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Beiträge von HECTOR
HECTOR: Was ihr sagt, hört sich für mich wie das
Diktat der Liebe auf den ersten Blick an. Für mich
ist die Begegnung ein Spiel, sie ist eine
Inszenierung mit mir und dem anderen in den
Hauptrollen. Sie kann über Wochen, Monate und
Jahre fortgesetzt werden. Das Spiel hat keine
festen Regeln, sie werden erfunden und wieder
gebrochen. Zwei Menschen suchen sich, weichen sich
zunächst aus, gehen sich sogar bewußt aus dem Weg,
um schließlich noch vehementer zum großen Angriff
zu starten.
HECTOR: Über unsere fünf Sinne saugen wir den
anderen auf.
HECTOR: Beim ersten Blick siehst du das Äußere als
Gesamtheit, erst auf den zweiten Blick die
Gesichtszüge. Die Sinnlichkeit einer Geste kann
grenzenlos faszinieren. Mir fällt ein Beispiel aus
der Literatur ein: Ein junges Mädchen sitzt auf
dem Bett, greift mit den Füßen zu den Trauben und
ißt sie.
HECTOR: Und doch entscheiden nicht nur die drei
Sinne über Gedeih und Verderben möglicher
Bewerber. Denkt an die Phantasie! Man kann sich in
Menschen verlieben, von denen man nur aus
Erzählungen gehört hat.
HECTOR: Das blitzartige Verlieben geht meist
über's Auge. Erliegt die Liebe der Schönheit?
HECTOR: "Denn wenn der Smaragd durch seine
herrliche Farbe dem Gesicht wohltut, ja sogar
einige Heilkraft an diesem edlen Sinne ausübt, so
wirkt die menschliche Schönheit noch mit weit
größerer Gewalt auf den äußern und innern Sinn.
Wer sie erblickt, den kann nichts Übles anwehen;
er fühlt sich mit sich selbst und mit der Welt in
Übereinstimmung." Wahlverwandtschaften.
HECTOR: Ich habe eine panische Angst vor zu großen
Brüsten...
HECTOR: Eines meiner Ausschlußkriterien sind große
Brüste. Schon als Kind hatte ich Angst, daß die
Brüste meiner Oma mich erschlagen könnten. Meine
Oma war eine sehr breite und massive Frau, die ich
immer nur von unten sah. Ihre Brüste schienen
riesig und bedrohlich. Ich dachte, sie fallen mir
irgendwann auf den Kopf.
HECTOR: Außerdem gibt es Menschen, die sich selbst
nur mit der Intensität lieben, mit der andere sie
lieben. Sie haben nicht das Bedürfnis zu lieben,
sondern geliebt zu werden, und lassen sich
diejenigen gefallen, die ihnen Liebe anbieten.
HECTOR: Kann man Menschen erobern? Können wir
Liebe hervorrufen, wenn wir wissen, was wir
wollen, der andere von seinem Glück aber noch
nichts ahnt? Wie lernt man die Kunst des
Sich-Hineinspielens in das Leben eines anderen
Menschen?
HECTOR: Wir reden jetzt aber über Verführung und
nicht über Liebe. Der Verführer ist doch nur ein
Stratege, der zudem nicht gerade wählerisch ist,
wenn er alle Frauen liebt.
HECTOR: Wenn ich das richtig verstehe, wird die
Verführung hier als etwas Weibliches definiert.
Gehört die Schönheit auch zur Verführung?
HECTOR: Ihr seid beide kastrierende Frauen. Ihr
verfallt dem Weiblichen im Mann, also dem Schönen,
und die Schönheit ist eine Kastration der Sprache.
Sie schneidet mir die Rede ab.
HECTOR: Können wir die Verführung nicht präziser
fassen? Gibt es denn überhaupt keine Strategien?
HECTOR: Am Abend treffen sich am Fluß die
Spaziergänger mit ihren Hunden. Die Hunde bändeln
an, und Herrchen und Frauchen dackeln hinterher.
HECTOR: Bei uns waren es auch die Blumen. Als ich
aus den Ferien zurückkam und nicht wußte, wie es
mit uns weitergehen sollte, stand sie plötzlich
da, braungebrannt, mit leicht herunterfallendem
Haar und mit einem ganz anderen Blick als sonst.
In der Hand hielt sie einen Blumenstrauß. Da war
mir klar: Ich würde sie zum Essen einladen, und
wir würden den Abend bei ihr oder bei mir beenden.
So entstand plötzlich neues Leben für mich, es war
die Urszene unserer Liebe; zwar nicht das erste
Zeichen, aber das Urzeichen. Ich war natürlich
beleidigt, als ich später erfuhr, daß sie die
Blumenstraußszene bereits mit einem anderen Mann
aufgeführt hatte.
HECTOR: Mir ist dieses Jägerdasein unerträglich.
Schon sehr früh wußte ich, daß die wahre
Souveränität im aktiven Warten liegt. Ich mag es
überhaupt nicht, hinter jemandem herzulaufen.
Lasset die Frauen zu mir kommen...
HECTOR: Eroberung wird mit langem Atem geplant.
Die Liebe inspiriert die Dichter, die Erfinder und
die Politiker.
HECTOR: Was interessieren uns die anderen. Ich
möchte jetzt öffentlich für den dialektischen
Dreischritt der Verführung eintreten: Stimme,
Therapie und Witz. Du erotisierst sie mit deiner
tiefen Stimme. Du therapierst sie mit der Geduld
deiner Aufmerksamkeit. Du eroberst sie mit deinem
sprühenden Witz.
HECTOR: Hast du ein erotisches Gefühl verspürt,
als du diese Briefe geschrieben hast?
HECTOR: Eben, der Fehl an seinem Platz.
HECTOR: Ich finde das auch unerhört erotisierend,
wenn ich ungewollt Zeuge beim 43. Drehversuch
werde: Reifer, erfolgreicher Mann verkündet
junger, attraktiver Dame die Großtaten seines
Lebens.
HECTOR: Eine unendliche Peinlichkeit! Die lässige
Rhetorik, die Eleganz der erfolgsgewohnten Gestik,
eine Sprache, die das, was beeindrucken soll, in
die Nebensätze packt. Und die Frau geduldig und
ganz Ohr, mit ehrfurchtsvollem Blick,
schmeichelnden Lippen und kreischender
Begeisterung, die den Alten wie mit
Peitschenhieben in die Höhen orgiastischer
Ego-Salberei emportreibt. Der Schleier des
Fraulich-Süßen verdeckt derweil den ironischen und
gnadenlosen Spott: Es sind die Klimmzüge eines
kranken Mannes, eines Clowns, der sich abrackert
und dem die Farben der heiteren Maske im Gesicht
zerfließen.
HECTOR: Bloch.
HECTOR: Dann fangen wir mit dem Streicheln der
Kleidung an. Hat sie ein Staubkorn auf ihrem
Kleid, so entferne es mit einer zärtlichen Geste.
Hat sie keins, entferne es trotzdem.
HECTOR: Das sind Sternstunden im Leben.
HECTOR: Sexualität ist zunächst ein Phänomen jedes
einzelnen Körpers, nicht erst der Liebe. Dein
Körper erregt sich und verlangt zur Befriedigung
nach einem anderen Körper. Da erst kommt der
andere ins Spiel. Und das Verhältnis zum anderen
beim Sex muß nichts mit Liebe zu tun haben. Von
sich aus schert sich die Sexualität kein bißchen
um die Liebe.
HECTOR: Hat diese Nähe und Geborgenheit nicht auch
in der letzten Vereinigung ihr Urbild und Vorbild?
Genau darum geht es doch, wenn man zusammen
schläft.
HECTOR: Das ist mir zu draufgängerisch. Ich habe
eher das Bedürfnis, unmittelbare Lust in Spielen
auszudrücken, die sowohl sprachlich als auch
körperlich sein können und trotzdem eine gewisse
Distanz wahren. Lust, die in einem spielerischen
Wechsel von unmittelbarer Erfüllung und
Verzögerung besteht, in Wortspielen, in kleinen
Aggressionen und Offensiven, dann wieder in der
Zurücknahme und Zärtlichkeit. So eine Art
kultiviertes Spiel.
HECTOR: Aber gerade Berührungen einzelner Punkte
lassen den Körper als Ganzen vibrieren. Von der
einzelnen Stelle aus verbreitet sich zauberartig
ein elektrisierendes Gefühl über den ganzen
Körper. Schon eine flüchtige Berührung löst diese
Wirkung aus.
HECTOR: Eben. Es muß bei Sexualität nicht um Liebe
gehen. Zwei erregte Körper können zusammenfinden
und Befriedigung haben, Affären und
One-night-stands. Ich bin dagegen, das zu
diskriminieren. Dieses Gerede von der neuen Treue,
der strengen Bindung des Sex an die 'wirklich
ernsten' Gefühle füreinander und sogar an die Ehe
– gräßlich! Man greift auf moralische Werte der
fünfziger und sechziger Jahre zurück. Aids ist da
nur ein Vorwand. Aids hindert Promiskuität nicht.
Aber bitte Safer Sex.
HECTOR: Eine bestimmte Qualität muß der Sex
behalten. Sex bleibt ein Zeichen für den Zustand
einer Liebe. Wenn er fade wird, ist es vorbei.
HECTOR: Das erste halbe Jahr läuft der Sex, da
liegst du jeden Tag im Bett, wenn es das Leben
zuläßt. Dann kommt ein halbes Jahr, das in Ordnung
ist, und dann kommen noch zwei bis drei Jahre, in
denen man es erträgt. Und dann...
HECTOR: Ich weiß gar nicht, ob es ein natürliches
und zwangsläufiges Nachlassen der sexuellen
Anziehung geben muß. Bei mir ist das anders:
Sexualität vollzieht sich in Zyklen. Es gibt die
Lustphase, in der ich alle drei Stunden könnte.
Das dauert drei Tage, und danach ist es für Wochen
vorbei.
HECTOR: Was beiden gefällt, ist erlaubt. Wenn die
Wünsche einander entsprechen, wenn man nach dem
Sex kein medizinischer Fall ist und sich niemand
als Opfer seiner Leidenschaften sieht, geht alles.
HECTOR: Ich finde, daß der Grundakt gesichert sein
muß. Der Grundakt ist die Kopulation. Alles andere
ist zweitrangig. Der Mann muß sich abreagieren
können, damit es sich nicht aufstaut.
HECTOR: Natürlich mußte die Frauenbewegung
herausstellen, daß die gesellschaftlichen
Vorstellungen von der Frau, von ihrem Körper und
ihrer Sexualität nicht von der Natur angelegt
waren. Männer und Frauen müßten alles noch einmal
diskutieren, in einer entspannteren Situation.
HECTOR: Da hätten wir einen Unterschied, der in
der Anatomie liegt und vielleicht weitreichende
Folgen hat. Der Mann kennt ein Zentrum und hat ein
Primat, die Frau viele kommunizierende Punkte.
HECTOR: Weil die Frauen nichts von uns wissen. Es
gibt unüberbrückbare Abgründe zwischen den
Geschlechtern. Allein die Art zu berühren, zu
tasten. Der Mann tastet anders, wäscht sich
anders, betrachtet sich anders. Der Mann erreicht
sein ganzes Geschlecht, kann sich überall
berühren, wird überall berührt und gesehen. Das
körperliche und sexuelle Empfinden hat ja auch mit
Autoerotik zu tun.
HECTOR: Wenn der Mann die Frau anfaßt und
streichelt, empfindet er sie anders als seinen
eigenen Körper. Es ist das ganz Fremde.
HECTOR: Was wissen wir schon in Bezug auf
Körperlichkeit vom anderen? In den entscheidenden
Punkten nichts! Als Mann weiß ich nur: Wir haben
die Erektion. Und wir haben auch die Erschlaffung.
Wir haben dieses Moment der Hochzeit. Aber was
wissen wir von den Frauen. Sie können uns
erzählen, was sie wollen, können behaupten: "Wir
waren erregt und hatten auch einen Orgasmus." Ich
habe mir immer eingebildet zu wissen, wann eine
Frau den Höhepunkt hat. Mittlerweile glaube ich an
gar nichts mehr.
HECTOR: Eben. Und selbst die emanzipiertesten
Frauen kommen auf dich als Mann mit den alten
Vorstellungen von männlicher Sexualität zu, zum
Beispiel, daß der Mann immer kann und will. Die
Erektion ist eine Selbstverständlichkeit.
HECTOR: Der Mann erleidet den Alptraum, daß der
Samen zurückfließt, daß er nicht bewahrt wird,
einfach abstirbt.
HECTOR: Und die Frau geht ins Bad, schließt die
Türe hinter sich und duscht sich ab.
HECTOR: Männer tropfen doch auch.
HECTOR: Aber Stunden.
HECTOR: Neulich saßen wir zusammen auf einer
steilen Felsenklippe. Tief unten schäumten die
Wellen des Meeres gegen die zerklüfteten Felsen.
Wir saßen nicht nebeneinander, sondern
hintereinander. Plötzlich stellte ich mir vor, daß
sie mir von hinten einen Stoß verpaßt. Ich sah
mich stürzen, rauschhaft in die Tiefe des Wassers
hinunter, ohne Halt. Mein letzter Gedanke: das
Nichts. Ich steigerte mich so sehr in diese
Phantasie hinein, daß ich schließlich fürchtete,
sie könnte es jeden Augenblick tun. Ein paar Tage
später erzählte sie mir, daß sie eben diese
Phantasie tatsächlich gehabt hatte.
HECTOR: Was fasziniert dich an Beinen? Sind das
auch die Strümpfe und die Schuhe mit den spitzen
Absätzen?
HECTOR: Worüber man nicht reden will, darüber
sollte man auch schweigen. So heißt es doch schon
bei Wittgenstein.
HECTOR: Sich Frauen in Dessous vorzustellen, hat
etwas mit Lustgewinn zu tun. Dessous bedecken, was
sie im Grunde um so mehr hervorheben. Gerade
Spitzenwäsche, die sich an den Körper schmiegt,
offenbart in der Verhüllung das Geheimnis der
Frau. Es ist ein Changieren zwischen der Begierde,
auch noch die letzte Hülle vom Leib zu reißen, und
dem Wunsch, durch die Berührung des Dessous den
weiblichen Körper zwar zu spüren und dennoch in
der Unsichtbarkeit zu lassen.
HECTOR: Essen und das Trinken gehören unbedingt
dazu.
HECTOR: Ja, zu den erotischen Phantasien. Man kann
sich doch vorstellen, daß sich über Naturalien
Assoziationsketten bilden, die sich nicht mehr
eindeutig einem bestimmten Bedeutungsfeld zuordnen
lassen.
HECTOR: Stell' dir vor, du hast Lust oder Vorlust.
Du willst kurz vorher noch etwas essen, greifst in
der Küche deiner Freundin in den Backofen hinein
und stehst plötzlich vor einem verschimmelten
Etwas, was früher einmal ein Brot war. Du schmeißt
es weg, regst dich fürchterlich – künstlich –
darüber auf und machst deiner Freundin Vorwürfe,
daß sie ständig dieses verschimmelte Zeug bei sich
herumliegen läßt. Aber danach, was ist dann? Du
hast deine Vorlust ja nicht gezügelt. Und
vielleicht ist genau dieses verschimmelte Etwas
plötzlich der zündende Funken, um alles in Gang zu
setzen, um das Weitere assoziativ zu verfolgen. Du
hast den Geruch in der Nase, – oder du erzeugst
ihn zumindest in deiner Phantasie –, hast eine
bestimmte Gewebestruktur vor den Augen und dann
den Körper vor dir. Wunderbar! Da fängst du doch
an zu grunzen, zu bellen. Du machst den Wahnsinn
mit.
HECTOR: Es gibt da noch die andere Metaphernkette.
Graf Tilli, der Kater von nebenan, sitzt am
Fenster. Er will herein. Ich weiß genau, was er
will: Milch! Dann kommt er hereingesprungen, ganz
geil, meine Freundin spurt natürlich sofort, holt
ein Tellerchen heraus, gießt Milch darauf,
frische, flüssige Milch...
HECTOR: ...stellt sie auf den Boden. Die Katze
leckt fünfmal daran, ist begeistert und springt
wieder aus dem Fenster heraus. Und was passiert
indessen? Die Milch steht wochenlang auf dem
Boden, und sie gerinnt langsam, wird fest. Welche
Assoziationen einem da kommen können in bezug auf
Sexualität, ist doch unvorstellbar.
HECTOR: Habt ihr noch nie solche Assoziationen
gehabt?
HECTOR: Nein, Gerinnung und Sex.
HECTOR: Ist denn nicht der Mann derjenige – ich
stelle einmal Spekulationen an –, der die
Flüssigkeit in Gang halten will, der Angst vor
Gerinnung hat, vor dem Festwerden? Ich habe diese
Vorstellung schon einmal gehabt.
HECTOR: Ja, und zwar in mir.
HECTOR: Männer können das vielleicht nur, wenn sie
ihre Lebensgeschichte als Liebesgeschichte
konstruieren. Da geht wohl viel von dem direkten
körperlichen Empfinden, das die Frauen mit ihrer
Vorstellung verbinden, verloren. Der Mann ist dann
der Geist, der aus seiner Geschichte Kunst macht,
und die Frau ist die Poesie.
HECTOR: Beide Phantasien, sowohl die von dir als
auch von Arthur, haben etwas Gewalttätiges.
HECTOR: Der tierische Instinkt ruft. Wir brauchen
nur an die Pferde auf der Wiese dabei zu denken,
wie der Hengst von hinten auf die Stute geht.
HECTOR: Perversionen werden auch oftmals erst in
der Rede über solche Dinge erzeugt. Wenn eine Frau
zum Beispiel sagt: "Also der hat mich wieder
genagelt!"
HECTOR: Ja, es gibt Frauen, die differenzieren
sogar sehr genau, wie sie genagelt werden. Da gibt
es Preßluftbohrer bis zu vierzig Zentimeter, die
einem Stier gleichkommen, und es gibt eben
kleinere Bearbeitungsgeräte...
HECTOR: Ich will nur sagen, daß man sich eine
bestimmte Metaphorik zurechtlegt, um die Lust zu
erzeugen...
HECTOR: Eifersucht? Petrus der Eiferer kommt mir
in den Sinn...
HECTOR: Gegen die Eifersucht bleibt sogar die
Ironie machtlos, die ganze schöne Rationalität
scheitert.
HECTOR: Aber könnte es nicht sein, daß sich in der
Eifersucht die Liebe ex negativo zeigt? Ich meine,
immer wird Eifersucht als negative Eigenschaft
dargestellt, das muß nicht unbedingt so sein, sie
kann auch eine positive Seite haben.
HECTOR: Es könnte sein, daß die Eifersucht ein Ruf
nach Liebe ist – und manchmal ein Schrei. Die
Eifersucht bleibt insofern trotz allem negativ,
als sie in solchen Fällen einen Mangel ausdrückt:
den Mangel, direkte Worte für die Liebe zu finden
oder in positiver Weise das Band zu der anderen
Person zu stärken. Um noch einmal auf Salome
zurückzukommen: Ich glaube nicht, daß es für mich
bei der Partnerwahl eine Rolle gespielt hat, ob
diese Frau mich eifersüchtig machen würde oder
nicht. Aber eine Beziehung ohne Eifersucht bleibt
für mich undenkbar. Ich bin rasend eifersüchtig.
HECTOR: Diese geradezu klassische Vorstellung ist
permanent lebendig in mir: Mann kommt nach Hause,
Frau liegt mit einem anderen Kerl im Bett.
HECTOR: Eifersucht auf die Verflossenen? Das ist
für mich ein unsinniges Thema. Das spielt doch
keine Rolle.
HECTOR: Diese Angst, uninteressant zu sein, ist
vielleicht auch gar nicht so falsch. Ich könnte
mir heute schwer vorstellen, mit einer Frau
zusammen zu sein, die keine Beziehung vor mir
hatte. Insofern kann ich nicht eifersüchtig auf
die Vergangenheit sein. Ich finde es sogar
spannend herauszukriegen, welche Erfahrungen sie
mit anderen Männern gemacht hat. Hinter der
Eifersucht auf die Vergangenheit des anderen
steckt natürlich der Mythos von der
ursprünglichen, von der ersten Liebe. Das geht
nicht auf.
HECTOR: Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist zu
klären, warum man eifersüchtig ist. Man muß das
als Faktum akzeptieren, weil es in jedem Menschen
drin ist. Niemand kann mir erzählen, daß er nicht
eifersüchtig ist. Vielleicht gilt es, die
Eifersucht umzuwerten und sie in Großzügigkeit zu
verwandeln. Dann wird es möglich, damit umzugehen.
HECTOR: Hast du dich parasitär an ihr festgesaugt?
HECTOR: Das kann gefährlich werden.
HECTOR: Eine solche Anverwandlung ist doch nur
möglich, wenn es gewisse Ähnlichkeiten zwischen
den Verflossenen gibt.
HECTOR: Endlich spricht mal jemand von der
Raserei, die körperlich erlebt wird. Ein Zittern
am ganzen Körper begleitet die starke Eifersucht,
es ist wie das Zittern desjenigen, der am Rande
eines tiefen Canyons steht, hinunterschaut und
schon am ganzen Leib den Fall empfindet. Ein
unaufhaltbarer Sturz scheint den Körper zu
bedrohen; der eine fällt angesichts dieser
Bedrohung in sich zusammen, als würde er von einem
schwarzen Loch aufgesaugt, der andere wird
tobsüchtig,
HECTOR: Du siehst also in dem tatsächlichen
'Fremdgehen' eine Art Therapie für den permanent
eifersüchtigen Partner?
HECTOR: Oh, ich kenne das: Du liegst im Bett,
deine Freundin hat eine Verabredung mit einem
anderen Mann, es wird später und später, du malst
dir die Möglichkeiten aus, die ihre frühe Rückkehr
verhindert haben könnten. Am liebsten wäre es dir,
daß er ein so langweiliger, aber zugleich zäher
Charakter ist, daß sie aus all dieser Langeweile
und Zähigkeit und wegen ihrer Höflichkeit nur
schwer einen Absprung finden konnte. Andere, für
dich weniger positive Erklärungen kommen dir in
den Sinn, doch du verscheuchst sie, bist ihnen
gegenüber richtig ungehalten. Die Uhr tickt, die
Minuten werden immer länger, die Blicke auf die
Uhr finden in immer kürzeren Abständen statt. In
dem Moment, in dem auf einmal ein Schlüssel in das
Schlüsselloch der Wohnungstür gesteckt wird, hast
du schon einen solchen Grad an Auflösung erreicht,
daß du nur noch mit letzter Kraft einen Hauch von
scheinbarer Ruhe in dir erzeugen kannst. Du nutzt
diese knappe Minute, die sie von der Wohnungstür
bis zu dir benötigt, um dir vorzunehmen, dir
nichts anmerken zu lassen. Wie beiläufig fragst du
sie nach dem Abend, gähnst, als wärst du gerade
aus tiefem Schlaf aufgewacht, sprichst mit
schläfriger Stimme. In deinem Innern aber sitzt
einer auf der Lauer wie der Fuchs auf Hasenjagd.
Kopf und Körper in gespannter Erwartung aller
möglichen und ersehnten negativen Reden über den
anderen Mann: Er soll häßlich sein, einen
schlechten Geschmack haben, ein übelriechendes
Parfüm benutzen und unmögliche politische und
philosophische Ansichten haben. Doch dann kommt
nichts von alledem: Es war ein sehr interessanter
Abend, ein anregendes Gespräch und: "Du mußt ihn
unbedingt mal kennenlernen." Da bricht es in dir
los. "Ich will ihn nicht kennenlernen! Was habe
ich mit diesem Typen zu tun!" Jetzt weiß sie
natürlich, was los ist. Du spürst, wie du im
wahrsten Sinne des Wortes 'dein Gesicht
verlierst'. Auf einmal fühlst du dich mit diesem
Ausbruch deiner innersten Gefühle häßlich werden.
Eigentlich hast du sie ja mit deinem Verhalten von
der Schönheit ihrer Beziehung mit dir überzeugen
wollen, spontan, unmittelbar, und jetzt hast du
ihr nichts anderes als den cholerischen Empfang
eines Eifersüchtigen geboten.
HECTOR: Zumindest müßte es ein Ausbrechen aus der
Starre solcher klischeehafter
Verhaltensvorstellungen geben.
HECTOR: Eine Asymmetrie in der Eifersucht gibt es
in vielen Beziehungen. Daraus erwächst oft eine
lebendige Spannung, aber auch ein Machtspiel.
HECTOR: Ja, ich denke da an die Gestaltung des
gemeinsamen Alltags. Suchen nicht eine Vielzahl
der Einrichtungen des Alltags die Möglichkeiten
für ein Eifersüchtig-Werden zu unterbinden? In
vielen kleinen Bereichen sicherst du dir nach und
nach deine Unentbehrlichkeit.
HECTOR: Man muß es so überspitzt sagen: Im Alltag
wird diese Eifer-Sucht zu einer Suche nach den
undichten Stellen in der Beziehung, die man
zukitten will, um nichts mehr anbrennen zu lassen.
Es ist ein wasserdichtes Abschotten, bis es
unaufhaltbar zerbricht.
HECTOR: Vielleicht ist die Eifersucht ein
altmodisches Gefühl, aber ich bleibe dabei.
HECTOR: Diese Phase vollzieht sich meistens
schleichend. Du spürst zwar irgendwann, daß es
nicht mehr so ist wie am Anfang, aber es sind dann
gemeinsam zu bewältigende Aufgaben da, die dich
nicht direkt auf das Problem der Abnutzung der
Beziehung lenken. Und das ist vielleicht gut so.
Wäre es anders, würden in dieser Übergangsphase zu
viele Schwierigkeiten auftreten. Die Beziehung
würde im falschen Moment in eine sehr verzehrende
Reflexivität hineingezogen werden.
HECTOR: Selbstverständlich ist es gräßlich, mit
den Eltern identifiziert zu werden. Jedoch hat der
Vorwurf manchmal auch eine positive Funktion. Er
kann dich dazu aufrufen, dich in allen
Gewohnheiten und Eigenschaften stets auf das
Überkommene hin zu prüfen. Seitdem ich zum
erstenmal gehört habe, ich sei wie mein Vater,
liege ich ständig vor mir auf der Lauer. Ich
beobachte mich beim Essen, Gehen und Sprechen.
HECTOR: Wunderbar! An diesen Beispielen zeigt
sich, daß Liebe das Ausleben des Wahnsinns ist.
HECTOR: Die Entscheidung, Tisch und Bett zu
teilen, muß nicht immer aufgrund der anfänglichen
Leidenschaft getroffen werden. Es gibt durchaus
auch andere Gründe, die sich im Laufe der Zeit
herauskristallisiert haben: eine starke Zuneigung,
der Wille zur Treue oder gemeinsame Arbeit und
Interessen. Darin drückt sich in erster Linie der
Wunsch aus, einen ganz normalen Alltag mit dem
anderen zu teilen. Und dazu bedarf es auch eines
gewissen Harmoniebedürfnisses. Ohne den Willen
dazu wäre der Alltag nicht zu bewältigen: ein
wahres Chaos.
HECTOR: Das stimmt einfach nicht. Sicherheit
bedeutet nicht, sich seiner Frau und all dessen
sicher zu sein, was zum klassischen
Rollenverständnis gehört: Treue, Weiblichkeit,
Anpassungsfähigkeit an die männlichen Ansprüche,
Hausarbeiten, Kindererziehung. Sicherheit bedeutet
vor allem, sich selbst, gerade als Mann, frei
bewegen zu können. Wie groß ist vor allem am
Anfang der Beziehung die Scham des Mannes, sich
nackt zu zeigen. Permanent begleitet einen das
Gefühl, die andere könnte ein Körperteil als
Mangel empfinden. Bevor du aus dem Bad kommst,
ziehst du schnell noch wenigstens die Unterhose
an, um nicht ganz nackt vor ihr zu stehen. Denn es
quält dich dieses Unbehagen, du könntest in dieser
völligen Entblößung etwas Lächerliches an dir
haben. Und sie tut so, als würde sie dich in
deinem halbnackten Zustand nicht sehen und schaut
aus dem Fenster. Ein Jahr später hat sich das
verändert. Du kannst plötzlich nackt vor ihr in
der Küche stehen, ohne dich deiner Habseligkeiten
zu schämen, und sie schaut dich prüfend von oben
bis unten an und sagt: "Ein paar Pfunde kannst du
dir ruhig abtrainieren." Das verstehe ich unter
Sicherheit.
HECTOR: Das Essen ist in einer Beziehung
essentiell. Bei Brot, Käse und Wein blüht die
Romantik.
HECTOR: Szenen eines Eheklos.
HECTOR: Die Toilette ist der Ort, an dem ich
frühmorgens meine besten Ideen habe; deswegen
möchte ich von niemandem dort gestört werden. Das
ist meine absolute Intimsphäre – eine Brutstätte
des Geistes. Das Klo sollte der Raum der
Imagination sein. Wenn ich dort meine Ideen
ausgebrütet habe, kann ich mich sofort an den
Schreibtisch setzen und schreiben. Das hat
sicherlich etwas mit der körperlichen Entleerung
zu tun. Je mehr Platz im Körper geschaffen wird...
HECTOR: Genau. Wenn ich dasitze, fange ich an zu
denken. Es muß etwas mit der stofflichen
Entleerung zu tun haben, daß sich im Gehirn
Energien bilden, die sich zu Ideen und Gedanken
zusammenfügen.
HECTOR: Wenn sich bei mir dieses Muß-Gefühl
einstellt, werde ich aus Denkzwängen
herausgerissen. Das hat etwas Erlösendes, denn die
Sprache, in die ich beim Schreiben hineingedrängt
werde, verfremdet immer, was ich sagen will, und
erst im Klo habe ich Freiheiten zu neuen Gedanken.
HECTOR: Dann muß man andere Maßnahmen ergreifen,
um die Harmonie wiederherzustellen.
HECTOR: Ich versöhne mich am besten mit mir und
der Welt, wenn ich mir ein Ei koche. Wenn ich den
Eierkocher aus dem Schrank hole, geschieht schon
ein hermeneutischer Vorgriff: Du weißt, was in den
fünf Minuten passiert, in denen das Ei brütet. Ist
es fertig, stellst du es in den Eierbecher,
schlägst den Kopf ab und siehst vollkommen
zufrieden: Der Dotter ist wieder gelb. Richtige
Kochzeit, richtige Konsistenz.
HECTOR: Die möchte ich nicht zur gemeinsamen
Ei-Harmonie zwingen.
HECTOR: Auf die Männer... Aber die schließen sich
zusammen, schaffen sich neue Bereiche, in denen
der tabuisierte Chauvi-Spruch wieder losgelassen
werden kann.
HECTOR: Ich weiß, welche Bilder du im Kopf hast.
Du meinst eine faschistoide Männerfreundschaft. Es
gibt aber auch wirkliche Freundschaften. Ich habe
immer großen Wert darauf gelegt, enge Beziehungen
zu Männern zu haben, weil ich mit einem Mann ganz
andere Dinge besprechen kann als mit einer Frau.
Hinzu kommt, daß ich mich bei einem Mann nicht
verstellen muß. Mit einer Frau entsteht oftmals
eine erotische Spannung, die für mich eine Art
Doppelbödigkeit darstellt. Meine Sprache verliert
ihre Eindeutigkeit in den Mäandern der
Verführungsspiele.
HECTOR: Man hat wenig echte Freunde. Freundschaft
kann in Liebe übergehen, auch in platonische oder
gleichgeschlechtliche.
HECTOR: Kurz und gut: Du machst keinen großen
Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe außer,
daß du mit deinem Partner auch schläfst.
HECTOR: Auch die Verflossenen können in einer
aktuellen Beziehung herumspuken, sogar einen
ungeheuren Einfluß ausüben. Im Grenzfall sind sie
in der Lage, die aktuelle Beziehung zu zerstören.
Nicht nur, daß sich Redensarten,
Interpretationsweisen früherer Partner
einschmuggeln und breit machen, sondern wie oft
muß in einer Partnerschaft das Unerledigte
früherer Beziehungen ausgetragen werden! Das geht
bis an den Rand des Erträglichen.
HECTOR: Können wir nicht konkreter werden? Ich
will eine Geschichte aus dem Leben.
HECTOR: Habt ihr euer Versprechen gehalten?
HECTOR: Du hast dich in beide hineinversetzt und
gedacht, das sei das Beste, was dir geschehen
konnte.
HECTOR: Ich frage mich bloß, warum der Dritte,
wenn er nicht gerade der Busenfreund ist, sich auf
solch ein Spiel einläßt, obwohl er nicht sicher
sein kann, die besseren Karten zu haben. Ich hätte
eine furchtbare Angst vor der Niederlage.
HECTOR: Eine andere Liebe nebenbei zu leben, ist
für mich nicht auszudenken.
HECTOR: Aber – um an Rebecca anzuknüpfen – mir
kommt noch eine weitere, anscheinend höchst
seltene Variante der Beziehung in den Sinn: die
glückliche.
HECTOR: Aber – um an dieses kriegerische Vokabular
anzuknüpfen – dem eigentlichen Kampf gehen Zeiten
voraus, in denen die Waffen geschmiedet werden.
Oftmals kündigt sich alles noch in recht harmloser
Weise an. Liebesbeweise werden weniger, kleine
Empfindlichkeiten werden auf einmal wichtiger,
immer schon hast du dieses oder jenes an dem
anderen nicht leiden können, aber auf einmal ist
es, als würde es mit aller Kraft hervortreten.
HECTOR: Das ist eine seltsame Botanik der Liebe,
die du hier vor uns entfaltest. Eine verkehrte
Pflanzenwelt, denn bisher war mir die Blume immer
das Zeichen der Liebe, und nun sehen wir uns hier
von Kriech- und Schlingpflanzen der Krise umgeben.
Da fehlt nur noch die fleischfressende Pflanze.
HECTOR: Ich sehe hinter dem Lesen im Tagebuch des
anderen noch andere Motive. Es ist die Suche nach
einem verborgenen Gesicht, das man intuitiv zu
spüren meint, das in der Realität des
Zusammenseins aber unsichtbar bleibt. Dieses
verborgene Gesicht liegt hinter einer nach außen
getragenen Glätte und Souveränität.
HECTOR: Genau den Satz hätte er nicht geschrieben.
In diesem Moment wäre ihm sein Tun nämlich zu
Bewußtsein gekommen. Dann hättest du ihn im
Körbchen auf dem Nil ausgesetzt.
HECTOR: Das gilt nicht nur für Beziehungen mit
einem erheblichen Altersunterschied, sondern auch
für langjährige Beziehungen. Die gemeinsame Basis,
die im ersten Jahr erarbeitet worden ist, muß
ständig neu bestimmt werden, ansonsten besteht die
Gefahr, daß die Beziehung auf Eis gelegt wird.
HECTOR: ...und nun bleibt dieses Gefühl aus. Der
Mythos verliert seine Zauberkraft. Das einzige,
was von ihm übrigbleibt, ist die Tatsache, daß er
zur bloßen Wiederholung verblaßt ist.
HECTOR: Ich weiß nicht so genau, ob dein Plädoyer
wider die Künstlichkeit beim Sex und für den
Vaginismus als Sinneslust die Krise in der
Sexualität wirklich beseitigen kann.
HECTOR: Du meinst, man kann auch zusammenbleiben,
wenn der Sex nicht mehr funktioniert?
HECTOR: Trotzdem sollte man den Verlust der
sexuellen Spannung als Krisensymptom nicht
unbeachtet lassen. Stell' dir vor, du merkst nach
einem Jahr, daß die Lust des Anfangs bei deiner
Partnerin nachgelassen hat. Die sexuellen Kontakte
automatisieren sich allmählich, leben nicht mehr
von der Phantasie der ersten Berührung. Dann
verweigert sie sich zum erstenmal. Immer hast du
davor Angst gehabt, daß es passieren würde...
HECTOR: Dann beginnst du, dir einzureden, daß es
Wichtigeres als die Sexualität in der Beziehung
gibt. Es findet eine permanente Verdrängung deiner
unbefriedigten Lust statt. Schließlich wirst du
bei wiederholten Zurückweisungen aggressiv und
beginnst, dir mögliche Vergeltungen zu überlegen.
Wenn sie dich dann vereinzelt doch noch mal an
sich heranläßt, geht es meistens schief.
HECTOR: Beim Mann. Der Druck lastet zu stark auf
ihm, dieses eine Mal erfolgreich sein zu müssen.
HECTOR: Mit scheinbarem Wohlwollen, aber innerlich
natürlich enttäuscht sagt sie: Mach Dir nichts
draus, es ist nicht so schlimm. Aber das glaubst
du ihr nicht. Und hier beginnt das Mißtrauen, daß
du nur noch schwer wieder beseitigen kannst.
HECTOR: Willst du damit sagen, daß du davor Angst
hast, deine Freundin könnte mit der Zeit
verschimmeln?
HECTOR: Der Gedanke plötzlicher Fremdheit macht
mir Angst. In einer früheren Beziehung stand
permanent ein Satz als Schatten über uns: "Es
könnte sein, daß irgendwann meine Liebe zu Dir
aufhört." Ein Satz, gegen den ich machtlos war.
Ich selbst hätte das nie sagen können und kann es
auch heute nicht. Du kannst mit dem anderen durch
alle schwierigen Situationen und Krisen
hindurchgehen, doch gegen diesen Ausspruch, der
von außen kommt, ja aus der Fremdheit des anderen,
dagegen bist du vollkommen machtlos. Das lähmt
dich.
HECTOR: Nein. Ich denke, sie hat das aus eigener
Erfahrung gesagt. Allerdings war sie jemand, der
im tiefsten Innern seines Herzens eine Leere
hatte, einen schwarzen Punkt, der auf der anderen
Seite das Zentrum ihrer Unruhe und Betriebsamkeit
war. Sie besaß keine innere Fülle, keine innere
Mitte, die ihr genügt hätte. Meine Angst, daß die
Liebe einmal aufhören könnte, bezog sich auf
dieses schwarze Loch.
HECTOR: Eine wahrhaft schauerliche Vorstellung.
HECTOR: Der Urwald tobt.
HECTOR: Spätestens hier würde ich das Spiel
beenden und meine Türe nicht mehr öffnen.
HECTOR: Es gibt auch die Möglichkeit zu
verhindern, daß der andere dieses Bewußtsein,
diesen Durchblick erlangt. Das ist am besten zu
erreichen durch eine möglichst weitgehende
Verstrickung in das Netz der giftigen Spinne.
Schon der Zweifel, der bei Außenstehenden
ausgestreut wird, zielt ja darauf ab, den anderen
nicht entkommen zu lassen.
HECTOR: Bei all diesen Schilderungen steigt in mir
so ein Gebrüll auf, das sowohl in ein Lachen, als
auch in einen Befreiungsschrei übergehen kann, der
mit einem Schlag alles beendet.
HECTOR: Wiederholungen haben doch einen
ästhetischen Reiz.
HECTOR: Gibt es in dieser Konzeption einen
Zeitpunkt, an dem du dich nicht mehr trennen mußt?
Wenn die eigene Entwicklungsfähigkeit notwendig an
die Trennung vom Partner geknüpft ist, dann werden
ja die Abschiede zum Prinzip.
HECTOR: Das ist ein Plädoyer für die Notwendigkeit
von Bildern, Vorstellungen, Projektionen vom
anderen, auch oder gerade weil man sie als solche
erkannt hat. Die Geliebte muß mir zunächst fiktiv
gegeben sein, damit ich sie in Wirklichkeit
erreichen kann. Ohne die poetische Distanzierung
gibt es keine reale Begegnung.
HECTOR: Weil es, solange ich den anderen noch
liebe, nichts Grundsätzliches jenseits der Liebe
geben kann. Die vernunftgesteuerte Wahrnehmung der
unüberbrückbaren Differenz der Lebenseinstellungen
wird durch das Gefühl, immer noch zu lieben,
aufgehoben.
HECTOR: Der andere hilft einem nie dabei, weil er
sonst zum Therapeuten wird. Und therapeutische
Beziehungen sind das Ende der Liebe. Ich habe mir
bei Trennungen immer zuerst Gedanken gemacht, wie
ich die Schlüssel wieder einfordern könnte. Das
war das I-Tüpfelchen, die Schlüssel
zurückzufordern, und ich habe es immer bis zum
letzten hinausgezögert, weil es den Charakter der
Endgültigkeit hatte.
HECTOR: In meinem Schrank hingen einmal vergessene
Sachen von drei Frauen. Eines Tages habe ich sie
weggeschmissen.
HECTOR: Welches neue Leben? Wird das Leben in der
Liebesbeziehung stillgelegt? Hält der Fluß der
Zeit an? Ich glaube, daß in diesem Gedanken
idealistische Vorstellungen von einer ewigen Liebe
nachhallen, in denen die Zeit keinen Raum hat, in
denen die Liebe absolut zu sein hat. Eine
Liebesvorstellung ohne Entwicklungs-, ohne
Zeitaspekt, weil sie ja immer schon als absolute
Liebe gedacht wird.
HECTOR: Bei denen, die verlassen worden sind,
schwankt das Spektrum der Reaktionen zwischen
totaler Ohnmacht und totaler Verausgabung. Die
Ohnmacht äußert sich in einem Gefühl von
körperlicher und geistiger Lähmung. Es ist, als ob
du deine Finger nicht mehr zu irgendwelchen
Arbeiten bewegen könntest. Du liegst auf deinem
Bett und läßt die wirren Gedanken und Bilder wie
in einem Karnevalszug an dir vorbeirauschen. Dein
einziger klarer Gedanke ist, daß du existierst.
Aber das nützt dir nichts. Schließlich stehst du
auf, gehst aus dem Haus, ohne zu wissen wohin. Du
hörst das Klacken deiner Schuhe auf dem steinigen
Untergrund, aber dieses wie alle Geräusche, die du
sonst noch vernimmst, kommen dir unwirklich vor.
Du gehst, aber du bist völlig ohne Intention, ohne
Ziel, ohne Willen. Und plötzlich senkt sich der
Himmel auf deinen Kopf herunter, die anbrechende
Abenddämmerung schleicht sich angstmachend in
deine Glieder ein. Machtlosigkeit, Dunkelheit. Es
rauscht an dir vorbei. Du kennst kein Morgen.
HECTOR: Die Zeit nach der Trennung war für mich
Surrealismus pur. Nichts, kein Ort, kein Geruch,
kein Geräusch war ohne Beziehung auf sie, es gab
überhaupt keine Gegenstände, keine Welt, sondern
nur Hinweisschilder, Zeichen, die Halluzinationen
von ihr heraufbeschwörten. All das hatte erst ein
Ende, als ich die Stadt wechselte, mir ein neues
Terrain eroberte, das nicht mit ihrer Präsenz
verwoben war.
HECTOR: Ich weiß gar nicht, ob ich das als Wahn
bezeichnen würde. Das ist doch ein Phänomen der
Pubertät. Je älter man wird, desto seltener wird
all das Absurde und Verzehrende.
HECTOR: Du kannst nicht davon ausgehen, daß das
fünfte Verliebtsein die gleichen Gefühle erzeugt
wie das erste. Der fünften Liebe können vier
schwere Enttäuschungen vorangegangen sein. Wer
bleibt davon unbeeindruckt? Liebe entsteht nicht
im geschichtslosen Raum. Eine erste überwältigende
Liebe ist nicht wiederholbar.
HECTOR: Ich will die Frage so nicht gestellt
wissen. Für mich war die Liebe stets das radikal
Uneindeutige. Liebe ist alles und nichts. Jeder
Versuch, Liebe auf irgendein Konzept festzulegen,
geht doch vollkommen daneben. Meiner Meinung nach
bringst du veraltete Vorstellungen ins Spiel.
HECTOR: Nein, warte! Was Gabriel beschreiben will,
löst doch immer nur Enttäuschung aus. Wenn
Emotionen so stark sind, daß der Sinn für die
Realität verloren geht, entstehen krasse
Fehleinschätzungen in bezug auf die gemeinsamen
Erwartungen. Dann haben wir zwei Menschen vor uns,
deren Intentionen in völlig unterschiedliche
Richtungen zielen. Das endet fatal.
HECTOR: Ich kann das jedenfalls nicht
nachvollziehen, weil ich gerade im Anfangsstadium
der Liebe oftmals schon die ganze Enttäuschung
gespürt habe, die sich in den ersten Begegnungen
einschlich. Man könnte sogar sagen, daß die Phase
der Verliebtheit bereits ein Gewebe mit Rissen
war, das sich zunächst poetisch über uns legte und
doch im nächsten Moment das Prosaische einer
offenen Verletzung darbot. Du weißt nicht, ob die
Wunden zu heilen sind. Und dennoch: Vielleicht
atmet die Liebe nur durch die Risse in der Seele
und in dem Körper der Liebenden.
HECTOR: Ich gebe Charlotte recht. Eine Begegnung
ist wie ein exzellentes Mahl. Der Reiz besteht
darin, Reihenfolge und Zeiten der einzelnen Gänge
einzuhalten. Wie war das, Salome? Ne pas mettre la
charrue devant les b ufs? Spannt den Pflug nicht
vor die Ochsen. Alles zu seiner Zeit.
HECTOR: Ich wiederhole: Der Grundakt muß gesichert
sein.
HECTOR: Das sind sehr schöne Bloch-Bilder, doch
weiß ich nicht, ob sie uns hier weiterhelfen. Wie
soll ich eine Beziehung beginnen, wenn ich noch
nicht einmal weiß, wer ich bin? Auf welcher
Grundlage sollen meine Gefühle denn aufbauen?
HECTOR: In der Pubertät habe ich auch daran
geglaubt. Mittlerweile bin ich der Meinung, daß
Hermann Hesse alles und nichts zum Thema Liebe
sagt.
HECTOR: Aber ich kann doch nicht aus meiner
bürgerlichen Maske ausbrechen! Das war vielleicht
der Fehler der 68er zu glauben, sie könnten die
Revolution machen und die Klassenunterschiede
beseitigen. Ich will niemandem Vorwürfe machen.
Doch ich kann aus meiner Situation heraus nicht
einfach so tun, als ob ich nicht aus bürgerlichen
Verhältnissen käme. Ich hänge vielleicht an dieser
bürgerlichen Vorstellung von Liebe und
Zweierbeziehung, und ich muß mich erst einmal
radikal darauf zurückbesinnen, daß ich so bin, wie
ich bin. Ich muß mit der Faktizität, mit dem
Leben, in das ich hineingeboren wurde, umgehen.
Das kann ich in der Liebe nur dann tun, wenn die
Geliebte darauf eingeht. Die Veränderung stellt
sich erst ein, wenn ich weiß, wer ich bin. Ich
weiß nicht, ob dafür Revolution das richtige Wort
ist.
HECTOR: Wobei die Verliebtheit zunächst eine reine
Projektion sein kann, ohne daß der erträumte
Partner sich mir nähert. Dann bleibt ein
Zwischenraum, in den ich bestimmte Inhalte
hineinprojiziere. Dies ist ein intensiver
körperlicher Zustand. Anders ist es, wenn ich
sofort eine reale Beziehung eingehe und damit die
Alltagsprobleme hochkommen.
HECTOR: Ohne Spannung kein Krimi.
HECTOR: Minnedienst und Liebesbeweise empfinde ich
als außerordentlich reizvoll. Die Verspieltheit
des Verliebtseins trägt zu dem Wunsch bei, dem
eigenen Leben ein neues Gewand zu geben.
HECTOR: Ob ich meine Vergangenheit am Ort der
versiegten Liebe gelassen habe, weiß ich nicht,
doch die Kleider sind dort geblieben. Ich mußte
aus ihnen ausbrechen und habe sie zurückgelassen.
HECTOR: Wollen wir daher zusammenfassen, daß die
Verliebtheit ein unerwartetes Objekt hat? Daß,
wenngleich unsere Aufmerksamkeit uneingeschränkt
dem Geliebten gilt – was wir als 'Gefühl für den
anderen' benennen –, die Emotion als Ziel doch nur
uns selbst hat? Die Geliebte als conditio sine qua
non, ohne die tatsächlich nichts geht, die im
Grunde jedoch nur den Spiegel hält, in dem die
verliebte Kreatur sich selbst-konstituierend
erhellt? Dann ist Liebe ein Eiertanz vor dem Altar
des eigenen Ego.
HECTOR: Ist es dann nicht geradezu beleidigend,
wenn man herausfindet, daß der Geliebte früher mit
jemandem zusammen war, der unmöglich war, entweder
charakterlich oder in der Erscheinung?
HECTOR: Das Gerede von Tod und gemeinsamem
Selbstmord kann ich nicht ertragen. Für mich
stellt sich diese Todessehnsucht als großes
Klischee dar. Ich kenne die romantische Liebe
auch, habe mich in Tristan und Isolde ergangen,
doch war das meistens meine eigene Phantasie, die
ich für mich allein hatte und die nicht mit einer
Frau gemeinsam entstanden ist. Seitdem ich in
Beziehungen lebe, hatte ich diese Todesphantasien
nicht mehr.
HECTOR: Mich gruselt, wenn ich das alles höre. Für
mich ist Liebe auch Alltagsbanalität, in der ich
mit dem anderen zusammenlebe.
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