abzugleiten droht. Dann treibt das subjektive
Empfinden tiefer Unmittelbarkeit und Echtheit die
Gefühle in eine wahnhafte Raserei hinein.
SALOME: Eifersucht beruht immer auf
unausgedrückten, projizierten Wünschen. Mir kommt
die Geschichte eines jungen Mannes in den Sinn,
der zu schüchtern war, um mit seiner Freundin zu
schlafen, seine Vorstellungen auf einen Freund
projizierte und dann eifersüchtig auf ihn wurde.
Er malte sich genau das aus, was er als seinen
eigenen Wunsch nicht zum Ausdruck bringen konnte.
SALOME: Auch eine Verabredung ohne den anderen ist
eine kleine Trennung, und mit dem Zurückkehren
steigere ich mich in die Vorstellung des
Sich-Wiederfindens hinein.
SALOME: Es kann nicht wirklich um eine Überwindung
gehen, denn dann würde ich den anderen in meinem
Inneren auslöschen. Das völlige Fehlen von
Eifersucht scheint mir nur Ausdruck einer –
vormals gewaltigen – Sprengung der Brücke zu sein,
über die ich mich zu dem Geliebten hinphantasiere.
Es macht auf mich den Eindruck, als weigere sich
jemand – und diese Weigerung beruht wohl auf
seiner Geschichte –, seiner Vorstellungskraft
bezüglich des anderen so freien Lauf zu lassen,
daß es ihm Schmerzen bereiten könnte. Lieber
besteht man auf der Sprengung der Brücke. Mir
scheint, die Eifersucht hat etwas mit dem
Freiwerden von Phantasien zu tun, die sich an dem
anderen entzünden. Insofern ist sie nicht
egozentrisch. Ich würde mir eher einen möglichst
freien, spielerischen Umgang mit diesen Phantasien
wünschen als ihre Überwindung. Sie zulassen und
zum Ausdruck bringen, um zu verhindern, daß man
von ihnen bestimmt wird.
SALOME: Diese Abgrenzung von Vater und Autorität
spricht für deinen freien Willen. Das würde ich
mehr Männern wünschen. Die meisten übernehmen
vollkommen kritiklos die Unarten ihrer Väter oder
machen sogar noch eine Tugend daraus.
SALOME: Harmonie war für mich immer
gleichbedeutend mit Tod. Liebe stellt nie
zufrieden, doch diese Unvollständigkeit gehört zum
Wesen der Liebe.
SALOME: Trotzdem glaube ich, daß das
Harmoniedenken reine Illusion ist. Niemand weiß
wirklich, ob es am nächsten Tag so weitergeht wie
bisher. Die meisten Männer verwechseln Liebe mit
Sicherheit, das ist ihr Harmoniewahn. Sobald die
Liebe sich in Richtung Harmonie entwickelt, haben
die Frauen Angst, daß es keine Liebe mehr ist,
sondern nur noch Gewohnheit. Männer fühlen sich am
wohlsten, wenn sie sicher und geborgen sind wie in
Mutters Schoß.
SALOME: Dazu möchte ich nichts sagen. Doch
Vertrautheit in Fragen der Verdauung, also im
Nichtsexuellen-Intimen, ist ein ebenso wichtiger
Punkt wie die im sexuellen Umgang miteinander.
SALOME: Mit fünfzehn sah ich, wie der damalige
Mann meiner Träume auf die Toilette ging. Es war
ein Schock. Ich wußte zwar, daß die Natur die
Märchenprinzen nicht von physiologischen
Notwendigkeiten ausnimmt, doch der Gedanke daran
war abscheulich. Als die Klotür wieder aufging,
war meine erste Jugendliebe zu Ende.
SALOME: Darum kann es nicht gehen. Trotz aller
Plauderei bleibt ein verschwiegener Rest um die
Scham, die Nacktheit. Ich finde dieses Bedürfnis
nach einer Intimsphäre – und auch seine
autoerotische Komponente – sehr schön. Ein Mann,
der dort wie ein Elefant in den Porzellanladen
einbricht, hätte bei mir keine Chancen.
SALOME: Diese wartende Realität kenne ich gut.
Mein Partner verfolgte mich in jungen Jahren bis
vor die Toilettentür, weil er sich nach mir
sehnte.
SALOME: Der Staubsauger ist ein wichtiges Element
in der Partnerschaft. Ich habe immer Todeswünsche
beim Staubsaugen. Früher bin ich mit einem Stuhl
oder einem Gegenstand auf den anderen losgegangen.
Heute sauge ich Staub, um die Todeswünsche
auszutreiben. Medea bestraft Jason, indem sie die
Kinder tötet, die sie mit ihm gezeugt hat. Kinder
habe ich keine. Also sauge ich alle Geldstücke
auf, die aus seinen Taschen fallen.
SALOME: Plötzlich beginnt die Wunde, die die Liebe
stillte, von neuem zu bluten.
SALOME: Und das in Zeiten gesellschaftlicher
Krisen und sinkenden Lebensstandards? Der
männliche Samen fungiert doch als Metapher für das
Geld. Wie mit dem Geld muß man auch mit dem Samen
in Zeiten der Rezession sparsam umgehen.
SALOME: Aber es gibt auch Kameradschaft zwischen
Mann und Frau. Wenn ich den Mann sympathisch
finde, schlage ich ihm freundlich auf die Schulter
– ohne Hintergedanken.
SALOME: Im Unbewußten eines Menschen muß es
geheimnisvolle Affinitäten geben, die bewirken,
daß zwei Personen sich wiedererkennen und Freunde
werden. Ich habe Freundschaften auf den ersten
Blick erlebt, die sich von der Liebe auf den
ersten Blick kaum unterschieden.
SALOME: Mir gefällt aber besonders der
dialektische Charakter der Freundschaft und die
wechselseitige Bereicherung. Zwei Freunde müssen
sich nicht ähnlich sein, sonst könnte ich keine
Freunde aus anderen Kulturkreisen haben.
SALOME: Wir sprechen jetzt weniger über die
Freundschaft im ursprünglichen Sinne des Wortes
als über eine Erotik, die noch ihren Weg sucht.
Das kennt man doch aus der Schulzeit. Das
zärtliche Wort, die leidenschaftlichen Briefe, die
man der Freundin schenkt, gelten eigentlich, wenn
auch unbewußt, demjenigen, auf den man wartet und
dessen Gesicht man noch nicht kennt.
SALOME: "Frauen sind einander Kameraden in der
Gefangenschaft", schreibt Simone de Beauvoir. "Sie
helfen sich gegenseitig, ihr Gefängnis zu
ertragen, bereiten sogar gemeinsam den Ausbruch
vor: Der Befreier jedoch wird ein Mann sein."
Ihrer Meinung nach sind Frauen keine Freundinnen,
sondern Komplizinnen. Andere Zeiten, andere
Sitten. Die Menschen, denen ich existentiell
verbunden bin, sind sowohl Frauen als Männer.
SALOME: Das habe ich nie mitgemacht, obwohl ich
oft mit Freunden im gleichen Bett geschlafen habe.
Die Verwirklichung einer Freundschaft zwischen
Mann und Frau ist für mich nur möglich unter der
Bedingung, daß beide sich der Notwendigkeit bewußt
sind, das Sinnliche zu sublimieren, daß sie diese
Sublimation aufrichtig wünschen und daß sie
genügend Kraft haben, sie durchzuführen.
SALOME: Ich vertrete mit der Treue keine
asketischen Ideale. Die Renaissance von Ehe und
Familie und die Rückkehr zur Keuschheit, die
gerade propagiert werden, sind mir in ihrer
Ideologie zuwider. Was mich an der
freundschaftlichen Liebe reizt, ist der unklare
zweideutige Raum, in dem sie sich bewegt und die
Fähigkeit zur Vergeistigung, die sie erfordert.
SALOME: Platonische Liebe ist kein Spiel, sie ist
bloß eine Variante der Freundschaft oder der
Liebe. Mehr noch: Die erotische Liebe selbst hat
keine Aussicht, dauerhaft glücklich zu sein, wenn
sie nicht danach strebt, zu wahrer Freundschaft zu
werden. Die sinnliche Anziehung währt länger, wenn
die Partner auch geistig verbunden sind.
SALOME: Mit meinem Partner realisiere ich die
Verschmelzung von Körperlichem und Geistigem. In
der freundschaftlichen Liebe hingegen spiegelt der
Freund nur einen oder wenige der mannigfaltigen
Aspekte meiner Persönlichkeit, egal wie wesentlich
die geheimen Affinitäten sein mögen. "Durch die
Liebe und nur durch sie realisiert sich auf einer
höchsten Stufe die Vereinigung von Wesen und
Existenz", schreibt André Breton.
SALOME: Dann muß ich mich allerdings fragen, was
Liebe überhaupt ist, welche Rolle ich als Person
spiele?
SALOME: Die Liebe durch das Leid zu erkennen, ist
das Geheimnis von Tristan und Isolde. Es genügt
Tristan, von seiner Leidenschaft zu träumen. Seine
Liebe gilt der Liebe an sich und nicht Isolde als
Person. Ihre Abwesenheit ist der Antrieb der
Sinnlichkeit, die Todessehnsucht...
SALOME: Nach der Psychoanalyse ist das Begehren
per definitionem dreieckig. Seine Intensität wird
durch das Dritte bestimmt. Die Triangulierung
allein gibt jedem die Möglichkeit, ein Feld
einzunehmen, einen Raum zu schaffen. Das Dritte
kann ein Rivale sein, ein Freund, sexuelle
Enthaltsamkeit – als Raum für sich allein – oder
die Arbeit. Allmählich ersetzt die Arbeitssucht
den Männern die Maitresse.
SALOME: Früher konnte die Beziehung zum Göttlichen
einen Raum schaffen, der über die Zweierbeziehung
hinausging. Heute sind es die Verflossenen, das
Kind, die Idole und die Mannequins. Oder aber das
Dritte fehlt. Viele Beziehungen versuchen sogar,
es auszurotten. Das Gesetz würde hier lauten: "Du
sollst keine Götter neben mir haben!" Mit dem
Konzept von Harmonie und Treue versuchen solche
Beziehungen sich abzuschotten. Für mich wäre das
tödlich. Nicht nur die Liebe, das Begehren, auch
die Möglichkeit des Sprechens, der
Auseinandersetzung bedürfen eines Aspekts, der
über die Zweisamkeit hinausführt.
SALOME: Im Grunde schlafen immer vier Personen
miteinander: zwei reale Liebende und zwei
imaginäre, hervorgegangen aus Einbildungskraft und
Begierde.
SALOME: Das erinnert mich an die Briefe von Kafka
an Felice und Milena. Fast in jedem Brief findet
man Passagen, in denen er die Geliebte um den
nächsten Brief anfleht, in dem Gefühl, ohne diesen
nichts mehr in seinem Leben zustande zu bringen.
Erst in dem Moment, in dem die Geliebte eine reale
Beziehung verlangt, tritt der Rückzug ein. Die
Liebe auf Distanz findet stets mit dem Einklagen
eines gemeinsamen Lebens von einer Seite ihr Ende:
im Rückzug des leidenschaftlichen Briefeschreibers
oder im Überdruß des Adressaten.
SALOME: Da finden wir natürlich die homosexuelle
Komponente von Jules und Jim wieder.
SALOME: In seinem Roman Ich will die Liebe der
anderen leben stellt Jean Cayrol die bewegende
Kraft einer unerwiderten Liebe dar. Solch eine
Liebe kann auch helfen, die Last einer
gewöhnlichen Existenz freudiger zu tragen.
SALOME: Ich habe mich nicht in einen anderen
verliebt, weil ich unglücklich verheiratet war. Im
Gegenteil: Die Liebesbeziehung zu meinem Mann war
von außergewöhnlich existentieller Tragweite. Wir
waren sehr jung, als wir uns kennengelernt haben.
Unzählige Hindernisse standen unserer Liebe im
Weg: die Entfernung, die Familie, die Schule, und
wir haben sie alle überwunden. Die ersten Jahre
nach diesem Leidensweg waren eine Art von
Gefühlsrausch, eine Ekstase. Das plötzliche
Auftauchen einer neuen Liebe war eher ein Versuch,
einer exzessiven Dyade zu entfliehen und einen
Bereich für mich zu suchen, in den mein Partner
nicht eindringen konnte.
SALOME: Es war kein reifer Weg. Aber damals konnte
und wollte ich nicht anders handeln. Bloß keine
Kompromisse schließen! Es wäre für mich der
höchste Verrat an unserer Beziehung gewesen.
SALOME: Eine sehr bedeutende. Neben meinem
Lebensgefährten ist er einer der Menschen, die ich
am meisten geliebt habe. Diese Liebe war zwar sehr
narzißtisch, eine Geschwisterliebe, eine
Verdopplung. Sie war völlig losgelöst von der
ersten Beziehung. Er wohnte in einer anderen
Stadt, wir sahen uns ungefähr alle zwei Monate,
und wir sprachen miteinander Deutsch, nicht
Französisch. Er war der erste richtige Einstieg in
dieses Land, in diese Sprache, die mir bis dahin
fremd geblieben war. Durch die Genese der neuen
Wörter habe ich vielleicht die Liebe und den Weg
zu anderen Deutschen gefunden. Inzwischen ist mir
die tiefe Kluft, die uns trennte, klargeworden.
Wegen der Entfernung und der Unmöglichkeit, zu
dritt zusammenzuleben, stand die Beziehung
jenseits der Realität.
SALOME: Die Geschichte ist ohne das
gesellschaftliche Umfeld der 70er Jahre nicht
nachvollziehbar. Sie wurde damals von unseren
Freunden anerkannt, es wurde applaudiert, und man
unterstützte uns. Trotzdem war es schwierig und
schmerzhaft für uns drei.
SALOME: Nicht ausbricht, sondern fremdgeht, und
das ist etwas anderes. Trotz aller Nachteile finde
ich die offene Beziehung ehrlicher und mutiger als
das heimliche Fremdgehen. Mein Großvater
verausgabte sich mit Maitressen, während seine
Ehefrau zu Hause Selbstverzicht übte. Diese
Doppelmoral ist doch einfallslos, fade und
armselig.
SALOME: Ich möchte sie auch nicht missen. Noch
heute bin ich mit dem anderen Mann befreundet,
unsere Liebe wurde vor langen Jahren platonisch.
SALOME: Du vergißt die folie deux als
Einverleibung, als ein Höllenspiel in einer
gefährlichen Unwirklichkeit, als gegenseitiges
Verzehren, sich auszehren. Vor allem symbiotische
Beziehungen laufen Gefahr, in einen negativen
Irrsinn abzugleiten. Ich möchte Euch eine kurze
Passage von Unica Zürn vorlesen: "Norma empfindet
ihre Einverleibung durch Flavius wie ein
Entweichen ihres Knochenmarks, wie das Verströmen
ihrer Adern und das Schwinden ihrer Sinne. Flavius
löst zuerst das Weiche aus Norma: ihre Angst, ihre
Zutraulichkeit, ihre Zärtlichkeit, ihre
Schlafsucht, ihre Mütterlichkeit, ihre
Kindlichkeit, ihre Spaßhaftigkeit, ihre
Traurigkeit, ihr Lächeln, ihre Tränen und das
Innere ihrer Arme. Alle diese schwarzen, süßen
Schlucke schluckt er mit zunehmendem Durst
herunter. In ihrem Haus gerät Norma in ihren
einsamsten Zustand: sie wird von sich selbst
verlassen und der Trinker bleibt unempfindlich
gegen ihre Versuche, sich vor ihm zu bewahren."
Hier drückt sich ein Aspekt heillos verzwickter
Zweierbeziehungen aus, und in gewisser Weise
besteht auch hier eine folie deux, beide Seiten
sind an diesem grausamen Szenario beteiligt.
SALOME: Trotzdem hat Tagebuchschreiben auch etwas
mit Einsamkeit zu tun. Es kann eine
wiederherstellende Funktion haben, darf aber einen
Menschen nicht ersetzen, erst recht niemanden, mit
dem man zusammenlebt.
SALOME: Narzißmus hat etwas mit Einsamkeit zu tun.
Das Schreiben bleibt ein Ersatz für die verstummte
Sprache. Alles, was wir schreiben, ist abwesend.
SALOME: Ich bestreite das nicht. Ein Tagebuch zu
schreiben, ist sicher eine konstruktive Art, sich
einen eigenen und geheimen Raum zu schaffen.
Dennoch verhindert weder Liebe noch Freundschaft
die Einsamkeit. Wir alle haben Schattenzonen,
unaussprechliche Gedanken, Versuchungen,
Entmutigungen, Haß und Ekelgefühle, Auflehnungen,
eine Menge Verbote. Diesen müssen wir uns ohne
Hilfe von außen stellen.
SALOME: Dann ist es wie auch sonst im Leben: Die
Geschäftsgrundlage fällt weg, der Kontrakt ist
nichtig, und man trennt sich.
SALOME: Vor allem die Erwartungen und Perspektiven
des Lebens sind unvereinbar. Die jugendliche
Schönheit wird zur Gefahr, weil sie die Grenzen
der eigenen Existenz aufzeigt. Was Jungbrunnen
war, wird zur vorzeitigen Alterung. Da gründet der
Wunsch, die Vitalität in einem jüngeren Partner zu
brechen.
SALOME: Der Liebende umgibt sich mit der Kälte
eines Marmorsteins und das lebendige Gespräch, von
dem die Liebe lebte, erstarrt im eisigen Schweigen
des stehenden Augenblicks, der zur Ewigkeit zu
gerinnen droht.
SALOME: Deswegen lege ich Wert auf Streit. Szenen
können auch ein Schutz gegen das Eindringen des
anderen und gegen die Fusion sein. Sie sind häufig
ein Mittel, sich zu versichern, daß wir beide sehr
verschieden sind und uns auf einer bestimmten
Ebene hassen können. Der Zugang zu einem
ambivalenten Verhältnis ist möglich, ohne die
Liebe des anderen zu verlieren.
SALOME: Ich kenne Frauen, die für ihren Mann
Strapse anlegen. Wenn es von mir verlangt würde,
dann würde bei mir die Krise wirklich ausbrechen.
All diese künstlichen Mittel sind auf die schnelle
Erregung des Mannes abgestellt. Das Künstliche muß
raus aus den Schlafzimmern. Ich erlebe die
unendliche Hast einzudringen als neurotisch. Warum
kann man nicht den Vaginismus als Sinneslust
verstehen, die sich verweigert und protestiert;
die Impotenz als eine Männlichkeit, die nicht mehr
ihre Rolle spielen will und die Prüfung ablehnt;
im vorzeitigen Samenerguß den erotischen Apparat
sehen, der sich über sich selbst lustig macht? Es
wird zuviel therapiert.
SALOME: Wenn die erotische Trockenzeit zur
Abstinenz hochstilisiert wird, tritt der Sexus in
die pubertäre Jungfräulichkeit zurück.
SALOME: Halt, so schnell geht das nicht. Ich gebe
zwar zu, daß für einige die Sexualität ein
Hauptkriterium für das Gelingen der Beziehung ist,
aber in Krisenphasen spielen immer mehrere Gründe
eine Rolle. Wir sollten sie nicht nur in der
Sexualität suchen. Da sind zum Beispiel die ganzen
Unarten des anderen, die sich erst nach Jahren des
Zusammenlebens zeigen.
SALOME: Überwältigend ist sie schon, aber es muß
nicht in jedem Fall zur Trennung führen.
SALOME: Hinter diesen Warnungen steckt nicht nur
ein weiser Ratschlag sondern auch Neid. Man soll
nicht das leben, was den anderen selbst nicht
gelungen ist. Als junges Mädchen habe ich oft zu
hören bekommen, daß man die große Liebe nicht
heiraten würde.
SALOME: In der Trennung wird einer bestimmten Form
der Liebe ein Ende gesetzt. Trennung impliziert
eine Veränderung des Verhältnisses zum anderen,
zum Umgang mit ihm, und zwar keine kleine, sanfte
und kaum merkliche Veränderung innerhalb des
Systems Ich-Du, sondern einen radikalen Bruch.
SALOME: Oder sind Zeichen dafür, daß man mit etwas
nicht fertiggeworden ist, keinen anderen Ausdruck
findet für das Gefühl: Ich kann nicht mehr, ich
will nicht mehr. Etwas darin bleibt unbegriffen,
unabgeschlossen.
SALOME: Das ist dir wohl zu unbequem?
SALOME: Du kannst den anderen dann wieder neu
wahrnehmen, dein Bild von ihm korrigieren und dich
in einen neuen Menschen verlieben, auch wenn es
sich noch um dieselbe Person handelt.
SALOME: Ich kenne diese vorübergehenden
Trennungen. Danach gab es einen Neuanfang, aber
mit dem Wissen darüber, was wir an den anderen und
am anderen, am Bild, das wir von ihm hatten,
verloren haben. Trennung bedeutet eben auch
Vernichtung einer bestimmten Auslegungsweise.
Danach ist man bereit, neue Interpretationen des
anderen und des gemeinsamen Lebens zu versuchen.
SALOME: In der Liebe ist der andere Zeuge meiner
Geschichte und daher Verwahrer ihrer Spuren. Er
ist nicht nur Spiegel, sondern Gedächtnis, und
zwar nicht nur der Lebensstrecke, die wir zusammen
gegangen sind, sondern auch Gedächtnis meines
Ursprungs, das heißt des positiven und
aufwertenden Selbstbildes, das ich in seinem Blick
im Moment der Begegnung gefunden habe. Indem ich
mich von dem anderen losreiße, reiße ich mich los
von den Erinnerungen, von den Spuren meines
Selbst, von einer Lebensstrecke, die mir viel
bedeutete. Ein Teil von mir selbst stirbt. Aber
die Liebe, selbst wenn sie sterblich ist, ist
wahr. Sie ist so wirklich wie das Leben selbst.
SALOME: Die Menschen trennen sich, weil sie eine
neue Idee des Verhältnisses zu sich selbst
entwickeln, und da paßt die eigene Vergangenheit
mit dem Geliebten nicht mehr hinein. Häutung. Der
andere bleibt dabei auf der Strecke, vielleicht,
weil man ihm Entwicklung auf ein neues Bild hin
nicht zutraut. Die meisten arbeiten in ihren
Beziehungen doch etwas am anderen ab, und wenn sie
sich erkannt haben und es langweilig wird, dann
trennen sie sich. Trennung könnte man beschreiben
als eine Strecke von Selbstablösungsprozessen.
SALOME: Ich habe sogar meine Briefe
zurückgefordert, ich bekam sie mit einer Schleife
wieder. Bloß keine Briefe bei dem anderen lassen.
Wenn meine Worte nicht mehr gültig sind, sollen
sie zu mir zurückkehren, damit ich über sie
verfügen, sie als Dokument meiner Vergangenheit
aufheben oder verbrennen kann.
SALOME: Und doch nur Vergangenheit, die dem
anderen sowenig wie mir selbst gehört.
SALOME: Das verstehe ich. Was ich nicht verstehen
kann, ist der Bewahrungszwang, der schon mit der
Trennung beginnt. Ich kenne das von einem früheren
Geliebten, ein sehr nostalgischer Mensch, der
stark in der Vergangenheit lebt. Er hat alles
aufbewahrt und gepflegt, wie ein Heiligtum
konserviert, und eigentlich war das Bewahrte doch
nichts anderes als ein Relikt dessen, was wir
zusammen erlebt haben. Menschen, die sehr stark in
der Vergangenheit leben, kommen nicht weiter im
Leben, sie entwickeln sich nicht. Sie bleiben an
den frühen Bildern hängen, trennen sich nie.
SALOME: Die Idee der Entfremdung verklärt und
romantisiert, ja heroisiert die Unfähigkeit zu
lieben, die Angst, teilzunehmen und mitzuleiden.
Sie entartet in Tourismus, eine Reise ohne Anker
und Hafen, ohne Liebe, ohne Tiefe. Eine Reise auf
der Oberfläche, platt, ohne Anfang und Ende.
SALOME: Wenn seine Liebesworte an mich bloße
Beteuerungen geworden sind, er keine Zeit mehr für
mich hat, bin ich eine Liebesimmobilie in seinem
Besitzstand geworden: Küßchen morgens, Küßchen
abends, ein bißchen Urlaub, ein bißchen Sex, ein
paar Versprechen und dazwischen nur seine
Abwesenheit.
SALOME: Man findet nie alles bei einem bestimmten
anderen Menschen, was einem an Bildern in den Kopf
kommt. Irgendwann muß man sich entscheiden zu dem
vielen, was man vom anderen bekommt und gegen das
Viele, das er nicht geben kann.
SALOME: Ich bin überzeugt von der Notwendigkeit
der Worte, des Dritten in der Liebesbeziehung.
Sonst bewegt sich nichts, die Zuschreibungen und
Bedeutungen bleiben starr.
SALOME: Tod ist Vereinheitlichung. Der Tote ist
meinem Bewußtsein einverleibt, er existiert nur
noch in der Erinnerung. Der Geliebte bleibt immer
der Widerständige, der andere. Im Tod heben sich
die Grenzen zum anderen auf.
SALOME: Das Umgekehrte kann der Fall sein. Nach
der Trennung spürst du, wieviel dir der andere
noch immer bedeutet und wieviel du ihm zu sagen
hast. Zärtlichkeit und Freundschaft sind mir eine
Stütze, denn sie vermeiden den völligen Verlust.
Die Leidenschaft geht darin ein, die Risse werden
vergessen.
SALOME: Trotzdem verlernst du die Fähigkeit nicht,
dich zu verlieben. Allenfalls werden Schutzwände
aufgebaut, die das Gefühl der Verliebtheit
abwehren.
SALOME: Der Sex, den du beschreibst, ist nicht
animalisch, er ist unersättlich männlich, eine Art
Schaum, eine Entladung der Gefäße.
SALOME: Das sehe ich anders. "Je mehr Schritte und
Stufen es gibt", schreibt Montaigne, "desto größer
sind aber die Höhe und die Ehre bei der letzten
Stufe." Wenn die Liebe da ist, setzt sie den
Körper in Brand.
SALOME: Ich bin überzeugt, daß der Verliebte ein
neues Leben entwirft, entweder aus dem Nichts der
Einsamkeit oder aus der Sackgasse einer
erstickenden Beziehung heraus. Eluard hat die
Liebe mit Hunger und Durst verglichen. Eines ist
sicher: Die Liebe entsteht aus einem Mangel. Wenn
ich mir selbst genüge, erfahre und gebe ich keine
Liebe. Für mich ist die Liebe die einzig mögliche
Strategie, um zu existieren. Ich liebe, also bin
ich.
SALOME: Die Literatur führt zur Liebe; das
Imaginäre ist im Augenblick der Verliebtheit
entscheidend und der Geist ist der eigentliche
Agent der Liebe.
SALOME: Es ist auf jeden Fall vergleichbar mit
einer Reise in ein unbekanntes Land, zu dem
unbekannte Kontinent des anderen Geschlechts, an
der Grenze zwischen der Selbstliebe und der Liebe
zum anderen. Verliebtsein ist Verwirrung, sie ist
der Zusammenstoß meiner Ordnung mit einer Ordnung,
die mich transzendiert und die ich nicht
einschließe. Verliebtheit ist Revolution.
SALOME: Zumindest hat er mir die Welt geöffnet und
Kraft und Lust gegeben, mich sozial zu engagieren.
Die Zeit war natürlich eine andere: Vietnam-Krieg,
Frauenbewegung, Revolte. In Kommunen und
Wohngemeinschaften erprobten wir Alternativen zur
Kleinfamilie. Kurz und gut: Wir wollten unsere
kleine, persönliche Revolution in die Welt tragen.
SALOME: Verliebtheit als Entwurf kann auch
innerhalb der gleichen Kultur eine Subversion
sein. Die wahre Liebe stützt sich weder auf eine
soziale Finalität, noch auf materielle Interessen.
Sie erhält nicht einmal die Hoffnung aufrecht, von
der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Das ist
auch der Grund, warum ich immer die homosexuelle
Liebe bewundert habe, denn sie verläßt sich nur
auf ihre innere Kraft.
SALOME: Damit bin ich nicht einverstanden. Mich
interessiert nicht meine Faktizität, sondern die
Herausforderung im Leben, der Kampf. Ich habe
früher sehr in Osmose mit meiner Zeit gelebt.
Vielleicht hatte ich auch andere
Identifikationsfiguren: Olympe de Gouges, Rosa
Luxemburg, Simone Weil. Für mich zählte nur eins:
eine Revolution der universellen Liebe.
SALOME: Heute tötet niemand mehr aus Leidenschaft,
sondern es ist die Langeweile, die tödlich wird.
SALOME: Ich glaube nicht, daß jemand in der Lage
ist, dreimal im Jahr rauschhaft seinen
Lebensentwurf neu zu formulieren. Ich würde sehr
nachdenklich werden, wenn ein Mann mir so etwas
sagte. Wer mit Gefühlen inflationär umgeht, kann
sie am Ende nicht mehr unterscheiden von dem, was
Arthur sagte: Lust, Erregung, Fleischkonsum. Dann
gibt es keine Utopie der gemeinsamen
Verwirklichungen mehr, sondern es geht nur noch um
den Moment.
SALOME: Das will ich meinen! Es sind zwei sehr
distinkte Kategorien. Mir imponiert der Wahnsinn
in der Wahrnehmung des Verliebten, die Permanenz
der Gedanken an den anderen, auch der zuweilen
unerträgliche Hang zur Poesie. Und diese Fähigkeit
zur Selbstaufgabe... Hector sprach in diesem
Zusammenhang von seiner Fähigkeit, sich für eine
Frau, in die er verliebt ist, völlig zu
verausgaben. Die Wahnwelt der Verliebten ist
Kultur. Als solche ist sie ein Sprengsatz, den der
Verliebte in der Hand hält und mit dem er seine
bisherige Welt auseinanderreißt.
SALOME: Das ist mir auch aufgefallen. Männer
könnten noch mit Uraltbekannten ins Bett gehen.
Das ist mir völlig unverständlich, obwohl es ein
Irrtum wäre zu meinen, die Liebe könne man nur von
einem blitzhaften Sich-Verlieben erwarten.
SALOME: Sexualität kann ein solches Hindernis
sein, auch ein künstlich errichtetes, nämlich zum
Beispiel das Verbot der Sexualität oder
Teilgenehmigungen derselben wie: bis hierher und
nicht weiter. In meiner Sexualität war ich mit
meinem Anspruch, als Jungfrau zu heiraten,
natürlich anachronistisch. Doch war mir meine
Jungfräulichkeit ein Garant für Integrität und
Autonomie, sie hatte mit Religiosität nichts zu
tun. Außerdem hatte der Mann, der mich liebte, die
Prüfung der Enthaltsamkeit zu bestehen.
SALOME: Trotzdem beinhaltet die Liebe immer auch
den Willen zur Macht, denn sonst würden wir nicht
ständig versuchen, den anderen entweder zu
verändern oder gar zu vernichten. Denkt an Kleists
Penthesilea. Sie bekämpft ihren Geliebten als
Alter Ego bis in den Tod hinein. Der Wunsch zu
herrschen fließt hier mit dem Wunsch zu lieben
zusammen, und der Wunsch zu lieben wird mit dem
Wunsch zu töten und zu zerstückeln gleichgesetzt.
"Ich liebe dich, ich töte dich." Diese Liebe
verbindet die Liebe nach Macht mit dem dunklen
Gefühl der Unvollständigkeit, weil jeder seine
Macht aus dem Sein des anderen schöpft.
SALOME: Auch ich habe mein Leben einmal neu
erschaffen. Alles, was mir in der Vergangenheit an
Leid zugefügt worden war, verbrannte ich mit den
Tagebüchern meiner Jugend und löschte es aus
meinem Gedächtnis. Es war, als ob ein Kind seine
Mutter verließe, um einem Fremden zu folgen, der
ihm die Hand gereicht hatte. Dieser Fremde gab mir
die Liebe, die Zärtlichkeit, das Vertrauen und die
Kindheit, die die Nonnen im Internat mir geraubt
hatten, zurück. Ich wurde neu geboren.
SALOME: Gabriel vergleicht das Verliebtheitsgefühl
mit elementaren Erlebnissen wie Angst oder
Gewißheit angesichts von Krankheit und Tod. Den
Geliebten allgegenwärtig zu fühlen und ihn in
jedem Augenblick körperlich zu fühlen... Bedeutet
das nicht, sich selbst in jeder Sekunde zu fühlen,
das eigene neue Leben zu ahnen und divergierende
Zukunften zu planen? Man denkt an den Geliebten
und entwirft doch nur sich selbst in fortwährendem
Schwung auf eine neue Existenz hin. Der Verliebte
ist sich selbst Regisseur, Hauptdarsteller und
beifallklatschendes Publikum.
SALOME: Das offenbart deine tendenziell
onanistische Grundstruktur.
SALOME: In der Wahnphase der Verliebtheit ist es
schwierig, in der eigenen Wahrnehmung deutlich
zwischen sich selbst und dem Geliebten zu
unterscheiden. Der Geliebte fungiert als Zwilling.
Die Metapher wird zur Realität. Und schon sind wir
bei der Liebeshysterie. Bei sehr engen Bindungen
zwischen Menschen gibt es keinen Zwischenraum
mehr. Die beiden Geliebten verschmelzen zu einem
einzigen Menschen. Verliebte ähneln den Mystikern
und sakralisieren die Sexualität. Die Rückkehr zur
Einheit gelingt schon in der Verschmelzung des
Kusses.
SALOME: Die Idee von der Aufhebung der Trennungen
– hier die Trennung der Geschlechter in Frau und
Mann – war bei mir auch sehr stark ideologisch
geprägt. Im weiteren Sinne stand sie für die
Vision einer klassenlosen Gesellschaft. Geschlecht
wie Klasse galten als ein Konstrukt, beide
gehörten abgeschafft. Wenn wir schließlich fast
bei einer folie deux angelangten, so lag das
auch an meiner Situation als Ausländerin in
Deutschland. Solange ich die Sprache nicht
beherrschte, hatte ich keine Beziehung zu anderen
und war allein mit einem Mann, der mich mit seinen
Besitzansprüchen und seiner Leidenschaft
wahnsinnig machte.
SALOME: Wenn bei uns von Selbstmord gesprochen
wurde, hatte ich entsetzliche Schuldgefühle. Die
'amour fou' hatte ich mir zwar seit der Kindheit
gewünscht, doch plötzlich fühlte ich mich dieser
Liebe nicht mehr gewachsen. Natürlich konnte ich
sagen: "Ich habe ohne dich keine Lust
weiterzuleben", aber ob ich zu einem Selbstmord
fähig gewesen wäre, weiß ich nicht. Der Wahnsinn
schien mir eine praktikablere Lösung zu sein. Nach
sieben Jahren war der Tod ein ganz zentrales Thema
in unseren Gesprächen, gehörten Sätze wie "Wenn du
stirbst..." oder "Wenn ich sterbe..." fast zum
Alltag. Wenn ich fünf Minuten zu spät aus der Uni
kam, hatte er Schweißausbrüche und fiel fast in
Ohnmacht.
SALOME: Im extremen Fall geht die Symbiose bis zur
Vernichtung. Da wird Liebe totalitär.
SALOME: Die Liebe ist ähnlich wie das Glück kein
definitiver Zustand. Sie ist eine Verflechtung von
Empfindungen, Gedanken, leidenschaftlichen
Augenblicken, eine gewollte Abhängigkeit, eine
gegenseitige Anerkennung und die Sicherheit, daß
sie noch das kostbarste und zerbrechlichste Gut
ist und bleiben wird. Die Verliebtheit mit der
alltäglichen Liebe zu verwechseln, wäre ein großer
Irrtum, denn ein Liebesverhältnis unterscheidet
sich sehr von der Träumerei der ersten Phase. Zu
zweit leben heißt sich zu lieben wie man ist, sich
zu achten, im Plural zu atmen, zu denken und zu
planen. Ja, das ist für mich Liebe: Freiheit für
mich zu beanspruchen, obwohl ich im Plural denke.
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