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Beiträge von GABRIEL
GABRIEL: Beginnen wir am Anfang. Am Anfang war der
Blick.
GABRIEL: Und die Begegnung entscheidet über den
Partner. Waren es früher die richtigen Partner,
werden es in Zukunft die richtigen sein? Der Tag
der Begegnung entscheidet über den Fortgang des
Lebens. Was geschah an diesem Tag?
GABRIEL: Und doch erscheint mir der andere in den
dramatischen Sekunden der Begegnung wie eine
zwingende Erkenntnis. Aus einer Vielzahl von
Konkurrenten wird er zweifelsfrei auserwählt.
GABRIEL: Delikater, wenngleich zunehmend
verkümmert, ist freilich der Geruchssinn. Unter
Sexualwissenschaftlern hält sich übrigens die
Hypothese, daß Schweißgeruch für Frauen ein
Aphrodisiakum erster Wahl sei. Früher steckten die
Tiroler Bauern während des Tanzens ein Taschentuch
in die Achselhöhle und hielten es nachher ihren
Angebeteten unter die Nase.
GABRIEL: Am differenziertesten aber ist das Auge.
Es ist ein Genuß, die Menschen zu betrachten. Ihre
Anatomie, ihr Temperament, ihre Art, im Raum zu
sein, Harmonie oder Disharmonie ihrer Bewegungen.
Das Auge fragmentiert die Wahrnehmung und schafft
ein Relief des Wesentlichen.
GABRIEL: In Italien ist die Anziehungskraft, die
von den Augen ausgeht, lebensfroh und ganz der
Liebe gewidmet. Andere Völker hingegen würdigen
ihre Mitmenschen keines Blickes, weil sie vor der
Liebe Angst haben...
GABRIEL: Die äußerlichen Reize prägen die
Begegnung. Augen, Nase oder Mund, Haare, Beine
oder Füße: Jeder Körperteil kann die
Aufmerksamkeit auf eine Person lenken, die einem
zufällig begegnet.
GABRIEL: Man ist Herr des eigenen Unglücks, wenn
die Ziele unerreichbar hoch gesteckt werden.
GABRIEL: Die Geliebte dem Mystischen zu entlehnen,
gibt wenig Aussicht auf Trieberfüllung. Es sei
denn, man legt selbst Hand an. Ein Freund war als
Sechsjähriger unsterblich in die Jungfrau Maria
verliebt. Er erzählte, ihr Bild sei ihm jeden
Abend erschienen und habe ihm ein grenzenloses
Wonnegefühl vermittelt. Anläßlich dieser
Erscheinungen hätten sich zum erstenmal Physis und
Psyche mit Entzücken gepaart, und fortan habe er
sich, die Hand am Glied und in Gedanken das
erlauchte Antlitz erforschend, Abend für Abend in
orgiastische Höhen emporgebetet...
GABRIEL: Liebe ist Religion. Amen!
GABRIEL: Ach, die Schönheit! Ich erliege dem
Unheimlichen eines schönen Gesichts und dem langen
und tiefen Aufruhr, den es in meinem Gemüt
hervorruft...
GABRIEL: Schönheit als zündender Funke, um Eros
zur dämonischen Vermittlerkraft zu verhelfen
zwischen unten und oben, zwischen Menschlichem und
Göttlichem, Sterblichem und Unsterblichem,
Nichthaben und Haben, Nichtwissen und Wissen. Für
Platon führte das Beglücktsein durch den schönen
Leib über die Liebe zur leiblichen Schönheit und
zum Seelisch-Schönen schließlich zur Liebe jener
'Schönheit, die den Gedanken, dem Ideellen
eignet'.
GABRIEL: Belegt wird die verschrobene
Subjektivität der Schönheitsideale durch die
Erfahrung, daß es selten gelingt, zwei Freunde zu
verkuppeln. Ich bin ein passionierter Kuppler,
doch in zwanzig Jahren ist es mir nur dreimal
gelungen.
GABRIEL: Der Liebeswille fixiert sich auf alles,
was sich bewegt, zudem auf allerlei
Absonderlichkeiten: Schweißfüße, abgekaute
Fingernägel, fehlende Zähne, überhaupt alle Arten
von Verunstaltungen. Mein liebstes Beispiel stammt
aus der frühen psychoanalytischen Literatur. Dort
wird der Fall eines jungen Mannes beschrieben, der
eine ausgeprägte Vorliebe für Prostituierte mit
Gebiß hatte. Sie mußte es herausnehmen, und er
lutschte daran, bis er den Höhepunkt erreichte.
GABRIEL: Deswegen gefiel mir der Mythos von Narziß
so gut. Wenn ich eine Zwillingsschwester gehabt
hätte, hätte ich mich als Kind in sie verliebt.
GABRIEL: Der Volksmund sagt: "Gleich und gleich
gesellt sich gern" und "Gegensätze ziehen sich
an". Ist eine Variante der anderen überlegen?
GABRIEL: Ich habe eher die Fremde gesucht. Ich
hatte die Phantasie der Gestrandeten, von der ich
nichts wußte, die eine unbekannte Sprache sprach
und von der ich daher nichts erfahren konnte.
Gleichzeitig war dieses Szenario mit vertauschten
Rollen - mit mir in der Rolle des Gestrandeten -
mein liebster Traum. Vorhang auf, Licht an, ein
bloßes In-der-Welt-Sein, und das Herz der Frau
entzündet sich. Alles, ohne den Hampelmann zu
spielen und ohne sich abzurackern. Veni, vidi,
vici.
GABRIEL: Der Alternde, der das frische Fleisch
bevorzugt, und die junge Dame, die gern die
Schläfen des Graumelierten krault, beide wissen,
was sie voneinander zu erwarten haben.
GABRIEL: Ein Freund flüchtete sich nach einem
traumatischen Erlebnis in die Liebe zu einem
fünfzehnjährigen Mädchen. Jahrelang hatte er eine
platonische Beziehung zu einer Gleichaltrigen
gehabt, in der Sex auf die Zeit nach der Heirat
vertagt wurde. Eines Tages kam sie von einer Reise
zurück und erzählte, sie hätte eine Abtreibung
gehabt. Da der abgetriebene Embryo auf keinen Fall
aus der Beziehung stammen konnte...
GABRIEL: So wie ein konditioniertes Tier, das
zwischen zwei Reizen hin- und hergerissen ist:
erste Jugendliebe, stockend, stolpernd und
unsicher tastend im Bett versus Reminiszenzen an
kommerzialisiertere und natürlich souveränere
Formen der sexuellen Begegnung.
GABRIEL: Wer mit seiner Schönheit, seinem
Intellekt, seiner Intelligenz oder seiner
Kreativität kokettiert, im Inneren jedoch
Selbstzweifel hegt, erwählt jemanden, der ihm die
Zweifel nimmt.
GABRIEL: Man will ja mit dem Partner auch angeben,
sucht sich den schönen Partner nicht nur für sich
selbst, möchte die andern neidisch machen und
selbst interessanter werden.
GABRIEL: Das stört ab einem bestimmten Alter nicht
mehr.
GABRIEL: Dann würde ich die Familienharmonie
aufmischen...
GABRIEL: Wie dem auch sei: Die Begegnung ist
Zufall, die Objektwahl ergründlich, die Verliebten
sind selbst blind, und Prognosen für die Zukunft
sind unzulässig. Wenn sie eine gemeinsame Wohnung
nehmen, holt der hinterlistige Alltag sie ein,
schließlich fliegen die ersten Tassen. Da ist
manch einer schneller auf dem Sprung als er
dachte.
GABRIEL: Oder man behält sie wie einen Fetisch,
ohne Gebrauch davon zu machen.
GABRIEL: Ich lasse mir Karten legen, mische
Zaubertränke und Liebeselixiere und verabreiche
der Frau meiner Wahl Genitalsaft von Stuten, um
sie gefügig zu machen.
GABRIEL: Ovid, Ars amatoria, publiziert vor knapp
2000 Jahren. Eine sehr übersichtliche und zudem
penibel vollständige Darstellung.
GABRIEL: "Bestätige immer, was sie sagt und gib
ihr herablassend recht. Derweil schaue ihr
verliebt in die Augen, berühre zärtlich die Tasse,
aus der sie trinkt, und trinke gar von der
gleichen Seite, an die sie ihre Lippen legte. Iß
von eben den Dingen, von denen auch sie aß." Die
Abhandlung endet mit einer Anstiftung zur
Gewalttätigkeit in Fällen, in denen die
Auserwählte sich ziert.
GABRIEL: Ich kannte einmal einen
Casanova-Verschnitt mit Frauenzeichen am
Halskettchen.
GABRIEL: Freunde von früher unterteilten zu Beginn
einer Fete die Frauen in zwei Gruppen: in die, die
ihnen gefielen, und in die, denen sie gefielen.
Mit diesem Schema im Kopf gingen sie auf die Jagd
und arbeiteten die Paletten nacheinander ab.
GABRIEL: Wir finden diese Obsession bei dem
Verführer von Kierkegaard wieder. Die Frau muß
entführt, entjungfert, zerstört werden, weil sie
von Natur aus mit verführerischen Instrumenten
ausgestattet ist. Es entsteht eine Art Duell, ein
kriegerisches Spiel. In dem Moment, in dem die
Frau sich vollständig hingibt, verliert sie in
Kierkegaards Augen die Faszination des Scheins.
Sie ist Sex geworden, sie ist Frau geworden, und
er haßt sie dafür, weil er sich nun seiner
fleischlichen Begierde bewußt wird. Was er sucht
und beneidet, ist die Unschuld.
GABRIEL: Jan als unerreichbare Dame im Turm. Das
ist eine schöne Vorstellung.
GABRIEL: Am sinnlichsten ist die Erotik, die vom
Gesicht der Frau ausgeht. Das geht über den puren
Voyeurismus hinaus. Das ist Liebe.
GABRIEL: Eine Bekannte verliebte sich am Telefon
in einen Mann, den sie noch nie gesehen hatte, den
Liebhaber ihrer besten Freundin. Sie verabredeten
sich und hatten eine Affäre. Das Hauptmotiv ihrer
Liebe war allerdings die Rivalität zu der anderen
Frau. Sie füllte ihre Leere mit Projektionen und
Imitationen: Die Affären meiner Freundin sind auch
meine Affären.
GABRIEL: Ich habe Verführung jedoch auch als Kunst
zu gefallen erlebt. In Frankreich gilt die
Geselligkeit als Lebenskunst. Dort will man
gefallen, weil Applaus ein intensiveres Gefühl der
Existenz verleiht. Das Spiel ist jedoch ein
gegenseitiges Geben und Nehmen. Die Kunst des
Gefallens besteht in Liebenswürdigkeiten und
Rücksichtnahmen, die dem anderen die Möglichkeit
geben, sich geliebt zu fühlen.
GABRIEL: Oder man greift selbst zum Wein und
täuscht mehr vor, als man tatsächlich getrunken
hat. So läßt sich besser operieren als in wirklich
weintrunkener Stimmung. Man kann ungestraft Dinge
sagen, zu denen man am nächsten Tag nicht zu
stehen braucht, zu denen man aber sehr wohl stehen
kann, wenn die Saat aufgegangen ist.
GABRIEL: In München sprang eine verliebte Seele
beim Anblick der Geliebten im Englischen Garten
ins Wasser, kraulte zu einer Seerose und stand
Sekunden später triefend vor der fassungslosen
Frau, um ihr seine Liebe zu erklären.
GABRIEL: Ja sicher, hinaus in die Welt mit dem
Wissen um die einschlägigen Orte, an denen das
Wild sich aufhält und gejagt werden darf: im
Theater, im Café, bei Pferderennen, auf Partys.
GABRIEL: Oder freier formuliert, nach Mick Jagger:
"Eigentlich ging es bei unserer Musik nur darum,
die Mädchen zu finden, die sich vögeln ließen."
GABRIEL: Worte sind gefährlich.
GABRIEL: Man kann also auch über Kleinanzeigen
verführen. Dem Zufall, der die Menschen bisher
zusammenführte, folgen programmierte Verbindungen
komplementärer Körper und kybernetisierter
Begierden. In der Schüchternheit bleibt mir die
leise Hoffnung des geschriebenen Wortes.
GABRIEL: "Nicht jeder sieht nach etwas aus. Aber
die meisten wollen angenehm auffallen und streben
danach. Die äußerlichste Art ist hierbei die
leichteste."
GABRIEL: "Stift, Schminke, fremde Federn helfen
dem Traum von sich gleichsam aus der Höhle..."
GABRIEL: Narzißtische Männer betonen die Distanz
und wehren Beziehungen ab. Wenn man früher den Hof
machen wollte, sprach man von Liebe. Die
Verführung verfügte über eine umfangreiche
Rhetorik, eine unerschöpfliche Sprache der Liebe.
Man sagte Herz statt Sex und drückte als
unerschütterliche Liebe aus, was unstillbarer
Geschlechtsdrang war. Heute besteht die wahre
Obszönität darin, an die Liebe zu erinnern, um
frei von sexueller Fixierung über Leid und Torheit
der Liebe zu sprechen. Die frontale Verführung
wird daher so selten oder so schlecht praktiziert,
weil es für den Anfang kein Rezept mehr gibt. Wohl
aus diesem Grunde ersparen sich die meisten
Menschen die Angst und die Verantwortung. Zwar
verführen sie, doch sie beginnen nicht damit.
GABRIEL: Es kommt leider selten vor, daß zwei
Liebende, wenn sie sich erblicken, im gleichen
Moment wissen, was sie wollen und großzügig zur
Tat schreiten. Einer meiner Freunde hatte sich
während einer Reise mit seinem Lover gestritten,
man hatte sich für einige Stunden getrennt, und da
war es passiert, mitten auf der Straße: der
elektrisierende Blick des fremden Mannes, das
gleichzeitige Zurückschauen nur einige Meter
später, das anschließende kurze Gespräch in einer
Aura von Vertrautheit und die träumerischen
Stunden im Bett unmittelbar danach.
GABRIEL: Womit wir bei einem anderen Thema wären:
Sexualität. Denn um auf die imaginären Staubkörner
zurückzukommen: Streicheln der Kleidung muß eine
temporäre Ersatzhandlung bleiben.
GABRIEL: Zwei Liebende sind immer auch zwei
Körper. Sexuelle, sich erhitzende Körper.
GABRIEL: Hat Liebe überhaupt etwas mit Sexualität
zu tun? Es gibt rein sexuelle Beziehungen ohne
Liebe, und es gibt Liebe ohne praktizierten Sex.
Warum sollten Liebe und Sexualität immer glücklich
zusammenfallen?
GABRIEL: Reine Sexualität ohne Liebe entspricht
nicht der Sexualität, die ich in einer
Partnerschaft suche, und die Sexualität, die ich
in der Liebe finde, ist tatsächlich nur ein Moment
unter vielen anderen.
GABRIEL: In meinen Ohren klingt das nach Gewalt.
Als ginge es darum, den anderen niederzustrecken.
Ich sehe dann einen Mann, der sich auf eine Frau
stürzt und sie brutal 'nimmt'.
GABRIEL: Wie fühlt sich dieser sexuelle Schwindel
an?
GABRIEL: Erotische Anziehungen gehen nie von einem
ganzen Körper aus. Was dich verrückt macht am
Geliebten, ist ein einzelner Körperteil, eine
bestimmte Zone: die Haare, die Augen, der Mund
oder irgendein anderes Fragment. Dann sieht du nur
noch einen Mund durch die Welt spazieren. Oder du
siehst nur Haare, die fallen, sich bewegen, nach
hinten gelegt werden, wieder ins Gesicht fallen,
glänzen und deren Farbe im Licht wechselt.
GABRIEL: Da bin ich mir nicht sicher.
GABRIEL: Einspruch! Es ist doch völlig
ausgeschlossen, daß ich jeden Scheiß' –
Entschuldigung – mitmache, den sich eine enthirnte
Lustnudel zusammenphantasiert, nur damit sie die
letzten Sprossen ihrer Lustleiter erklimmt. Es
gibt Grenzen. Bei aller Liebe.
GABRIEL: Bei mir nicht.
GABRIEL: Dann wird du nie die sinnlichen
Verzückungen des coitus reservatus erleben. Das
Sperma, das sich zurückhält, eröffnet dem
Liebenden die Vielfalt der weiblichen Erotik.
GABRIEL: Daß es zuckt, sei unbenommen.
Entscheidend ist die Interpretation des Phänomens
sowie die Frage, weshalb es zuckt. Ich empfände
das Zucken um so schöner, je weniger Hormone im
Spiel wären. Am heftigsten zuckt es doch dort, wo
noch erobert, entdeckt, gefesselt und beeindruckt
werden will. Erobert wird jedoch nicht sexuelles
Wohlverhalten, sondern die Persönlichkeit des
anderen; gefesselt werden keine Extremitäten,
sondern die Aufmerksamkeit; beeindruckt wird nicht
durch sexuelle Leistungen, sondern durch
Zärtlichkeit und Zuneigung.
GABRIEL: Millionenfacher Zelltod.
GABRIEL: Nicht unbedingt eine Mordphantasie. Sie
will nur wissen, ob er sterblich ist.
GABRIEL: Das Reich der Phantasie kennt keine
Grenzen. Das geht sogar bis zur Vorstellung der
Auslöschung des anderen. Der Mörder ist immer die
Gärtnerin.
GABRIEL: Mit wildfremden Personen stellt ihr euch
das vor?
GABRIEL: Du meinst zur Erotik?
GABRIEL: Und was hat das mit Sexualität zu tun?
GABRIEL: Daß alles gerinnt?
GABRIEL: Aber sie kann ihn sammeln und zu
Hybridkindern zusammenphantasieren, während der
Mann seinen Samen ausstreut, ihn sozusagen
verschleudert und immer wieder neuen produziert.
Eine Tonne Samen in dreißig Jahren täglicher
Männerfron.
GABRIEL: Ich weiß gar nicht mehr, wo wir uns nun
befinden. Von wo waren wir ausgegangen? Das waren
Hectors Gerinnungsphantasien und jetzt sind wir
plötzlich bei den Phantasien zu dritt. Ich
verstehe zwar den Sprung nicht, aber das Thema
finde ich ergiebig. Gibt es weitere Phantasien zu
dritt?
GABRIEL: Mich gruselt das. Da sind doch ungeheure
Omnipotenzphantasien im Spiel. Da ist eine Frau,
die aus unbekannten Gründen nicht mit dem Mann
zusammen sein kann, den sie liebt, die aber auch
nicht von ihm loskommt. Und diese Frau phantasiert
dann eine andere zwischen sich und ihn, die all
das macht, was sie nicht kann. Das hört sich sehr
nach Stellvertretersex an.
GABRIEL: Die Männer sind karger, wenn sie ihre
mystischen Zustände beschreiben. Es trifft aber
zu: Im Augenblick des Orgasmus besteht eine
Konfluenz, ein Einssein zwischen Mann und Frau,
Individuum und Welt hören auf zu existieren.
GABRIEL: Ja, doch in der Jugendzeit reichte mir
dieser 'kleine Tod' nicht. Mein Wunsch nach
Symbiose ging bis zur Todessehnsucht. Ich stellte
mir vor, unser Zimmer als Gruft aus rotem Samt
auszubauen, um die Außenwelt von uns abzuschirmen.
In unserem Kleiderschrank hatte ich
Infusionsflaschen versteckt, für den Fall, daß sie
erkranken könnte. Wir waren beide darauf
eingestellt, irgendwann zusammen Selbstmord zu
begehen. Aber nicht nur aus meiner Angst heraus,
sie zu verlieren, sondern weil der Gedanke, daß
der Tod uns voneinander trennen könnte,
unerträglich war. Die Verewigung unserer Liebe
ließe sich am besten in der Phantasie der im Tode
vereinigten Geliebten verdeutlichen.
GABRIEL: Und schon sind wir bei den zoophilischen
Phantasien! Dürfen es auch Hunde, Katzen, Hühner
und Hausschweine sein?
GABRIEL: Du meinst, daß Frauen wirklich so reden?
GABRIEL: ...ein übermäßiges Handeln, sich
überschlagen, auch ein Übergreifen in die Bereiche
des anderen scheint mir damit verbunden zu sein...
GABRIEL: Das ist eines der ganz zentralen Themen
im Leben der meisten Paare.
GABRIEL: Es ist schwierig, diese Grenzen zu
bestimmen. Warum tobt der Supergau gerade im
sexuellen Bereich, warum ist das so fürchterlich?
GABRIEL: Wäre es nicht schön, es hätte vor dir
keine Götter gegeben?
GABRIEL: Das ist die Like-a-virgin-Urphantasie.
Das gilt vermutlich nicht für Leute, die 30 oder
40 sind. Wenn man selbst zehn Beziehungen hatte,
darf man nicht von der Jungfrau träumen.
GABRIEL: In diesem Fall hat die Partnerschaft
einen bestimmten Punkt noch nicht erreicht, an dem
man sie wirklich als solche bezeichnen könnte.
Irgendwann muß so etwas wie ein 'Basisvertrauen'
erreicht werden, sonst bricht alles auseinander.
GABRIEL: Was heißt zu erreichen?
GABRIEL: Sie waren vielleicht einfach sechs oder
sieben Jahre älter.
GABRIEL: Ist sie nicht süß?
GABRIEL: Eben, was gibt es besseres und
schöneres...
GABRIEL: Manchmal wird man verlassen, weil man
krankhaft eifersüchtig ist.
GABRIEL: Das kann ein Lebensinhalt werden,
vielleicht auch im positiven Sinne. Zu jeder
Tageszeit schweifst du mit den Gedanken zu der
Geliebten, du willst zu ihr, kannst dich ohne sie
an nichts freuen.
GABRIEL: Das heißt doch, den Teufel mit dem
Beelzebub austreiben!
GABRIEL: Ihn halten durch Selbstauslöschung? Ihn
halten durch einen Wahn, in dem sich dein Ich in
nichts auflöst?
GABRIEL: Ein frei flottierender Charakter.
GABRIEL: Stell dir vor, du bist nun ein Jahr mit
der Frau deiner Träume zusammen, ihr lebt in einer
Wohnung, und die erste Phase des Liebessturms hat
sich gelegt. Das gemeinsame Leben beginnt sich
einzurichten. Regelmäßige Einkäufe, Verteilung der
Aufgaben, gemeinsame Freunde etc. Passiert in
dieser Phase des Übergangs und der Verfestigung
der Beziehung nicht etwas sehr Entscheidendes?
Oder anders gefragt: Ist das nicht der Punkt, an
dem sich entweder die ersten Risse andeuten oder
das Gefühl auftaucht, daß es für längere Zeit
klappen könnte?
GABRIEL: Kennt ihr Techniken, die Harmonie im
Alltag bewußt zu sprengen?
GABRIEL: Welche Arten von Minen habt ihr denn zu
Hause?
GABRIEL: Solche Alltagsbanalitäten führen zu den
größten Auseinandersetzungen innerhalb der
Beziehung. Man müßte sich dann aber fragen, ob
nicht auf die Dauer das anfänglich
überschwengliche Liebesgefühl dadurch so sehr
abgenutzt wird, daß am Ende nichts mehr
übrigbleibt außer einer Beziehung ohne Bodensatz,
ohne Essenz.
GABRIEL: Dürfen wir das als Generalangriff auf
alle Versuche betrachten, den Beziehungsalltag
ästhetisch zu verfeinern?
GABRIEL: Wir können jetzt vielleicht fragen, wie
es mit der Verdauung des Festessens aussieht. Ich
meine den gesamten Verdauungsapparat, der die
Intimsphäre des einzelnen betrifft. Könnte man
nicht sagen, daß, wenn man sich in diesem Bereich
dem anderen gegenüber öffnet, die Beziehung sich
in entscheidender Weise festigt?
GABRIEL: Der Bereich ist ein exquisit vertrauter
und in der Regel nicht sexuell besetzt.
GABRIEL: Das ist der Einbruch des radikal
Disharmonischen in die funktionierende
Zweierbeziehung. Dem ist nicht vorzubeugen.
GABRIEL: Da bin ich weiblicher als du. Ich liebe
es, Staub zu saugen. Es ist ein wollüstiger Akt.
Man muß nicht einmal sehen, was man wegsaugt, es
ist eine Frage der Empfängnis.
GABRIEL: Eine andere Möglichkeit der
Konfliktbeseitigung wäre, die Tür hinter sich
zuzuknallen und für ein paar Stunden oder Tage
wegzubleiben. Das hätte wahrhaft kathartische
Wirkung.
GABRIEL: Aber was geschieht, wenn ein Paar aus der
großen Verliebtheit erwacht und die Geschichte
plötzlich Risse bekommt?
GABRIEL: Am Anfang waren sie zu zweit, und
plötzlich sind sie zu dritt. Ohne Kind, dafür mit
Nebenbuhler oder Nebenfrau. Was tun? Hält man
still, oder schaut man der Bescherung zu? Wenn ja,
wie lange? Wie geht man mit dem Prinzip des
Dritten in einer Beziehung um?
GABRIEL: Nach welchen Kriterien sucht man sich
Freunde aus? Wie allen Realitäten des
Gefühlslebens entzieht sich die Freundschaft
häufig dem Zugriff des Verstands.
GABRIEL: Diese Auffassung kann aber nicht von
denen geteilt werden, die jede Freundschaft als
die Verkleidung einer homosexuellen Anziehung
ansehen. Solche Freunde kennen die Qual der
Eifersucht. Statt miteinander das Transzendente zu
suchen, halten sich beide gegenseitig für das
Transzendente. Das kann nur zu Enttäuschungen
führen und früher oder später zum Zerbröckeln der
Freundschaft.
GABRIEL: In den 70er Jahren haben viele Menschen
keinen Widerspruch zwischen Freundschaft und
Sexualität gesehen. Sie dachten, daß eine innige
geistige Begegnung sie zwangsläufig dazu bringen
würde, auch die körperliche Begegnung zu suchen.
Man ging sehr schnell mit Freunden ins Bett.
GABRIEL: Du weißt doch besser als ich, daß eine
inzestuöse Bindung mit der Mutter die platonische
Liebe möglich macht. Deine Verehrer haben alle
einen Mutterkomplex. Sie haben Angst, sich
festzulegen, drücken sich um die Verantwortung und
brauchen den Ehemann als Konkurrenten. Das ist
doch alles füchterlich ödipal!
GABRIEL: ...und die Rivalität zu König Marc, dem
Ehemann. Der Kampf gegen das patriarchalische
Gesetz, das der König verkörpert.
GABRIEL: Seltsam, daß wir von einer Macht
sprechen, einem dritten Moment, einem Reiz. Es
scheint mir wichtig zu klären, worin dieser Reiz
eigentlich besteht.
GABRIEL: Es gibt Mächte, die die Heimlichkeit
zerstören.
GABRIEL: Mir gefällt dieser poetische Aspekt. Das
Schreiben unzähliger Briefe, die Beschreibungen
deiner derzeitigen Lebenslage und deiner Gefühle,
geben einer Beziehung eine andere Dimension. Immer
wieder erfindet man neue Kosenamen, und du
kicherst vor dich hin, wenn du dir ihre Reaktion
auf einzelne Passagen in deinem letzten Brief
vorstellst. Die täglichen Gänge zum Briefkasten,
das fieberhafte Lauschen auf das Klappern des
Briefkastendeckels. Wehe, dieses Klappern bleibt
einmal aus!
GABRIEL: Ich hatte zwei Freunde, die immer wieder
die gleichen Frauen begehrten. Früh morgens fuhren
sie Brötchen aus, der eine von vier bis sieben,
der andere von sieben bis zehn. Um sieben wurde
der Platz im Bett getauscht. Die Frau blieb
liegen. Im Grunde waren alle Frauen ein Alibi für
ihre nicht ausgelebte Homosexualität.
GABRIEL: Nicht das Begehren nach dem Objekt der
Liebe ist in der Dreiecksbeziehung wesentlich,
sondern das Duell mit dem Rivalen.
GABRIEL: Ist das Untreue? Wenn man ehrlich ist,
muß man mit Retourkutschen rechnen, und davor hat
man Angst. Man nimmt dem Partner die Freiheit,
adäquat zu reagieren und zu entscheiden. Eine
Bekannte hatte eine Affäre, von der sie allen
gemeinsamen Freunden unter dem Siegel der
Verschwiegenheit erzählte. Der Partner wurde zum
Dorfgehörnten, das preisgegebene Geheimnis stellte
ihn ins gesellschaftliche Abseits.
GABRIEL: Ausgeglichene Konten sind für mich extrem
wichtig. Als ich erfuhr, daß plötzlich in Dritter
im Spiel war, dauerte es nicht lange, und wir
waren zu viert.
GABRIEL: Ich habe die andere nicht benutzt. Die
Beziehung war sehr intensiv und liebevoll.
Außerdem hatte sie selbst auch einen Freund.
GABRIEL: Diese Zeit habe ich nicht bereut.
GABRIEL: Dazu würden Jules und Jim vermutlich
sagen: Treue ist Faulheit. Können die Menschen
überhaupt zu zweit sein?
GABRIEL: In welcher Form?
GABRIEL: Auch die Eifersucht kann zu einer folie
deux führen.
GABRIEL: Darüber sprechen wir nach dem Ende des
Buches.
GABRIEL: Was haltet ihr davon, wenn das Tagebuch
zur vertrauten Person wird, der man die
Alltagsprobleme mit dem Partner anvertraut?
GABRIEL: Ein exzellentes Bild, dieser Wegfall der
Geschäftsgrundlage. Der Partner verändert
plötzlich sein Aussehen, nimmt in Windeseile an
Gewicht zu, so daß er nicht wiederzuerkennen ist.
Ein Freund beklagte sich darüber, daß seine Frau
im ersten Jahr nach der Heirat 20 Kilo zugenommen
hatte. Er fragte sich, ob er nicht die Gültigkeit
der Ehe anzweifeln mußte.
GABRIEL: Oder eine anfängliche Differenz schwindet
langsam, wenn sich zum Beispiel ein 15jähriges
Mädchen in einen doppelt so alten Mann verliebt,
mit der Zeit jedoch zunehmend die Bewunderung für
ihn verliert, als sie merkt, daß auch er nur mit
Wasser kocht. Wenn man Gott das Wasser reichen
kann, fällt er vom Himmel.
GABRIEL: Eine Beziehung zu einem sehr viel
jüngeren Menschen birgt Risiken. Was zunächst
Labsal für denjenigen ist, dessen Jugend im
Schwinden begriffen ist, wird im Laufe der Zeit
die Konfrontation mit einer anderen Generation.
GABRIEL: Das geschieht sehr häufig in der späten
Phase, nach fünf, sechs Jahren oder im verflixten
siebten, wenn jegliche Dynamik stillgelegt ist,
die Liebe fest im Fett der Gewohnheiten sitzt und
der andere zu einem Bestandteil meiner Identität
geworden ist. Dann habe ich ihn vollends
absorbiert, habe ihn zur Grundkonstante meines
eigenen Daseins und damit gänzlich bewegungslos
und unveränderbar gemacht. Die Liebe ist in diesem
Stadium petrifiziert, der Geliebte wird zur
Statue.
GABRIEL: Liebe ist aber Veränderung. Der Partner
wird zum Sprungbrett, das mich in die Zukunft und
unter die Menschen wirft. Wenn wir den Partner in
einer statischen Rolle festschreiben, geht die
Liebe zu Ende. Dann ist der Mensch für uns
erledigt.
GABRIEL: Ein über sich selbst lachender Penis
wider den tierischen Ernst der Sexualtherapeuten.
Köstlich!
GABRIEL: Bei wem?
GABRIEL: Und wie reagiert die Frau darauf?
GABRIEL: Unerträglich, diese Vorwürfe aus
Urzeiten, Jahre oder Jahrzehnte alt! Plötzlich
liegen sie während der Auseinandersetzung auf dem
Tisch, frisch wie gerade gelegt. Dann hört man,
daß man schon immer so gewesen ist, sich nie
geändert hat und sich nie ändern wird. Zum Schluß
kommt der Blick ins Familienalbum der brüskierten
Gefühle, der temporären Fehltritte und der
zeitweiligen Lieblosigkeiten, alles unendlich
losgelöst von dem augenblicklichen Empfinden.
Nichts ist tödlicher für die Liebe als die
Zerrspiegel mit den Bildern von damals.
GABRIEL: Aber worauf denn nun eigentlich? Wie
sieht sie denn aus, die Verwilderung der
Beziehung?
GABRIEL: Aus einem Streit kann eine Trennung
werden, ein Abschied auf Zeit oder für immer. Geht
so etwas Knall auf Fall oder steht die Intensität
der Trennung in einem Verhältnis zu der des
Anfangs, als man zueinander fand? Je intensiver
der Anfang, desto spektakulärer das Ende? Wie
sieht die große Revolte aus?
GABRIEL: Verhaltene Ruhigstellung versus
überstürzte Aktion?
GABRIEL: Mit anderen Worten: man muß sich immer
wieder trennen, um sich auch lieben zu können.
GABRIEL: Die Liebe verwandelt den anderen in ein
mysteriöses Wesen, das man nicht besitzen kann und
von dem man getrennt bleibt. Vielleicht ist gerade
das die Liebe: Sich in einem gleichen Raum
aufzuhalten, sich in der Nähe des Geliebten zu
befinden, der sich seinerseits seinen Dingen
widmet und zuläßt, daß die Trennung in die Liebe
integriert wird statt zu ihrer Auflösung zu
führen, wenn die erzählerische Ordnung der Passion
umgestoßen wird.
GABRIEL: Ist das ein prinzipieller Makel? Die
geforderte Autonomie des liebenden Subjekts ist
doch ein längst durchschauter Mythos, der in der
antibürgerlichen Revolution errichtet worden ist.
Warum immer diese Dichotomien? Ich habe auch in
meiner Partnerschaft ein ganz eigenes Leben,
eigene Interessen und ein selbstreflexives
Verhältnis zu dem, was ich tue, fühle, will. Ich
gebrauche den anderen nicht, brauche ihn aber von
jeher, weil ich mir ein Leben ohne Dialog nicht
vorstellen kann oder will.
GABRIEL: Wie war es, als du zurückkamst? Genauso
wie vorher?
GABRIEL: Ja, man muß irgendwann und immer wieder
mal den Tisch ganz abräumen. Aber wie groß ist der
Verlust, der entsteht, wenn plötzlich der einzige
und intimste Zeuge der eigenen Vergangenheit
wegfällt, nur noch die subjektive Erinnerung
bleibt?
GABRIEL: Was doch nichts anderes heißt, als daß
ich mit der Entscheidung zu gehen, erst über die
Interpretation der vergangenen und nicht
ausgelebten Ereignisse entscheide. Ich fixiere sie
auf das Ende hin und beraube mich damit der
Möglichkeit, über meinen Lebensweg noch einmal
anders entscheiden zu können.
GABRIEL: Geht das so abrupt?
GABRIEL: Die Schlüssel zur Wohnung des anderen,
die noch so lange von Bedeutung sind, wie der
andere noch Schlüssel zum eigenen Ich zu sein
scheint.
GABRIEL: Noch einmal: Was muß man einpacken, um
wirklich zu gehen?
GABRIEL: Die Qualität des Geschehens zwischen mir
und der anderen ist dann prinzipiell voraussehbar.
Es gibt keine Eventualitäten, keine Ein- oder
Ausbrüche mehr, keine Möglichkeit der Fremdheit
zwischen uns. Die Geliebte muß für mich in meiner
Phantasie offen bleiben für ein unerwartetes Ja zu
einer neuen Lebensentscheidung oder für ein
plötzliches Nein zu einer schleichenden Anpassung
an das, was man so tut. Wird sie zum Typus, dann
ist Bewegung nicht mehr denkbar, dann senken sich
die Schatten.
GABRIEL: In der Situation des Zweifelns macht man
also vergleichende Forschungen?
GABRIEL: Die Tränen um den anderen. Sind sie nicht
ein Schleier, um den anderen nicht mehr sehen zu
müssen? Man weint nie um den Verlust, das ist die
pure Selbsttäuschung, jedenfalls wenn man selbst
verläßt. Man weint, um den anderen nicht mehr
sehen zu müssen, weil es nur um einen selbst geht.
GABRIEL: Ende.
GABRIEL: Wer akut verliebt ist, ist fähig, alle
bisherigen Beziehungen zu sprengen.
Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber
den Zurückgelassenen – Partner, Familie, Freunde –
sind mitunter erstaunlich. Verliebte gelten als
unberechenbar und verrückt. Woher stammt die Kraft
der Verliebtheit, warum wird in einem Leben eine
Zäsur gesetzt, woher die Schlaflosigkeit und die
Appetitlosigkeit? Aus welchen Quellen speist sich
der Wahn?
GABRIEL: Wir wollten nicht über Einmaligkeiten
oder Häufigkeiten von Gefühlen sprechen, sondern
über das Unvorhersehbare, das Launenhafte und das
Flatterhafte, das die Verliebten umtreibt. Woher
also die Nähe zur Psychopathologie?
GABRIEL: Aus dem animalischen Zustand hat sich der
Mensch längst herausentwickelt. Er ist von Natur
aus gesellschaftlich, und seine Sexualität ist es
auch. Sexualität ist eine gesellschaftliche
Kategorie. Der Sex ist wie der Mensch oder das
Soziale möglicherweise vergänglich.
GABRIEL: Verliebtheit auf Sex zu reduzieren,
greift zu kurz. Sex ist zwar gut für
schwindelerregende somatische Sensationen, doch er
erklärt die Ungeduld, die Weinkrämpfe, die
Ohnmachten und die Verausgabung ebensowenig wie
die Veränderungen in unserer Wahrnehmung und in
unserer Gedankenwelt. Die Bilder des Geliebten
beherrschen die letzten Gedanken vor dem
Einschlafen und den ersten Gedanken nach dem
Aufwachen. Diese Allgegenwart der Bilder wird
später nur durch eine sehr starke Eifersucht
erreicht. Und durch die Angst vor Krankheit und
Tod. Schon aus dem Zusammentreffen dieser sehr
unterschiedlichen Ursachen ersehen wir, daß das
Verliebtsein an die Substanz geht.
GABRIEL: Wir haben über die Schatten der
Vergangenheit gesprochen, die in allen Stadien
unserer Liebesbeziehungen über uns kommen.
Vergessen haben wir darüber die prägenden
Einflüsse aus der von uns imaginierten Zukunft,
die ebenso real sind wie das Vergangene. Auch
deshalb darf man die Erklärung des Phänomens Liebe
auf gar keinen Fall der Psychoanalyse überlassen.
Nicht das Gestrige im Unbewußten ist die Dimension
der Verliebten, sondern das Vorbewußte, die
Dämmerung nach vorwärts. Dort liegt der Geburtsort
des Neuen. Dorthin wollen die Verliebten.
GABRIEL: Weiß ich, wer ich bin? Ich bin doch jedes
Mal ein anderer, mit jedem Partner ein neuer
Spielball der Reize, der Zuschreibungen und
Versuchungen und vor allem Spielball dessen, was
der Partner von mir glaubt. In der Verliebtheit
wird eine Kernfrage des Selbst-seins auf die
Spitze getrieben. Im Steppenwolf steht dazu: "Es
ist ein, wie es scheint, eingeborenes und völlig
zwanghaft wirkendes Bedürfnis aller Menschen, daß
jeder sein Ich als eine Einheit sich vorstellt, wo
doch kein Ich, auch nicht das Naivste, eine
Einheit, sondern eine höchst vielfältige Welt, ein
Sternhimmel, ein Chaos von Formen, von Stufen und
Zuständen, von Erbschaften und Möglichkeiten ist."
GABRIEL: Softe Sprüche wie "Weißt du, ich möchte
mich eigentlich nicht binden" oder "Es ist besser,
wir legen uns nicht fest" hasse ich. Mit einer
Ausnahme: Wenn sich beide auf die
Unverbindlichkeit einigen. Erhebt aber nur einer
der Partner die Unverbindlichkeit zum Prinzip,
gibt es zwei Varianten. Im besseren Fall ist es
ein Zeichen von Unsicherheit, die aus Angst vor
Enttäuschung die erreichbaren Ziele tief ansetzt.
Im schlechteren Fall ist es ein mieses Spiel, um
den anderen von Beginn an in die schwächere
Position hineinzudrängen. Das bedeutet Machtkampf
vom ersten Tag an.
GABRIEL: Natürlich, Gefühle wachsen an
Hindernissen. Doch die Widerstände sollten von
außen kommen. Eltern, die sich gegen die Beziehung
sperren oder auch Freunde, die den Partner als
Eindringling in die gewohnte Clique empfinden.
Gegen die kann man sich solidarisieren. Das
schweißt zusammen.
GABRIEL: Also ohne Widerstand keine Liebe?
GABRIEL: Dein Sprengstoff erinnert mich an einen
Leitsatz von vor zwanzig Jahren. Die
Universalbegründung allen Handelns war damals, daß
die Jugend zum Unterlaufen des Bestehenden
bestimmt sei.
GABRIEL: Könnt ihr euch in Menschen verlieben, die
ihr seit langem kennt?
GABRIEL: Solange diese Fragen nicht beantwortet
sind, stehen erhebliche Hindernisse vor der
Wunscherfüllung.
GABRIEL: Das gehört aber schon zu einer späteren
Phase der Beziehung. Das Faszinierende in der
frühen Zeit des unbeschwerten Verliebens ist doch
die Tatsache, 'ich bin' sagen zu dürfen, statt
immerzu nur die Interpretationen deiner selbst von
den anderen zu hören, die unendlichen Litaneien
des 'du bist...'. Keine Frage: das funktioniert
mit dem Unbekannten, dem ich mich so präsentieren
kann, wie ich mich in der augenblicklichen
Lebensphase fühle. Verliebtsein ist ein Fest der
Gegenwart. Das kühlende Wasser des Neubeginns
spült von uns den klebrigen Schweiß der
Vergangenheit. Endlich kann ich mich in einem
Menschen so wiederfinden, wie ich mich sehe.
GABRIEL: Kaum eine Biographie, die nicht über
Zeiten berichtet, in denen der gegenseitige
Treueschwur lax interpretiert wird. Die
sporadischen Untreueattacken sind von der
systematischen Untreue natürlich streng zu
differenzieren.
GABRIEL: Die in einem langweiligen Leben gefangene
Kreatur auf der Suche nach einer Ich-Variante, die
gehetzte Selbstverwirklichung als graue Eminenz
bei der Inszenierung altruistischen Liebeswahns...
Nicht schlecht!
GABRIEL: Am Anfang unserer Verliebtheit stehen nur
wir allein im Mittelpunkt des Geschehens. Wer denn
sonst? Etwa die Geliebte, die wir nicht kennen und
von der wir nicht wissen, was sie fühlt, wie sie
denkt und woran sie glaubt? Wo soviel Fassade ist,
fällt das Gefühl auf sich selbst zurück, wird der
Zuschauer zum Protagonisten. Ich habe nichts
dagegen, daß Verliebtheit sich als rauschendes
Fest unserer Individualität entpuppt. Die
Vorstellung eines rasenden Gefühlssturms, der auf
sich selbst zurückfällt, finde ich sogar
faszinierend.
GABRIEL: Die platonische Idee von dem in zwei
Geschlechter gespaltenen Wesen, das sich in der
Liebe erneut vereint, das Androgyne, hat die
ersten Jahre unserer Geschichte entscheidend
bestimmt.
GABRIEL: Die meisten dieser Todesbilder sind
natürlich Metaphern. Liebe und Tod sind so eng
beieinander angesiedelt, weil jede Trennung ein
kleiner Tod ist und jede Trennungsphantasie daher
Todesängste auslöst.
GABRIEL: Wir sollten nach unserem Gespräch die
Lebensentwürfe überprüfen. Sich verlieben als
Erneuerung, als Expedition in die Neugeburt, das
könnte einem Leben ungeahnte Möglichkeiten
erschließen.
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