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Kapitel 3 Sex Und es ist doch nur Sauerei
GABRIEL: Zwei Liebende sind immer auch zwei
Körper. Sexuelle, sich erhitzende Körper.
AARON: Verliebtsein und Liebe waren in unseren
Gesprächen bislang sinnlich, nie sexuell. Blicke,
Stimmen, Gesten, Bewegungen, die einen in eine
süße Nervosität versetzen, ein schleichendes
Kribbeln auslösen bis zu heftigsten körperlichen
Symptomen, rasender Puls, heftiges Herzklopfen,
Kreislaufprobleme. Die Verliebtheit als
zauberartig verändertes Soma.
ARTHUR: Damit kommen wir ins Zentrum der ganzen
Sache. Die Lust, die die Körper geben und
empfinden.
GABRIEL: Hat Liebe überhaupt etwas mit Sexualität
zu tun? Es gibt rein sexuelle Beziehungen ohne
Liebe, und es gibt Liebe ohne praktizierten Sex.
Warum sollten Liebe und Sexualität immer glücklich
zusammenfallen?
CHARLOTTE: Es gibt viele Arten zu lieben. Ich
liebe meine Eltern, meine Schwester, meine
Freundin. Der Wunsch nach Sex scheidet die Lieben
voneinander.
HECTOR: Sexualität ist zunächst ein Phänomen jedes
einzelnen Körpers, nicht erst der Liebe. Dein
Körper erregt sich und verlangt zur Befriedigung
nach einem anderen Körper. Da erst kommt der
andere ins Spiel. Und das Verhältnis zum anderen
beim Sex muß nichts mit Liebe zu tun haben. Von
sich aus schert sich die Sexualität kein bißchen
um die Liebe.
ARTHUR: Liebe findet in der Sexualität ihr Telos,
so wie das Sexuelle überhaupt ihr Anfang ist. Die
Sexualität ist das Einfachste und das Schwierigste
in der Liebe, sie ist der Anfang und häufig das
Ende. Sie kann die Liebe erhalten, vertiefen oder
auch boykottieren. Alles dreht sich um den Sex.
Und das ist gut so. Ich bin dagegen, es, wie es
heute Mode ist, zu einem Moment unter anderen zu
machen.
GABRIEL: Reine Sexualität ohne Liebe entspricht
nicht der Sexualität, die ich in einer
Partnerschaft suche, und die Sexualität, die ich
in der Liebe finde, ist tatsächlich nur ein Moment
unter vielen anderen.
LUCIA: Trotzdem ist der Sex wichtig. Warum?
ARTHUR: Da alleine kann sich alles erfüllen oder
nicht erfüllen. Alles Begehren – und Liebe heißt
vor allem Begehren –, verwirklicht sich in der
Sexualität. Alles andere ist Abbild, Folge,
Substitut, Kompensation.
SALOME: Nein! Liebe ist nicht auf Sexualität
allein zurückzuführen. Das Lustempfinden geht über
den rein biologischen Triebzusammenhang hinaus. Es
gehört dem Bereich des Psychischen ebenso sehr an
wie dem des Körperlichen.
CHARLOTTE: Das Begehren richtet sich doch auf die
Vereinigung, das Verschmelzen zu einer Einheit.
Sich körperlich zu lieben, stellt diese Einheit
her, real und auch symbolisch.
SALOME: Es soll diese Verschmelzung herstellen,
erreicht sie aber nie. Das Paradoxe und Traurige
der Sexualität liegt darin begründet, daß ihre
vollkommene Erfüllung unmöglich ist. Sobald der
Akt beendet ist, trennen sich Partner und Körper
aufs neue. Der Körper wird wieder fremd, lebt für
sich statt für mich.
JAN: Dann wäre der arme Sex nichts als eine
verzweifelte Anstrengung, ein phantastisches
Verlangen zu erfüllen?
JUDITH: Seht ihr darin nicht gerade das
Wunderbare? Was wäre das Begehren mit Erfüllung?
Wonach würde man noch suchen? Ich denke, die
Erfüllung als Illusion ist das, was zwei Menschen
in ihrer Körperlichkeit zusammenhält.
LUCIA: Männer halten Sexualität für die Grundlage
einer Beziehung und wollen den Rest darauf
aufbauen. Ich kenne das genau umgekehrt: Wenn die
Beziehung funktioniert, funktioniert auch der Sex.
JAN: Aber ich verliebe mich doch nicht in eine
Frau, mit der ich mir nicht vorstellen kann, ins
Bett zu gehen. Der Wunsch nach Sexualität ist im
Verliebtsein immer eingeschlossen. Die Forderung,
den Sex nicht so wichtig zu nehmen, ist absurd. Es
ist ein romantischer Mythos, daß Sex funktionieren
muß, wenn sich zwei Charaktere wunderbar verstehen
und sich in Harmonie in die Augen schauen. Im Bett
entscheidet sich die Sache.
LUCIA: Sex kann sich auch entwickeln, nach und
nach. Gerade darin kann der Reiz liegen.
JAN: Sicherlich ist es aufregend, das Verlangen
zunächst in kleinen Portionen zu genießen.
Trotzdem: Das Interesse am Sex mit dem anderen ist
von Anfang an vorhanden. Die Frage ist, wie man es
beginnt, langsam oder sofort am ersten Abend. Das
hängt noch nicht einmal von deinem Typ ab. Das
gehört zur Willkürlichkeit des Sex.
REBECCA: In keiner anderen Situation, in keinem
anderen Augenblick zeigt sich eine Person so
unverstellt und offenbart sich so rückhaltlos wie
beim Sex. Da hast du einen Menschen in jedem Sinn
nackt vor dir. Nackt und grenzenlos verletzbar –
wie man selbst.
JUDITH: Ich liebe die Verletztbarkeit des Mannes
in diesen Augenblicken. Er ist ungeschützt, ohne
die lächerlichen Allüren der großen Sicherheit und
Selbstsicherheit.
SALOME: Noch einmal zu Arthur: Mir ist die
Beschränkung der gemeinsamen Körperlichkeit in der
Liebe auf den Sex zu einfältig. Natürlich sind
zwei Liebende auch zwei liebende Körper. Aber die
körperliche Beziehung in der Liebe ist viel zu
umfassend, als daß sie sich auf das Genitale
zurückführen ließe. Es gibt eine Reihe von
intensiven körperlichen Kontakten, die für die
Liebe grundlegend sind, jedoch nichts mit Sex zu
tun haben. In vielen Situationen geht es nur um
Nähe: daß man sich berührt, streichelt, umarmt, um
Geborgenheit zu geben und zu spüren. Dann dreht es
sich nicht um die Körper an sich. Die Körper
stellen das her, was die Liebenden spüren wollen:
Anwesenheit und Nähe.
HECTOR: Hat diese Nähe und Geborgenheit nicht auch
in der letzten Vereinigung ihr Urbild und Vorbild?
Genau darum geht es doch, wenn man zusammen
schläft.
SALOME: Das primäre Begehren wurde in den Zweck
der Fortpflanzung gestellt und unterdrückt. In der
Liebe setzt es sich wieder durch. Die Zärtlichkeit
fließt in mir wie ein Saft, sie gibt mir meine
Wurzeln zurück.
LUCIA: Wenn du bei einem Spaziergang Arm in Arm
gehst, dich aneinanderschmiegst oder Hände hältst,
suchst du keinen Sex, sondern nur den Kontakt, die
Berührung. Das verursacht keine sexuelle Erregung.
JUDITH: Nach diesen Körperkontakten verlangst du
nur, wenn du den anderen liebst. Die Körper sind
zwar von Bedeutung, aber das Sexuelle steht nicht
im Vordergrund.
ARTHUR: Kommen wir zum Sex zurück.
JUDITH: In der Liebe ist der Sex zärtlicher,
feiner, entwickelter.
SALOME: Sex ist vor allem ein endlos verspieltes
Spiel. Am schönsten sind lange Vorspiele, ganz
ohne Ziel vor Augen.
ARTHUR: Immer muß es moderat sein – in
kultivierten Formen aufgehoben. Das ist nicht das
Wesen des Sex. Die überverfeinerten Vorspielereien
haben fast etwas Asexuelles, hinter ihnen steckt
eine Angst: die Angst vor einer Überwältigung
durch ein unkontrollierbares Geschehen. Sex muß
unmittelbar sein, etwas Plötzliches und Heftiges.
Es bricht einfach durch, und du willst nur noch
eines: Lust! Du wirst ganz und gar Trieb. Ich
denke an Brechts 'Baal'.
HECTOR: Das ist mir zu draufgängerisch. Ich habe
eher das Bedürfnis, unmittelbare Lust in Spielen
auszudrücken, die sowohl sprachlich als auch
körperlich sein können und trotzdem eine gewisse
Distanz wahren. Lust, die in einem spielerischen
Wechsel von unmittelbarer Erfüllung und
Verzögerung besteht, in Wortspielen, in kleinen
Aggressionen und Offensiven, dann wieder in der
Zurücknahme und Zärtlichkeit. So eine Art
kultiviertes Spiel.
SALOME: Ich finde Arthurs venerischen Appetit
gesund, aber ein wenig roh. Diese Art Sexualität
ist charakteristisch männlich. Außerdem
unterstellst du, daß sublimierte Begehren
geringere Befriedigungen bieten als die rohen. Der
Mensch aber besteht in der Sublimierung. Du willst
zurück zum Animalischen, zum Primären – du suchst
Dionysos. Das ist ein gefährliches Unterfangen und
vielleicht auch ein illusorisches.
ARTHUR: Ich beschreibe keine umfassende
Sexualität, sondern wesentliche Momente darin.
GABRIEL: In meinen Ohren klingt das nach Gewalt.
Als ginge es darum, den anderen niederzustrecken.
Ich sehe dann einen Mann, der sich auf eine Frau
stürzt und sie brutal 'nimmt'.
ARTHUR: So etwas habe ich nicht im Kopf. Humbug!
JAN: Es ist ein Übereinanderherfallen, wo sich
etwas Erotisches aufgestaut hat.
CHARLOTTE: Ich bin mit Arthur einverstanden. Genau
darin besteht die höchste Sexualität: die Lust des
Augenblicks. Du denkst nicht mehr daran, was davor
oder was danach ist.
ARTHUR: In dem Augenblick meine ich keinen anderen
Menschen, kein konturiertes Subjekt, das ich vor
mir sehe, es ist anonym.
CHARLOTTE: Das ist auch nicht mehr die Lust des
anderen, die man genießt, es geht nur um die
eigene Lust: Autoerotik.
LUCIA: Ich kenne das zwar auch, aber das ist doch
auf bestimmte Zeiträume begrenzt, oder?
CHARLOTTE: Sicher, aber es ist nicht nur ein
Phänomen der ersten Monate einer Beziehung. Es
kommt immer wieder vor.
ARTHUR: Du bist beim Kochen und in einer äußerst
mißlichen Situation, weil du gleich Besuch
bekommst. Dabei berührt man sich zufällig, und
plötzlich gibt es einen gewaltigen Schlag der
Lust. Man fällt übereinander her, wälzt sich über
den Boden, der Stuhl fällt um, irgendetwas klirrt.
Alles gleichgültig. Das ist kein Spiel. Da ist
keine Distanz mehr. Da sind zwei Körper, die
verrückt werden aneinander.
SALOME: Was bedeutet dieses Fieber, das dich bis
zur Raserei treibt, wenn nicht eine explosive
Äußerung des Strebens nach Auflösung der Dualität
und Sehnsucht nach Symbiose.
ARTHUR: Aber ist das nicht wunderbar: Der ganze
Kopf, die ganzen Formen sind weg. Ein Delirium der
Wollust. Nicht du führst etwas aus, sondern: etwas
ereignet sich mit dir, gibt vollkommene Lust. Ich
will damit nicht Sexualität schlechthin
kennzeichnen, sondern Momente darin, die ich als
wesentliche empfinde. Natürlich spreche ich nicht
von Gewalt oder sadomasochistischem Sex.
REBECCA: Körperliche 'moments of being'?
ARTHUR: Genau! Etwas, das sich erschöpft in
somatischen Sensationen, die schwindelerregend
sind. Das, was du willst, ist jenseits aller
Sprache. Warum sollte es immer außen vor bleiben?
LUCIA: Was mich stört, ist die Fixierung darauf,
daß nur die körperliche Lust die wahre Lust sein
soll, in der sich die Ich-Grenzen auflösen.
GABRIEL: Wie fühlt sich dieser sexuelle Schwindel
an?
JAN: Du bist ganz und gar Körper, nichts sonst. In
jedem Augenblick bist du ausschließlich das, was
du gerade fühlst, was man dich gerade fühlen läßt.
Hier, dort, an den verschiedensten Stellen,
nacheinander, gleichzeitig.
CHARLOTTE: Du bist nie ein vollständiger Körper,
sondern immer nur eine einzelne Stelle, ein
einzelnes Teil. Oder anders: Der ganze Körper
besteht dann nur aus der einen Stelle, die erregt
wird. Mal bist du ein Ohr, mal ein Knie, mal eine
Brust, mal nur das Geschlecht. Die Einheit des
Körpers fällt auseinander, sie interessiert dich
nicht.
HECTOR: Aber gerade Berührungen einzelner Punkte
lassen den Körper als Ganzen vibrieren. Von der
einzelnen Stelle aus verbreitet sich zauberartig
ein elektrisierendes Gefühl über den ganzen
Körper. Schon eine flüchtige Berührung löst diese
Wirkung aus.
JUDITH: Ist es nicht immer dieselbe Lust? Löst
eine Erregung am Ohr oder an der Brust nicht
denselben süßen Kitzel aus, den du im gesamten
Körper spürst? Eine Lust, die an verschiedenen
Stellen erregt werden kann, hier besser, dort
schlechter. Versuche doch einmal, die Lust im
Körper zu lokalisieren, während du dich hingibst.
Es ist eine universelle Lust. Sie ist gleichgültig
gegenüber der Stelle, an der sie erregt wird.
GABRIEL: Erotische Anziehungen gehen nie von einem
ganzen Körper aus. Was dich verrückt macht am
Geliebten, ist ein einzelner Körperteil, eine
bestimmte Zone: die Haare, die Augen, der Mund
oder irgendein anderes Fragment. Dann sieht du nur
noch einen Mund durch die Welt spazieren. Oder du
siehst nur Haare, die fallen, sich bewegen, nach
hinten gelegt werden, wieder ins Gesicht fallen,
glänzen und deren Farbe im Licht wechselt.
LUCIA: Sich auf einzelnes zu kaprizieren am
anderen, ihn durch mein Begehren zu
fragmentarisieren, ist eine Wirkung des Sex. Das
hat etwas Barbarisches. Ich will als Ganzes
gesehen werden, nicht zerlegt werden. Ich bin
nicht das einzelne. Nur bezaubernde Haare oder ein
schöner Mund – das könnte auch jemand anders sein.
Das ist anonym. Die Liebe ist die Gegenbewegung
dazu, immer das Ganze und Runde der Person
wahrzunehmen.
ARTHUR: Barbarisch? Sich in Details, ins kleinste
und einzelne zu vernarren, heißt doch, an einer
anderen Person Dinge wahrzunehmen, die ansonsten
übersehen werden. Ich mache etwas zu einem ganz
Besonderen. Das Muttermal an dieser bestimmten
Stelle, das Ohrläppchen, das Handgelenk. Natürlich
gibt es auch eine Gegenbewegung. Aber gerade diese
einzelnen Dinge, die ich besonders liebe, binden
mich sehr eng.
ARTHUR: Ist Sex nicht etwas vollkommen auf sich
selbst Fixiertes, wie Judith sagte, und der Sex zu
zweit nicht eigentlich Autoerotik? Was ich will,
ist 'meine' Lust, 'meine' Befriedigung. Darum geht
es.
CHARLOTTE: Nicht nur darum. Manchmal möchte ich
nur dem anderen geben, was ihm Lust bereitet. Es
gibt ein Geben, eine Situation, in der du merkst,
der andere ist durch dich erregt, und du gibst ihm
Befriedigung, die mit eigener Lust nichts zu tun
hat, wohl aber mit – das klingt jetzt komisch –
Liebe. Darin erschöpft sich dann mein Verlangen.
Zu merken, wie ich den anderen um den Verstand
bringe. Du machst dem anderen Geschenke und willst
ihm Gutes tun. Dieses Geben gehört zum Süßesten
beim Sex.
ARTHUR: Und selbst wenn es beim Sex immer um die
eigene Lust ginge! Das wäre doch nicht schlimm:
Sex ist vielleicht die einzige Situation, in der
die Wünsche und die Lust des einzelnen volle
Gültigkeit besitzen. Dazu kommt das Wunderbare,
nämlich der Grund, warum Sex überhaupt
funktioniert: Mein Begehren und mein Vergnügen
können ganz und gar mit denen des anderen
zusammenfallen. Küsse ich den anderen, ist das
meine Lust, aber ebenso seine. Wo gibt es das
schon?
CHARLOTTE: Lust potenziert sich auch gegenseitig.
Je erregter und leidenschaftlicher der andere
durch mich wird, desto leidenschaftlicher wird er
mit mir sein und ich mit ihm. Das treibt sich
immer weiter und höher.
AARON: Ich glaube nicht, daß beim Sex nur der
Körper zählt, da gehören noch viele andere Dinge
dazu. Die ganze Person muß dich aufregen. Beim Sex
suhlen sich nicht nur die Leiber. Es ist eine
unerhörte Näherung der Seelen, etwas Geistiges
auch, vor allem in der Vereinigung. Ich könnte es
mit keiner Frau, die mich nicht auch in einem
Gespräch reizen könnte.
JAN: Das glaube ich nicht. Stell' dir vor, du bist
in den Sommerferien, irgendwo im betäubenden Süden
am Meer. Plötzlich steht ein verrückter Körper vor
dir, braungebrannt. Am Strand liest sie Vom Winde
verweht, sie trägt einen pinkfarbenen Bikini und
eine unmögliche Sonnenbrille. Alles was du außer
ihrem Körper siehst, läßt dich verzweifeln. Kein
Wort könntest du mit ihr wechseln. Trotzdem bringt
dich der Körper um den Verstand, du liegst den
ganzen Tag nur auf dem Bauch.
AARON: Ich würde sie mir anschauen, aber nicht
mehr wollen.
JAN: Warte ab. Am Abend bist du in der kleinen
Hoteldisco, du hast Wein im Kopf und sie will.
Natürlich nur für eine Nacht. Warum es nicht tun,
wenn dich dieser Körper erregt und du ihn erregst?
Es ist ein Arrangement: Nur die Lust interessiert,
kein Austausch der Personen, kein Morgen. Was wäre
schlimm daran? Die Frage ist doch nur: Ist es
schön, gibt es Lust?
HECTOR: Eben. Es muß bei Sexualität nicht um Liebe
gehen. Zwei erregte Körper können zusammenfinden
und Befriedigung haben, Affären und
One-night-stands. Ich bin dagegen, das zu
diskriminieren. Dieses Gerede von der neuen Treue,
der strengen Bindung des Sex an die 'wirklich
ernsten' Gefühle füreinander und sogar an die Ehe
– gräßlich! Man greift auf moralische Werte der
fünfziger und sechziger Jahre zurück. Aids ist da
nur ein Vorwand. Aids hindert Promiskuität nicht.
Aber bitte Safer Sex.
LUCIA: Das ist vielleicht eher eine männliche
Phantasie und eine männliche Fähigkeit, sich ganz
und gar als Körper der Lust zu empfinden, ohne den
anderen als Person wahrzunehmen.
SALOME: Für mich ist das Begehren selbst viel
lustvoller als der Akt. Dazu gehört wesentlich die
Sprache. Das Begehren, das sich in Worten äußert,
die man sich zuflüstert. Die plötzlich alles
anstoßen, einen sexuellen Taumel auslösen. Es
können viele Worte sein oder nur ein einziges.
Manchmal ist es nur die Stimme, der bestimmte Ton,
die Schwingung.
LUCIA: Auch beim Sex brauche ich manchmal die
Sprache. Dann will ich bestimmte Worte hören oder
selbst sagen. Oder einfach nur die vertraute
Stimme des anderen spüren. Worte können die Lust
steigern. Manchmal zärtliche Worte, manchmal auch
härtere Worte.
ARTHUR: Verschone mich! Ich ertrage keine Worte
dabei. Sex ist der Ort, an dem die Worte und die
gewöhnliche Sprache hinfällig und überflüssig ist.
Die Kommunikation der Körper ist die vollkommenste
Kommunikation, bar der Worte, überhaupt nicht
einholbar im Verbalen. Phantastische Phänomene,
die unsprachlich funktionieren.
SALOME: In der Erotik verändert sich die Funktion
der Sprache. Die Sprache findet ihre Wurzeln
wieder, kehrt zurück zum Augenblick ihrer
Entstehung. Unartikuliert ist sie Schrei und
Lautmalerei.
ARTHUR: Die esoterische Kommunikation der Körper
ist natürlich selbst eine Sprache: sich zu
streicheln, zu lieben, die Spiele, der wilde
Ausbruch: alles Arten, sich zu unterhalten,
miteinander zu sprechen. Dinge zu sagen, die sich
sonst nicht sagen lassen. Aber es ist eine
hermetische, eine dunkle und zitternde Sprache,
die sich nicht übersetzen läßt in die Sprache der
Begriffe. Es entfaltet sich eine höchstverfeinerte
Unterhaltung, die in einer Sprache, wie ich sie
jetzt benutze, niemals zu reformulieren ist.
Bedeutungen, die der andere wie du selbst nur
ahnen und fühlen kannst.
AARON: Kommen wir auf Liebe und Sexualität im
engeren Sinne zurück. Sex spielt in den
verschiedenen Phasen der Liebe eine
unterschiedliche Rolle. Verliert die Sexualität an
Bedeutung?
HECTOR: Eine bestimmte Qualität muß der Sex
behalten. Sex bleibt ein Zeichen für den Zustand
einer Liebe. Wenn er fade wird, ist es vorbei.
AARON: Irgendwann ist der Körper des anderen
kalter Kaffee. Die Leidenschaft erstirbt. Es
stellt sich eine schreckliche Langeweile ein, die
man dann entweder erträgt oder aus der man
ausbricht, in Seitensprüngen oder sogar durch eine
Trennung, eine neue Beziehung.
GABRIEL: Da bin ich mir nicht sicher.
REBECCA: Das kann man vermeiden, wenn man
aufmerksam ist.
AARON: Zwei Körper, die sich irgendwann nicht mehr
erregen können, weil alles bekannt und eingefahren
ist. Man verrichtet immer dieselben Handlungen,
dieselben Abläufe, berührt immer dieselben
Stellen, führt dieselben Handgriffe und Bewegungen
aus. Weil man irgendwann einmal herausgefunden
hat, daß eben diese die größte Lust bereiten. Ich
meine den Überdruß, eine auslaugende Gewohnheit,
für die niemand etwas kann, die sich einfach
einstellt.
HECTOR: Das erste halbe Jahr läuft der Sex, da
liegst du jeden Tag im Bett, wenn es das Leben
zuläßt. Dann kommt ein halbes Jahr, das in Ordnung
ist, und dann kommen noch zwei bis drei Jahre, in
denen man es erträgt. Und dann...
LUCIA: Man kann es auch umgekehrt sehen. Durch das
anwachsende Vertrauen, die sich auflösenden Ängste
und Vorbehalte wird eine immer größere
Zärtlichkeit möglich. Erst dann traust du dich zu
zeigen, was dir die größte Lust bereitet, führst
die Hand deines Partner an die besonderen Stellen,
sprichst darüber.
REBECCA: Genau. Mit der Zeit wächst die Fähigkeit,
auf immer feinere Begehren des anderen einzugehen
und auch an sich selbst solche feinen, flüchtigen
Begierden zu entdecken. So würde die mögliche Lust
immer farbiger, immer ausgetüftelter.
ARTHUR: Haben wir nicht ein viel zu starres,
stumpfes Bild von einem Körper? Ich glaube an
einen unendlichen Prozeß, in dem sich zwei Körper
stetig zu immer neuer Lust verwickeln können. Ein
Körper ist nie etwas Abgeschlossenes und endgültig
Festgelegtes, sondern immer in Veränderung.
REBECCA: Zu welcher Lust dein Körper fähig ist,
erfährst du erst allmählich mit dem anderen.
ARTHUR: Zuerst lernt man, was der eigene Körper
und der des anderen ist, wie sie in diesem Moment
empfinden. Aber schon dabei verändern sich Körper.
Beide entdecken an sich erogene Zonen und
Berührungen, die sie noch nicht kannten, die davor
noch gar nicht zum Körper gehörten. Was dir früher
eklig war, kann heute das süßeste Vergnügen sein.
REBECCA: Es gibt Ekel, die zu tief liegen. Was
meinst du, was manche Mütter ihren Töchtern von
den Geschlechtsteilen der Männer erzählen.
JAN: Warum sollte Liebe ihren Kern nicht in der
Idee haben, sich immer kunstvoller Lust zu
bereiten? Körper können sich von trübseligen
Beschränkungen freimachen, sich immer weiter
erobern.
LUCIA: Das klingt nach guter alter Utopie: den
ganzen Körper zu sexualisieren, alles zur
Möglichkeit der Lust zu machen, ihn dem schnöden
Lebensgeschäft zu entziehen.
REBECCA: Dann aber ist Sex auch ein bewußter
Prozeß, fast eine Arbeit mit dem anderen. Man
müßte miteinander sprechen, etwas absichtsvoll
versuchen, Scham überwinden wollen.
JUDITH: Dein Verhältnis zu deinem eigenen Körper,
wie du ihn siehst, was du überhaupt wahrnimmst von
ihm, ist ja etwas, was sich in der Erziehung
herstellt. Bestimmte Regionen und Handlungen
werden tabuisiert: sie gelten als schmutzig,
pervers... Analer Sex zum Beispiel.
HECTOR: Ich weiß gar nicht, ob es ein natürliches
und zwangsläufiges Nachlassen der sexuellen
Anziehung geben muß. Bei mir ist das anders:
Sexualität vollzieht sich in Zyklen. Es gibt die
Lustphase, in der ich alle drei Stunden könnte.
Das dauert drei Tage, und danach ist es für Wochen
vorbei.
SALOME: Am Anfang ist man unersättlich, das hat
aber nicht unbedingt etwas mit Sexualität zu tun.
Es geht um eine Obsession, eine hektische Sucht,
immer, überall beim anderen zu sein, ohne
Unterlaß. Man will den anderen mit sich bedecken,
alle Distanzen überwinden. Es gibt eine Angst,
nicht genug zu erfahren, nicht alles zu entdecken.
JUDITH: Das läßt irgendwann nach. Sexualität und
ihre Bedeutung verändern sich in einer
Liebesbeziehung, wie alles. Die Liebe besteht eben
darin, daß alles in einer gemeinsamen Bewegung
bleibt.
SALOME: Irgendwann kann dir das Körperliche auch
zuviel werden, zuviel Nähe und Verschmelzung
bedeuten. Gerade in einer längeren Beziehung sind
Distanzierungen wichtig. Die Anorgasmie der Frau
wie auch bestimmte Formen der Impotenz beim Mann
entstehen aus der Furcht, ganz und gar vereinnahmt
zu werden.
JUDITH: Am meisten habe ich Angst vor der
Gewohnheit. Das ist der Tod des Sex.
JAN: Es wäre doch das beste, man setzte mal fünf
Jahre damit aus.
SALOME: Man muß Tricks finden, um sich den Sex
aufregend zu erhalten. Sexualität muß man sich
erarbeiten. Ein Kniff sind Unterbrechungen,
kürzere oder längere Phasen, in denen man sich
zurückhält. Man kann den Sex inszenieren.
CHARLOTTE: Dabei gibt es keine Grenzen. Sex ist
der Ort der unendlichen Mannigfaltigkeit. Es ist
alles möglich, und jeder kann seinen ganz eigenen
Sex finden. Der eine liebt den Sex mit den Händen,
der andere mit dem Mund. Nichts, aber auch gar
nichts kann man verallgemeinern. Sex ist
individuell, anarchisch.
ARTHUR: Eben. Sexuelle Erregung ist das absolut
Willkürliche. Natürlich kennt man nach einer
gewissen Zeit bestimmte Handlungen und
Situationen, Arrangements, die zur Erregung
führen. Es gibt etwas Eingespieltes, bestimmte
Tageszeiten, Orte usw. Man weiß, was einen
aufregt. Aber das ist nicht das Wesentliche: Der
größte Reiz liegt im Unerwarteten, im Plötzlichen.
Wenn in einer ganz alltäglichen und meist
unpassenden Situation ein heftiges Begehren
entsteht. Wenn du dann das Verrückteste versuchst
und alle peinlichen Überraschungen in Kauf nimmst,
um es tun zu können. Eine Düne am Strand, wo du
weißt, daß alle paar Minuten jemand vorbeikommen
wird. Oder du fährst von der Autobahn ab,
kilometerweite Umwege für einen Waldweg, obwohl du
eh zu spät bist und es Ärger geben wird. Sex
verursacht Störungen, Chaos.
SALOME: Das Wesentliche im Sex ist die Vielfalt.
Die Zeit der Vorherrschaft des Genitalen ist
vorbei. Das heißt aber: Wir haben veränderte
Körper. Die Losung müßte lauten: 'polymorphe
Sexualität'. Frauen waren noch nie so zentriert um
ihr Geschlecht. Im Grunde ist jede Frau von Natur
aus homosexuell.
LUCIA: Richtig! Wir müssen weg von den
konventionellen und häufig primitiven Begegnungen
von Penis und Vagina. Die Popularität endloser
Masturbationen scheint mir etwas interessant Neues
zu sein. Achtundsechzig und die schöne 'sexuelle
Revolution' war doch ein lächerlicher Tanz um die
Genitalien.
AARON: Anarchie und Grenzenlosigkeit beim Sex.
Dennoch gibt es Grenzen. Was ist mit den
wirklichen harten Praktiken, SM-Sex zum Beispiel?
HECTOR: Was beiden gefällt, ist erlaubt. Wenn die
Wünsche einander entsprechen, wenn man nach dem
Sex kein medizinischer Fall ist und sich niemand
als Opfer seiner Leidenschaften sieht, geht alles.
LUCIA: Die Wirklichkeit ist meist komplizierter.
Da kollidieren die Wünsche. Wenn einer oralen Sex
liebt, der andere nicht, was dann? Aus der Sicht
desjenigen, für den das die größte Lust bedeutete,
wäre eine Beziehung, in der oraler Sex ausgespart
bliebe, immer wieder frustrierend.
ARTHUR: Ich glaube – ganz allgemein –, wenn Sex
für einen der beiden unbefriedigend bleibt, ist
das ein legitimer Grund, eine andere Beziehung zu
suchen.
REBECCA: Der Sex kann die Liebe boykottieren.
AARON: Wenn das Begehren des einen auf etwas
zielt, was der andere nicht will, müßte dort
zuerst einmal Schluß sein. Es reicht, daß
irgendetwas auch nur ein wenig unangenehm ist. Das
dürfte aber keine endgültige Grenze sein. Man
müßte zusammen versuchen, sich dem Wunsch
desjenigen, der zunächst einmal verzichten muß, zu
nähern. Widerwillen kann man auflösen. Da gibt es
interessante Prozesse, die man an sich erleben
kann.
GABRIEL: Einspruch! Es ist doch völlig
ausgeschlossen, daß ich jeden Scheiß' –
Entschuldigung – mitmache, den sich eine enthirnte
Lustnudel zusammenphantasiert, nur damit sie die
letzten Sprossen ihrer Lustleiter erklimmt. Es
gibt Grenzen. Bei aller Liebe.
ARTHUR: Es gibt eine dunkle Dynamik von Verbot,
Ekel und Lust. Ein Verbot schafft erst die Lust.
JUDITH: Wenn du dich mit einer 'enthirnten
Lustnudel' zusammentust, mußt du eben gewisse
Zugeständnisse machen...
HECTOR: Ich finde, daß der Grundakt gesichert sein
muß. Der Grundakt ist die Kopulation. Alles andere
ist zweitrangig. Der Mann muß sich abreagieren
können, damit es sich nicht aufstaut.
GABRIEL: Dann wird du nie die sinnlichen
Verzückungen des coitus reservatus erleben. Das
Sperma, das sich zurückhält, eröffnet dem
Liebenden die Vielfalt der weiblichen Erotik.
CHARLOTTE: Dennoch führt eine längere Frustration
zu Verstimmungen. Dann läuft die Liebe falsch.
JAN: Wenn du so etwas sagst als Mann, bist du
gleich ein Tier.
CHARLOTTE: Klar. Dennoch: Das Begehren und den Sex
von dem Ganzen der Person trennen zu können, ist
eher eine Fähigkeit des Mannes.
JAN: Und die Frauen, mit denen ich so etwas mache,
sind Halluzinationen? Oder du müßtest behaupten,
daß sie das eigentlich nicht wollten.
CHARLOTTE: Es gibt reale Unterschiede in der
Sexualität von Männern und Frauen. Natürlich sind
diese Unterschiede nicht mehr so einfach
auszumachen: der Mann kennt nur den Penis und den
Akt, die Frau nur das Vorspiel und so weiter.
Trotzdem...
SALOME: Ich finde den 'wilden Sex' sehr männlich.
Liebkosen ist eine Art, sich auf die Frau
einzulassen, allgemein auf das Weibliche
einzugehen, weil Frauen einen ganz anderen
Rhythmus haben als Männer. Frauen brauchen viel
länger, um zum Orgasmus zu kommen. Das Vorspiel
ist eine Spiegelung der Sexualität selbst.
CHARLOTTE: Ist das nicht ein Mythos, daß die Frau
immer die weiche, sanfte Sexualität sucht?
SALOME: Das meinte ich nicht. Es ist die Frage, ob
man das Vorspiel männlich-kurz oder
weiblich-ausgiebig praktiziert. Die langen
Vorspiele in den romanischen Ländern sind ein
Eingehen auf die weibliche Sexualität.
CHARLOTTE: Was Arthur meint, soll weibliche
Sexualität nicht unterdrücken. Diese Phantasien
können durchaus weiblich sein.
SALOME: Ich mache auch keine Trennung zwischen
Mann und Frau, sondern zwischen männlich und
weiblich. Diese Anteile weist jeder auf. Es ist
kein Zufall, daß die deutschen Frauen so auf
südländische Männer abfahren. Die haben nicht mehr
Sexappeal. Da geht es nicht um Sex, es geht um die
Verführung durch Worte.
ARTHUR: Ich würde die Differenzen auch lieber an
Individuen festmachen, nicht am anatomischen
Unterschied.
SALOME: Sondern daran, wie die Erziehung die
Jugendlichen mit Sexualität konfrontiert. Der
Koitus hat nichts Natürliches. Es ist ein
historisches Produkt, die Festschreibung eines
bestimmten Machtverhältnisses zwischen Mann und
Frau.
HECTOR: Natürlich mußte die Frauenbewegung
herausstellen, daß die gesellschaftlichen
Vorstellungen von der Frau, von ihrem Körper und
ihrer Sexualität nicht von der Natur angelegt
waren. Männer und Frauen müßten alles noch einmal
diskutieren, in einer entspannteren Situation.
ARTHUR: Die Verunsicherung des Mannes wird immer
auf die Emanzipation der Frauen und der Schwulen
zurückgeführt. Dahinter steht die Angst vor der
Befreiung des Weiblichen, vor der
Gleichberechtigung von Frauen und Schwulen, vor
allem aber die Furcht vor einer Verweiblichung
unserer Gesellschaft.
SALOME: Daher läßt die Werbung die Frau hinter dem
Schleier oder dem Schador verschwinden. Die
Auflösung ihrer Sexualität sieht man auch im
anorektischen Körperbild der extrem dürren
Mannequins. In der Modebranche kursiert sogar das
Bonmot, die beste Frau sei der Transvestit! Wohin
soll das führen!
REBECCA: Die Mode bringt den fetischistischen Kern
ans Licht: Das Androgyne ist ein als Frau
verkleideter Phallus!
JAN: Übertreibt ihr nicht? Der emanzipierte Mann
muß heute von sich behaupten, es gehe gar nicht
nur um sein Geschlecht, er habe keine phallisch
zentrierte Sexualität und auf den Orgasmus komme
es nicht an. Daß der Penis, seine Aktionen und der
Orgasmus im Mittelpunkt stehen, gilt als primitiv.
Aber für den Mann ist er nun einmal das zentrale
Organ bei der ganzen Sache, auch wenn es nur um
Berührungen geht. Alles gleitet dahin – küßt mich
eine Frau am Ohr, zucke ich doch unten. Das heißt
nicht, daß ich die Vorspiele entwerten will.
GABRIEL: Daß es zuckt, sei unbenommen.
Entscheidend ist die Interpretation des Phänomens
sowie die Frage, weshalb es zuckt. Ich empfände
das Zucken um so schöner, je weniger Hormone im
Spiel wären. Am heftigsten zuckt es doch dort, wo
noch erobert, entdeckt, gefesselt und beeindruckt
werden will. Erobert wird jedoch nicht sexuelles
Wohlverhalten, sondern die Persönlichkeit des
anderen; gefesselt werden keine Extremitäten,
sondern die Aufmerksamkeit; beeindruckt wird nicht
durch sexuelle Leistungen, sondern durch
Zärtlichkeit und Zuneigung.
REBECCA: Vorspiel ist sowieso eine
diskriminierende Bezeichnung, wahrscheinlich die
Erfindung eines Mannes. Das heißt doch: Das
eigentliche Spiel kommt noch, nämlich das
genitale, das 'richtige'. Wir schaffen den Begriff
ab!
JUDITH: Frauen haben einen reicheren Körper, viel
mehr Möglichkeiten, Lust zu fühlen und zu
empfangen. Mir kommt es so vor, als hätten wir
mehr empfindliche Oberfläche, mehr Haut am Körper
als der Mann. Schon daß es Vagina und Klitoris
gibt, verhindert, daß wir einfältig werden. Und
beide bereiten andere Lust, es gibt kein Primat.
Dazu noch die Brüste. Mir tut der Mann leid.
HECTOR: Da hätten wir einen Unterschied, der in
der Anatomie liegt und vielleicht weitreichende
Folgen hat. Der Mann kennt ein Zentrum und hat ein
Primat, die Frau viele kommunizierende Punkte.
CHARLOTTE: Mir ist das alles zu allgemein. Wir
können nicht die 'eine' weibliche oder männliche
Sexualität formulieren. Sex ist individuell. Es
gibt Frauen, die den Mann am liebsten in sich
spüren, andere wollen nur gestreichelt werden.
Manche haben ein gebrochenes Verhältnis zu ihren
Brüsten oder lehnen sie sogar ab.
JAN: Aber es sind doch auch die Frauen, die nur
das eine an uns wollen: den Phallus. Was
interessiert sie schon der Rest unseres Körper?
Zuerst gibt es noch ein paar Küßchen hier und da,
ein bißchen Gestreichel, bis sie glauben, jetzt
kann die Hand runter gleiten, ohne daß es zu
prompt wäre.
ARTHUR: Die große weibliche Phantasie arbeitet
dann ganz schön erbärmlich vor sich hin mit dem
Ding. Wenn sie drei Variationen in der Bewegung
hinbekommt, kannst du froh sein. Manchmal fühlt
man sich wie abgefertigt.
HECTOR: Weil die Frauen nichts von uns wissen. Es
gibt unüberbrückbare Abgründe zwischen den
Geschlechtern. Allein die Art zu berühren, zu
tasten. Der Mann tastet anders, wäscht sich
anders, betrachtet sich anders. Der Mann erreicht
sein ganzes Geschlecht, kann sich überall
berühren, wird überall berührt und gesehen. Das
körperliche und sexuelle Empfinden hat ja auch mit
Autoerotik zu tun.
JUDITH: Ich verstehe nicht, worauf du
hinauswillst.
HECTOR: Wenn der Mann die Frau anfaßt und
streichelt, empfindet er sie anders als seinen
eigenen Körper. Es ist das ganz Fremde.
JUDITH: Ich denke, auch ein Mann ist fähig,
weiblich zu berühren.
HECTOR: Was wissen wir schon in Bezug auf
Körperlichkeit vom anderen? In den entscheidenden
Punkten nichts! Als Mann weiß ich nur: Wir haben
die Erektion. Und wir haben auch die Erschlaffung.
Wir haben dieses Moment der Hochzeit. Aber was
wissen wir von den Frauen. Sie können uns
erzählen, was sie wollen, können behaupten: "Wir
waren erregt und hatten auch einen Orgasmus." Ich
habe mir immer eingebildet zu wissen, wann eine
Frau den Höhepunkt hat. Mittlerweile glaube ich an
gar nichts mehr.
ARTHUR: So wird man(n) Agnostiker.
JAN: Aber es gibt doch vielfältige Möglichkeiten –
nicht nur Worte –, dem anderen mitzuteilen, was
sich wo wie anfühlt. Das gehört doch wesentlich
zum Prozeß der Liebe.
SALOME: Ein Frauenkörper fühlt sich viel weicher
an. Das war immer mein Problem mit Männern. Selbst
die kleinen Details, zum Beispiel die Ohrläppchen.
Oder nimm die Brüste. Wie soll ich bei einem
behaarten Mann meine Sehnsucht nach glatter Haut,
nach diesem Weichen und Fülligen stillen. Es
verlangt der Frau eine enorme Überwindung ab, den
Mann als ein erotisches Objekt wahrzunehmen.
Schließlich war die Mutter das erste Liebesobjekt,
an dem alles Begehren entfacht und ausgebildet
wurde.
HECTOR: Eben. Und selbst die emanzipiertesten
Frauen kommen auf dich als Mann mit den alten
Vorstellungen von männlicher Sexualität zu, zum
Beispiel, daß der Mann immer kann und will. Die
Erektion ist eine Selbstverständlichkeit.
ARTHUR: "Schatz, ich habe Kopfschmerzen" ist
anerkannt, doch wenn die Erektion nicht hinhaut,
ist es eine peinliche Katastrophe und Grund zum
Spott. Da lachen die Männer sich selbst aus.
REBECCA: Eine Frau, die ein bewußtes Verhältnis zu
ihrem Körper hat, braucht eine größere
Vertrautheit zu einer Person als ein Mann, damit
Sex möglich ist. Bevor ich mit einem Mann schlafe,
möchte ich weitreichende Sympathie empfinden.
Vielleicht weil ich diejenige bin, die etwas
aufnimmt. Das geht tiefer als für einen Mann.
LUCIA: Irgendwann erzählte mir eine Frau, daß sie
mit keinem Mann schlafen könnte, wenn es ihr nicht
vorstellbar wäre, von seinem Samen ein Kind zu
bekommen. Sie phantasierte, alle diese Männer in
sich zu bewahren. Das erste Kind, das sie bekam,
war für sie eine Mischung aller Männer, mit denen
sie geschlafen hatte. Von jedem war etwas dabei.
Die entscheidende Frage ist: Welchen Samen willst
du behalten und welcher ist dir widerlich?
CHARLOTTE: Ich könnte mir keinen Sex mit einem
vorstellen, bei dem ich nicht das Gefühl hätte, es
könnte ein Kind entstehen.
JAN: Und ihr glaubt, einem Mann genüge es,
irgendeinen netten Unterleib vor sich zu haben!
Frauen glauben, daß der Sex nur für sie eine
komplexe Bedeutung hat. Wir dagegen stoßen einfach
etwas aus, und das war's. Wo, ist uns ja egal.
Aber: Ich fließe doch in die Frau, ich selbst. Ich
finde das Verhältnis dazu sehr eng.
HECTOR: Der Mann erleidet den Alptraum, daß der
Samen zurückfließt, daß er nicht bewahrt wird,
einfach abstirbt.
GABRIEL: Millionenfacher Zelltod.
HECTOR: Und die Frau geht ins Bad, schließt die
Türe hinter sich und duscht sich ab.
ARTHUR: In einer Affäre – gut! Doch in der Liebe
ist das für mich eine unerträgliche Vorstellung.
Ich wäre zutiefst gekränkt, wenn meine Freundin
das Gefühl hätte, sich duschen zu müssen. Das
hätte eine klare Aussage.
LUCIA: Das ist nur die Illusion einer Reinigung,
eine symbolische Handlung. Es geht um die
Beseitigung des Gröbsten. Gegen das Feine, das
danach kommt, kannst du ohnehin nichts
unternehmen. Manchmal ist es schön, in anderen
Situationen jedoch wieder unangenehm: Du mußt raus
in die Welt, du stehst in der U–Bahn, und es
tropft...
CHARLOTTE: Es kann wunderbar sein, wenn du es den
ganzen Tag in dir spürst.
AARON: Eine irrsinnige Vorstellung, noch Tage
danach zu tropfen.
HECTOR: Männer tropfen doch auch.
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