Home
Download
Zufallsgenerator
Textproben
|
Kapitel 2 Eroberung Trübes Fischen
HECTOR: Kann man Menschen erobern? Können wir
Liebe hervorrufen, wenn wir wissen, was wir
wollen, der andere von seinem Glück aber noch
nichts ahnt? Wie lernt man die Kunst des
Sich-Hineinspielens in das Leben eines anderen
Menschen?
GABRIEL: Ich lasse mir Karten legen, mische
Zaubertränke und Liebeselixiere und verabreiche
der Frau meiner Wahl Genitalsaft von Stuten, um
sie gefügig zu machen.
REBECCA: Himmel, ich hoffe, du willst mich niemals
verführen.
GABRIEL: Ovid, Ars amatoria, publiziert vor knapp
2000 Jahren. Eine sehr übersichtliche und zudem
penibel vollständige Darstellung.
REBECCA: Was sagt die erste Lektion?
GABRIEL: "Bestätige immer, was sie sagt und gib
ihr herablassend recht. Derweil schaue ihr
verliebt in die Augen, berühre zärtlich die Tasse,
aus der sie trinkt, und trinke gar von der
gleichen Seite, an die sie ihre Lippen legte. Iß
von eben den Dingen, von denen auch sie aß." Die
Abhandlung endet mit einer Anstiftung zur
Gewalttätigkeit in Fällen, in denen die
Auserwählte sich ziert.
LUCIA: Eroberung ist keine Frage der Strategie,
sondern von Entscheidungen, die vor der
sogenannten Eroberung fallen. Entscheidungen, die
festlegen, in welchem Maß ein potentieller Partner
einem vorgegebenen Bild entsprechen muß. Je
undifferenzierter das Bild, desto größer wird die
Schar der möglichen Partner, desto größer ist die
Wahrscheinlichkeit, jemandem zu begegnen, der auf
das eigene Angebot eingeht.
CHARLOTTE: Auf der anderen Seite ist es schädlich,
extrem wählerisch zu sein. Im äußersten Fall
konstruiert man eine Unerreichbarkeit, die jede
Beziehung von vornherein unmöglich macht. Dann
wird Eroberungsdenken ganz und gar entbehrlich.
REBECCA: Hinter dem Verzicht auf aktive Eroberung
steckt doch oft Angst. Es ist verletzend, ein
Interesse zu bekunden, das nicht erwidert wird.
SALOME: Wer sich von Ängsten schrecken läßt, wird
natürlich kein Frauenheld. Er bekommt nie den
professionellen Blick dafür, welche Frau für seine
Vorstöße empfänglich ist und welche nicht.
GABRIEL: Ich kannte einmal einen
Casanova-Verschnitt mit Frauenzeichen am
Halskettchen.
SALOME: Nein, ich bitte dich! Das war kein
Casanova, sondern ein Don Juan. Casanova war erst
zufrieden mit sich selbst, wenn er die Geliebte
des Augenblicks beglückt hatte. Er war zwar weder
für die Ehe, noch für Familie oder Treue
geschaffen, aber er liebte die Liebe und deren
Vertreterin: die Frau. Für Don Juan hingegen war
die Frau nur eine Beute.
ARTHUR: Casanova? Die Frauen geliebt?
SALOME: Natürlich. Casanova verehrte die Frauen in
seinem Innersten, alle Frauen. Er war der perfekte
Liebhaber. Was solche Männer so faszinierend
macht, ist ihr Sinn für die Weiblichkeit. Im
Grunde sind sie heimliche Lesben.
HECTOR: Wir reden jetzt aber über Verführung und
nicht über Liebe. Der Verführer ist doch nur ein
Stratege, der zudem nicht gerade wählerisch ist,
wenn er alle Frauen liebt.
GABRIEL: Freunde von früher unterteilten zu Beginn
einer Fete die Frauen in zwei Gruppen: in die, die
ihnen gefielen, und in die, denen sie gefielen.
Mit diesem Schema im Kopf gingen sie auf die Jagd
und arbeiteten die Paletten nacheinander ab.
JAN: Ich habe mich immer gefragt, welche Männer zu
Verführern werden. Was ist ihr Geheimnis?
CHARLOTTE: Ihre Kunst ist eine Verwandlungskunst.
Sie haben kein eigenes Ich, sondern sie sind
viele. Das macht sie interessant und unerreichbar.
SALOME: Das trifft auch für das Phänomen Madonna
zu: postmoderne Verführerin par excellence,
Meisterin in der Kunst der Stilisierung. Durch das
Kokettieren mit Bisexualität, mehreren Partnern,
Transvestismus und Sadomasochismus verwischt sie
die Grenzen zwischen Mann und Frau. Sie nennt das
geschlechtslosen Sex, weil geschlechtsloser Sex
nicht beschränkt. Ihr Körper ist voll sexueller
Zeichen und Aufforderungen, aber er bleibt
unberührbar, selbstbezüglich, nichts als leere
Schablone für ihre diversen Chamäleon-Häute.
REBECCA: Und wo bleibt die Sinnlichkeit bei dieser
Simulation?
SALOME: Ist ein Jäger ein Mann, der gern Hasen
ißt? Die Lust besteht doch darin, ihn zu erlegen.
Der Mythos von Don Juan ist die perfekte
Illustration des Verführers, der im Grunde die
Frauen haßt. Er verachtet sie, obwohl er sie nicht
entbehren kann. In diesem Sinne ist er der
Anti-Casanova, ein Krieger. Das wichtigste Merkmal
bei Don Juan ist die Rivalität zu den anderen
Männern, zu den Männern der Frauen, die er begehrt
und die er an die Wand zu spielen versucht.
REBECCA: Das weibliche Pendant war Messalina.
Diese Römerin hatte eine ausgesprochene Neugier
für alles Sexuelle, blieb jedoch ohne jede
sinnliche Erregung. Sie verbot sich den Orgasmus,
der sie dem Mann ausgeliefert hätte. Messalinen
haben zahllose Verhältnisse, bleiben aber immer
gefühllos. Sie suchen die Liebe und finden keine
Erfüllung. Der Mann ist für sie der Rivale, gegen
den sie kämpfen.
CHARLOTTE: Darin besteht das Genie der koketten
Frau. Mal bietet sie ihren Körper an, behält aber
ihr Herz für sich. Ein anderes Mal verweigert sie
die Umarmung und gesteht dabei ihre Liebe.
SALOME: Wenn ich Verführung höre, denke ich an das
Lied der Sirenen. Der Tod tritt ins Spiel. In der
Verführung geht es darum, den anderen wahnsinnig
zu machen. Das Liebesspiel eines Don Juan ist
grausam, denn er will weder lieben noch verwöhnen,
weder dem anderen gefallen noch geliebt werden.
Sein Geheimnis ist die Beherrschung des Scheins,
die ausgefeilte Konstruktion, in der sich das
Begehren des anderen verliert. Seine Verführung -
oder seine Macht - besteht darin, den anderen
glauben zu lassen, daß er Subjekt des Verlangens
ist, ohne in die eigene Falle zu gehen.
REBECCA: Ich habe die Figur des Don Juan immer
verabscheut. Er verläßt die Frauen mit einem
höllischen Lachen, während der Knecht in der
Buchführung einen Frauennamen hinzufügt.
GABRIEL: Wir finden diese Obsession bei dem
Verführer von Kierkegaard wieder. Die Frau muß
entführt, entjungfert, zerstört werden, weil sie
von Natur aus mit verführerischen Instrumenten
ausgestattet ist. Es entsteht eine Art Duell, ein
kriegerisches Spiel. In dem Moment, in dem die
Frau sich vollständig hingibt, verliert sie in
Kierkegaards Augen die Faszination des Scheins.
Sie ist Sex geworden, sie ist Frau geworden, und
er haßt sie dafür, weil er sich nun seiner
fleischlichen Begierde bewußt wird. Was er sucht
und beneidet, ist die Unschuld.
LUCIA: Indem er die Frauen ihrer Werte und
Phantasmen beraubt, verfolgt er die Welt, die ihm
die kindliche Unschuld geraubt hat, mit seiner
unversöhnlichen Rache.
JAN: Und welche Manöver denkt er sich aus, um
seine Beute zu verführen?
SALOME: Er verhält sich wie ein maskierter
Stratege. Er nähert sich ihr respektvoll,
schmeichelt ihr, heuchelt Leidenschaft. Einmal am
Ziel angelangt, genießt er die dreifache Qual der
Frau: sie zu beschämen, sie bloßzustellen und sie
am Ende zu verlassen. Er zieht sich zurück, und
die Frau ruft nach ihm. Er ist der nährende Stoff,
die Droge, die er häppchenweise dosiert, bevor er
alles zurücknimmt und sie auf Entzug setzt.
CHARLOTTE: Deshalb wurde der Film 9 Wochen ein
Erfolg. Als Protagonist vereinigt ein Perverser
das Gute und Böse in sich wie eine Mutter, die die
Brust gibt und sie verweigert. Die Frau begehrt
ihn als Agent der Weiblichkeit. Sich von ihm
ernähren zu lassen, sich an ihm zu nähren, ist im
Grunde ein Verlangen nach der Liebe der Mutter.
SALOME: Eine Mutter, ein Spiegel.
AARON: Ich habe immer nur durch Nicht-Handeln
verführt. Ich habe mich ganz auf die Frau
eingelassen, die ich erobern wollte, jeden Zug
ihres Charakters versucht kennenzulernen und ihn
genossen. Dieses Genießen hatte eine magische
Wirkung auf sie. Sie hat sich durch mich gesehen,
sich in meinen Augen gespiegelt, sich als Person
dort wahrgenommen und sich in ihr Spiegelbild
verliebt. Das lief unabhängig von mir selbst. Ich
habe nur hinter dem Spiegel auf eine Chance
gelauert und im richtigen Augenblick zugegriffen.
Mit wirklicher Liebe hatte dieses Spiel jedoch
nichts zu tun. Es war nur immer wieder die
Bestätigung: Sie kommt an mich nicht heran, ich
bin unantastbar. Der Spiegel steht immer vor mir.
Wirkliche Liebe braucht keine Strategie und auch
keinen Spiegel. Liebe durchbricht alle Grenzen,
sie spielt sich von Anfang an hinter dem Spiegel
ab und kann von dort auch nicht nach vorn.
LUCIA: Es gibt Männer, die zunächst nur geliebt
werden wollen. Vielleicht gehören die Verführer
dazu. Ich habe unter Jans Zurückweisung sehr
gelitten. Er hat sich immer wieder meinen
Annäherungsversuchen entzogen, Liebesbeweise
eingefordert. Ich fühlte mich durch seinen
Widerstand in die Männerrolle hineingedrängt. Ich
mußte den Minnedienst leisten, um ihn zu erobern.
GABRIEL: Jan als unerreichbare Dame im Turm. Das
ist eine schöne Vorstellung.
JUDITH: Es fällt immer noch schwer, die
überkommenen Vorstellungen männlicher und
weiblicher Annäherung zu überwinden. Als Mädchen
bekommt man gesagt: "Mach' dich rar, lasse dich
umwerben", weil man sonst als billig abgestempelt
wird. Von daher hat Lucia doppelt schwere Arbeit
geleistet.
HECTOR: Wenn ich das richtig verstehe, wird die
Verführung hier als etwas Weibliches definiert.
Gehört die Schönheit auch zur Verführung?
LUCIA: Ich fand Jan sehr schön, sehr weiblich.
Mich selbst fand ich nicht schön. Ich wollte so
werden wie er, wollte mich angleichen.
SALOME: Dir seine Weiblichkeit und Schönheit
aneignen... Das entspringt schon der Verführung
als Strategie, um die Andersartigkeit zu wecken,
die in uns schläft. Diese Spaltung kenne ich auch,
zwar nicht zwischen schön und häßlich, sondern
zwischen gut und böse, blond und dunkel. Das war
fast krankhaft. Früher konnte ich mit blonden
Frauen nicht umgehen. Für mich war das Blonde das
Weibliche und Engelhafte, und das war mir bei
einer Frau zuviel. Blond und Mann fand ich
vollkommen, jenseits von Gut und Böse. Lucia hat
recht: Die Weiblichkeit im Mann ist das Höchste.
LUCIA: Das Zusammenspielen der Gegensätze in einer
Person! Ich habe umgekehrt in mir das Männliche
entwickelt, mich zu einem maskulinen Frauentyp
gemacht, bin dadurch schöner geworden.
HECTOR: Ihr seid beide kastrierende Frauen. Ihr
verfallt dem Weiblichen im Mann, also dem Schönen,
und die Schönheit ist eine Kastration der Sprache.
Sie schneidet mir die Rede ab.
LUCIA: Verführung hat in der Tat mehr mit Musik zu
tun als mit Sprache. Sie bewegt sich in einem Ort
der Sinneslust, vor dem Sündenfall.
CHARLOTTE: Verführung verzehrt mir das Fleisch,
sie ist Verlangen nach etwas, was mich zugleich
entzückt und vernichtet.
ARTHUR: Vernichtung ist die Schattenseite der
Verführung. Am faszinierendsten ist für mich die
Fremde, die Unbekannte, die Frau ohne Gesicht und
ohne Namen, eine Loreley. Mich kann eine Stimme
verführen, ohne daß ich je die Frau gesehen habe.
SALOME: Die Erotik über Schleimhautkontakte kommt
ohnehin aus der Mode. Das ist in AIDS-Zeiten
adäquat. Die Sozialforscher sprechen von einer
Onanisierung des menschlichen Trieblebens.
ARTHUR: Ihr lacht, aber die Begierden vieler
Menschen befriedigen sich heute in einem fiktiven
Raum. Sexualität wird mehr geschaut als gelebt.
SALOME: Wie in Soderberghs Film Sex, Lügen und
Videos. Der Held ist nicht imstande, eine
wirkliche Frau zu lieben. Er onaniert, während er
ihren sexuellen Bekenntnissen zuhört, die er auf
Video aufgenommen hat.
CHARLOTTE: Die Frau inszeniert sich selbst, ich
finde den Film großartig. Was die Verführung
auslöst, ist doch immer zunächst die Phantasie.
GABRIEL: Am sinnlichsten ist die Erotik, die vom
Gesicht der Frau ausgeht. Das geht über den puren
Voyeurismus hinaus. Das ist Liebe.
SALOME: Für mich der Mund und die Worte, die
daraus sprühen, das Lachen.
GABRIEL: Eine Bekannte verliebte sich am Telefon
in einen Mann, den sie noch nie gesehen hatte, den
Liebhaber ihrer besten Freundin. Sie verabredeten
sich und hatten eine Affäre. Das Hauptmotiv ihrer
Liebe war allerdings die Rivalität zu der anderen
Frau. Sie füllte ihre Leere mit Projektionen und
Imitationen: Die Affären meiner Freundin sind auch
meine Affären.
SALOME: Verführer, Männer wie Frauen, verstehen,
es zu erscheinen und wieder zu verschwinden, sich
zur Hälfte hinzugeben, sich in ein Geheimnis zu
hüllen und als Spiegel der Phantasie zu dienen,
kurz: sich unantastbar zu machen. Hier wird die
Verführung in der Verleugnung deutlich, da ja die
Herausforderung ein wesentliches Element der
Verführung ist.
REBECCA: Ingeborg Bachmann hat es demonstriert.
Sie ließ in Gegenwart mehrerer Männer ein
Taschentuch fallen, die Männer bückten sich, und
ihre Köpfe stießen unter ihr zusammen.
LUCIA: Eine schöne Parodie. Sich mondän unnahbar
zu geben, weil das die sicherste Art ist, beachtet
zu werden, nicht aus dem Bewußtsein der anderen zu
fallen und auf das Selbst zurückgeworfen zu
werden, wo eingestandenermaßen nichts ist.
Bachmann hatte Schwierigkeiten, damit zu leben,
daß die Liebe der Ort der größten Einsamkeit, der
Ort des Exils ist.
ARTHUR: Narziß bringt sich um, als er sich bewußt
wird, nur ein Spiegelbild zu lieben. Er begehrt
sich selbst im Schein des anderen. Verführung ist
zugleich Verhängnis.
GABRIEL: Ich habe Verführung jedoch auch als Kunst
zu gefallen erlebt. In Frankreich gilt die
Geselligkeit als Lebenskunst. Dort will man
gefallen, weil Applaus ein intensiveres Gefühl der
Existenz verleiht. Das Spiel ist jedoch ein
gegenseitiges Geben und Nehmen. Die Kunst des
Gefallens besteht in Liebenswürdigkeiten und
Rücksichtnahmen, die dem anderen die Möglichkeit
geben, sich geliebt zu fühlen.
HECTOR: Können wir die Verführung nicht präziser
fassen? Gibt es denn überhaupt keine Strategien?
SALOME: Gelegentlich hat jemand versucht, meine
Widerstände mit Alkohol hinwegzuschwemmen.
GABRIEL: Oder man greift selbst zum Wein und
täuscht mehr vor, als man tatsächlich getrunken
hat. So läßt sich besser operieren als in wirklich
weintrunkener Stimmung. Man kann ungestraft Dinge
sagen, zu denen man am nächsten Tag nicht zu
stehen braucht, zu denen man aber sehr wohl stehen
kann, wenn die Saat aufgegangen ist.
JUDITH: Kennt denn niemand eine Geschichte aus dem
Leben?
HECTOR: Am Abend treffen sich am Fluß die
Spaziergänger mit ihren Hunden. Die Hunde bändeln
an, und Herrchen und Frauchen dackeln hinterher.
SALOME: Besser als Hunde sind Kinder. Der Sohn
eines Freundes war mit sechs Jahren in der Lage,
im Café auf Anhieb diejenige herauszufinden, die
seinem Vater gefiel. Nach wenigen Minuten saß er
der Schönen auf dem Schoß und zitierte seinen
Vater herbei.
GABRIEL: In München sprang eine verliebte Seele
beim Anblick der Geliebten im Englischen Garten
ins Wasser, kraulte zu einer Seerose und stand
Sekunden später triefend vor der fassungslosen
Frau, um ihr seine Liebe zu erklären.
HECTOR: Bei uns waren es auch die Blumen. Als ich
aus den Ferien zurückkam und nicht wußte, wie es
mit uns weitergehen sollte, stand sie plötzlich
da, braungebrannt, mit leicht herunterfallendem
Haar und mit einem ganz anderen Blick als sonst.
In der Hand hielt sie einen Blumenstrauß. Da war
mir klar: Ich würde sie zum Essen einladen, und
wir würden den Abend bei ihr oder bei mir beenden.
So entstand plötzlich neues Leben für mich, es war
die Urszene unserer Liebe; zwar nicht das erste
Zeichen, aber das Urzeichen. Ich war natürlich
beleidigt, als ich später erfuhr, daß sie die
Blumenstraußszene bereits mit einem anderen Mann
aufgeführt hatte.
SALOME: Ich kenne diese Masche sonst nur von
Männern, die jeder Frau systematisch die gleichen
Geschenke machen. Dann findet man bei den
Vorgängerinnen die gleichen Ohrringe, die gleichen
Bilder. Vermutlich haben sie eine Schablone im
Kopf und projizieren dieses Bild auf ganz
verschiedene Frauen.
JAN: Ja, ich kenne das, doch das ist nur
Bequemlichkeit.
LUCIA: Im gleichen Augenblick beraubst du die
Menschen ihrer Einzigartigkeit und Einmaligkeit.
JAN: Eine Strategie ist nur dann eine Strategie,
wenn sie wiederholbar ist.
REBECCA: Wie auch die Taktik, die eigene
Liebenswürdigkeit und die Fähigkeit zur
Zärtlichkeit im Umgang mit Dritten zu
demonstrieren. Da umarmt die Mutter zärtlich ihr
Kind und blickt den anderen Mann ausdrucksvoll an.
Von Einzigartigkeit und Einmaligkeit bleibt da
keine Spur.
SALOME: Und dennoch sind die Wiederholungen in der
Liebe unerträglich. Am einfallsreichsten ist man
vielleicht in der Jugend. Mit zwölf habe ich in
der Schule Ohnmachten fingiert, ganz im Sinne der
literarischen Schwindsucht. Leider beugten sich
immer die Falschen über mich.
JAN: Strategien müssen globaler sein, die Terrains
besser vorbereitet. Ich glaube nicht an Strategien
für den Einzelfall, sondern nur an gute
Vorbereitungen. Der oberste Grundsatz ist: hinaus
in die Welt, Gesicht zeigen und Farbe bekennen.
Wer Geliebter werden will, muß vor die Tür.
GABRIEL: Ja sicher, hinaus in die Welt mit dem
Wissen um die einschlägigen Orte, an denen das
Wild sich aufhält und gejagt werden darf: im
Theater, im Café, bei Pferderennen, auf Partys.
ARTHUR: Man zeigt sich von der Schokoladenseite
und vollständig aufgeräumt oder intellektuell
Kaffee schlürfend in der Ecke eines Cafés,
feinsinnig mit Bleistift und Papier.
SALOME: Aber das alles sind nur die weniger
effizienten Varianten des italienischen
Grundmodells: der allabendlichen Passeggiata, zu
der die ganze Stadt sich trifft und wo die Blicke
rasen. Dort läuft Anmache zu zweit, mit einem
Freund oder einer Freundin. Ein Auftritt im Duo
ist lebendiger und attraktiver als die cool
starrende Solo-Anmache.
REBECCA: Noch geeigneter sind Reisen. Das
Sich-Zeigen wird mit dem Prinzip des Unbekannten
kombiniert. Nichts ist der schnellen Begegnung so
förderlich wie die zeitliche Begrenzung.
HECTOR: Mir ist dieses Jägerdasein unerträglich.
Schon sehr früh wußte ich, daß die wahre
Souveränität im aktiven Warten liegt. Ich mag es
überhaupt nicht, hinter jemandem herzulaufen.
Lasset die Frauen zu mir kommen...
REBECCA: Hector lockt die Frauen.
HECTOR: Eroberung wird mit langem Atem geplant.
Die Liebe inspiriert die Dichter, die Erfinder und
die Politiker.
GABRIEL: Oder freier formuliert, nach Mick Jagger:
"Eigentlich ging es bei unserer Musik nur darum,
die Mädchen zu finden, die sich vögeln ließen."
LUCIA: Tragisch wird es für den, der sich mit
fremden Federn und imaginären Taten schmückt. Die
Frauen Doctores, die keine sind, oder die, die
sich über ihre mondänen Kontakte definieren.
HECTOR: Was interessieren uns die anderen. Ich
möchte jetzt öffentlich für den dialektischen
Dreischritt der Verführung eintreten: Stimme,
Therapie und Witz. Du erotisierst sie mit deiner
tiefen Stimme. Du therapierst sie mit der Geduld
deiner Aufmerksamkeit. Du eroberst sie mit deinem
sprühenden Witz.
ARTHUR: Richtig! Erobere sie mit deiner Eloquenz,
überhäufe sie mit Komplimenten. Aus mager wird
grazil und schlank, aus Kleinwuchs Flinkheit und
aus Korpulenz das Gut-im-Fleische-Stehen.
GABRIEL: Worte sind gefährlich.
SALOME: Aber nicht für Frauen allein. Männer
glauben einem doch fast alles.
JUDITH: Ich wollte in früheren Beziehungen die
Eroberung ausschließlich über Briefe gestalten.
Ich wollte einen Mann gewinnen durch das
kunstvolle Formulieren von Briefen und war völlig
enttäuscht, wenn das nicht verstanden wurde und
nichts zurückkam.
HECTOR: Hast du ein erotisches Gefühl verspürt,
als du diese Briefe geschrieben hast?
JUDITH: Natürlich ist Schreiben eine sublime Form
der Erotik.
SALOME: Der Brief hat den Wert eines Fetischs. Er
ist das Symbol des angebotenen Sexus, die
Kompensation einer Abwesenheit.
HECTOR: Eben, der Fehl an seinem Platz.
GABRIEL: Man kann also auch über Kleinanzeigen
verführen. Dem Zufall, der die Menschen bisher
zusammenführte, folgen programmierte Verbindungen
komplementärer Körper und kybernetisierter
Begierden. In der Schüchternheit bleibt mir die
leise Hoffnung des geschriebenen Wortes.
ARTHUR: Ich möchte noch einmal auf die Bedeutung
des gesellschaftlichen Erfolges zurückkommen, weil
ich schon der Meinung bin, daß Leistung und die
damit verbundene Macht erotisierend wirken.
HECTOR: Ich finde das auch unerhört erotisierend,
wenn ich ungewollt Zeuge beim 43. Drehversuch
werde: Reifer, erfolgreicher Mann verkündet
junger, attraktiver Dame die Großtaten seines
Lebens.
ARTHUR: Die Beziehung zwischen Macht und Erotik
ist in vielen Fällen nicht zu verleugnen.
HECTOR: Eine unendliche Peinlichkeit! Die lässige
Rhetorik, die Eleganz der erfolgsgewohnten Gestik,
eine Sprache, die das, was beeindrucken soll, in
die Nebensätze packt. Und die Frau geduldig und
ganz Ohr, mit ehrfurchtsvollem Blick,
schmeichelnden Lippen und kreischender
Begeisterung, die den Alten wie mit
Peitschenhieben in die Höhen orgiastischer
Ego-Salberei emportreibt. Der Schleier des
Fraulich-Süßen verdeckt derweil den ironischen und
gnadenlosen Spott: Es sind die Klimmzüge eines
kranken Mannes, eines Clowns, der sich abrackert
und dem die Farben der heiteren Maske im Gesicht
zerfließen.
REBECCA: Das sind typische Szenen einer Bahnreise.
SALOME: Oder einer Flugreise. Manche Männer quälen
mit ihrem langweiligen Geschwätz.
CHARLOTTE: Ein Mann ist, was er tut, eine Frau,
was sie aus sich macht. Wo bleibt die Schönheit
bei der Eroberung?
LUCIA: Die Verpflichtung zu Charme und Schönheit
ist seit langem keine Pflicht der Frau allein. Die
Männer müssen sich heutzutage anstrengen.
GABRIEL: "Nicht jeder sieht nach etwas aus. Aber
die meisten wollen angenehm auffallen und streben
danach. Die äußerlichste Art ist hierbei die
leichteste."
GABRIEL: "Stift, Schminke, fremde Federn helfen
dem Traum von sich gleichsam aus der Höhle..."
AARON: Schönheit ist variabel und eine Synthese
von Anatomie und Charme. Zweifel an der eigenen
Schönheit hat auch die schönste Frau...
LUCIA: Die eigene Schönheit: Wer wäre nicht oft
von sich und seiner Attraktivität überzeugt, und
wer hätte nicht im stillen immer wieder daran
gezweifelt.
REBECCA: Schönheit beginnt mit einem schönen
Blick.
CHARLOTTE: Und Verführung geschieht über Blicke.
Der Blick ist das Begehren schlechthin. Er hat
eine magische Kraft.
SALOME: Schönheit ist nicht nur eine Kategorie der
Ästhetik. Die visuelle Wahrnehmung, das Sehen an
sich, unterliegt Veränderungen. Wir sehen häufig
mit den Augen eines anderen. Wenn der andere -
eine Person, eine Gruppe, eine Gesellschaft -
großen Einfluß hat, wird die Schönheit zum
Gegenstand zwischenmenschlicher Interaktion, wobei
der eine sich der Macht der anderen fügt. Der
Mensch und im besonderen die Frau verfügt nicht
frei über ihre Erscheinung, denn Schönsein ist
immer ein Schönsein-für, ein
Aus-sich-Heraustreten.
CHARLOTTE: Tatsache aber ist, daß die Faszination,
die von der Schönheit ausgeht, eine erotische ist.
Schön zu sein, eine erotische Ausstrahlung zu
haben, sich aber gleichzeitig nicht hilflos den
begehrenden Blicken auszuliefern und zu
unterwerfen: Das ist das Dilemma der Frauen.
LUCIA: Seit der postmodernen Rehabilitation der
Schönheit und des Sich-schön-Machens ist es zwar
nicht mehr verpönt, erotisch anziehend zu wirken,
trotzdem habe ich immer noch ein ambivalentes
Verhältnis dazu.
CHARLOTTE: Orientiert man sich an der vollkommenen
Schönheit in der Werbung, wird das Bemühen um die
eigene Schönheit schnell zu einem
Sysiphus-Unternehmen. Der leblosen Statik des
makellos Dargebotenen ist mit dem dynamischen
Leben nicht beizukommen.
LUCIA: Zudem wird der Kampf mit zunehmendem Alter
mühsamer. Schlaffes Gewebe, stumpfer Haarglanz
oder überhaupt ausfallender Haarschmuck nehmen
dann den letzten Optimismus. Wer auf Schönheit
setzt, lebt gefährlich.
SALOME: Die Mode- und Kosmetikindustrie lebt von
diesen Selbstzweifeln: der Auseinandersetzung mit
den eigenen Problemzonen und dem Zorn über die
Mitgift der Natur, wenn die Abweichungen von den
Standardvorstellungen zu augenfällig sind.
REBECCA: Ich kenne das Gegenteil. All diese Dinge,
die die Körperlichkeit und die erotische Anziehung
betreffen, haben bei mir eine unendliche
Verweigerungshaltung hervorgerufen. Ich habe
selbst nie meine Weiblichkeit betont, sondern mich
eher in formlosen Pumphosen unsichtbar gemacht.
Ich könnte auch nicht sagen, was die äußere
Anziehungskraft eines Menschen ausmacht.
LUCIA: Die erotischen Selbstinszenierungen gelten
aber nicht nur dem Blick der anderen. Ich mache
mich für mich selbst schön. Ich mache mich
begehrenswert, will aber nicht unbedingt begehrt
werden. Meine seidenen Dessous gehören mir.
CHARLOTTE: Am besten bin ich immer angekommen,
wenn ich mich zurückzog und mich statt mit
Minirock und tiefem Dekolleté schlicht in schwarz
kleidete.
SALOME: Je älter man wird, desto weniger
funktioniert die Strategie des Rückzugs. Das
zunehmende Unsichtbar-Werden kann vernichtend
sein, wenn eine Frau ein Leben lang den
anerkennenden Blick gesucht hat, der ihr
bestätigt, daß sie gefällt und begehrenswert ist.
LUCIA: Schönheit fordert Bewunderung, vielleicht
sogar Anbetung, sie will also Macht. Macht,
verführerisch zu sein und zu verführen.
ARTHUR: Die post-emanzipierte Gesellschaft gibt
sich dem Spiel hin, daß alles möglich ist und
verdreht die Geschlechterrollen. Wenn die Frauen
alternative Formen von Macht entwickeln, verwischt
sich das uralte Machtspiel von Unterdrücker und
Unterdrückten.
SALOME: Schön wär's. Ich habe eher den Eindruck,
daß der weibliche Erfolgs-Mythos einen
machistischen Rückschlag hervorrufen wird. Eine
Frau, die sich offen zu ihrer Sexualität bekennt
und sie auslebt, wird nach wie vor als
furchterregend eingestuft. Das Grundmodell des
immer potenten Machos liefern uns die Bodybuilder
der Werbebranche mit ihrem gefährlichen
Männlichkeitsmythos. Auch die dandyistische
Handlung suggeriert männliche Vollkommenheit. Der
einzige Haken dabei ist, daß die Frau für den
Dandy unentbehrlich ist. Er findet alles, was der
Frau bis heute zustand, in sich selbst: das
Modische und Musische, das Narzißtische und das
Ästhetische. Der neue Mann genügt sich selbst.
GABRIEL: Narzißtische Männer betonen die Distanz
und wehren Beziehungen ab. Wenn man früher den Hof
machen wollte, sprach man von Liebe. Die
Verführung verfügte über eine umfangreiche
Rhetorik, eine unerschöpfliche Sprache der Liebe.
Man sagte Herz statt Sex und drückte als
unerschütterliche Liebe aus, was unstillbarer
Geschlechtsdrang war. Heute besteht die wahre
Obszönität darin, an die Liebe zu erinnern, um
frei von sexueller Fixierung über Leid und Torheit
der Liebe zu sprechen. Die frontale Verführung
wird daher so selten oder so schlecht praktiziert,
weil es für den Anfang kein Rezept mehr gibt. Wohl
aus diesem Grunde ersparen sich die meisten
Menschen die Angst und die Verantwortung. Zwar
verführen sie, doch sie beginnen nicht damit.
HECTOR: Dann fangen wir mit dem Streicheln der
Kleidung an. Hat sie ein Staubkorn auf ihrem
Kleid, so entferne es mit einer zärtlichen Geste.
Hat sie keins, entferne es trotzdem.
GABRIEL: Es kommt leider selten vor, daß zwei
Liebende, wenn sie sich erblicken, im gleichen
Moment wissen, was sie wollen und großzügig zur
Tat schreiten. Einer meiner Freunde hatte sich
während einer Reise mit seinem Lover gestritten,
man hatte sich für einige Stunden getrennt, und da
war es passiert, mitten auf der Straße: der
elektrisierende Blick des fremden Mannes, das
gleichzeitige Zurückschauen nur einige Meter
später, das anschließende kurze Gespräch in einer
Aura von Vertrautheit und die träumerischen
Stunden im Bett unmittelbar danach.
HECTOR: Das sind Sternstunden im Leben.
ARTHUR: So ist der Anfang nicht nur eine Frage des
Erfindungsreichtums oder der Initiative, sondern
auch eine der günstigen Gelegenheit. Meine
Liebeskunst besteht darin, jeden Liebesmoment zu
ergreifen, als ersterbe die Liebe im nächsten
Augenblick. Es geht darum, jegliches Ziel und
damit jegliches Ende zu verdammen.
GABRIEL: Womit wir bei einem anderen Thema wären:
Sexualität. Denn um auf die imaginären Staubkörner
zurückzukommen: Streicheln der Kleidung muß eine
temporäre Ersatzhandlung bleiben.
ARTHUR: Eben. Ich möchte mehr und sofort.
|
|