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5. Eifersucht
6. Alltag
7. Dreiecke
8. Krise
9. Trennung
10. Verliebtheit

Autoren
Aaron
Arthur
Charlotte
Gabriel
Hector
Jan
Judith
Lucia
Rebecca
Salome



Kapitel 3

Sex

Und es ist doch nur Sauerei

GABRIEL: Zwei Liebende sind immer auch zwei Körper. Sexuelle, sich erhitzende Körper.

AARON: Verliebtsein und Liebe waren in unseren Gesprächen bislang sinnlich, nie sexuell. Blicke, Stimmen, Gesten, Bewegungen, die einen in eine süße Nervosität versetzen, ein schleichendes Kribbeln auslösen bis zu heftigsten körperlichen Symptomen, rasender Puls, heftiges Herzklopfen, Kreislaufprobleme. Die Verliebtheit als zauberartig verändertes Soma.

ARTHUR: Damit kommen wir ins Zentrum der ganzen Sache. Die Lust, die die Körper geben und empfinden.

GABRIEL: Hat Liebe überhaupt etwas mit Sexualität zu tun? Es gibt rein sexuelle Beziehungen ohne Liebe, und es gibt Liebe ohne praktizierten Sex. Warum sollten Liebe und Sexualität immer glücklich zusammenfallen?

CHARLOTTE: Es gibt viele Arten zu lieben. Ich liebe meine Eltern, meine Schwester, meine Freundin. Der Wunsch nach Sex scheidet die Lieben voneinander.

HECTOR: Sexualität ist zunächst ein Phänomen jedes einzelnen Körpers, nicht erst der Liebe. Dein Körper erregt sich und verlangt zur Befriedigung nach einem anderen Körper. Da erst kommt der andere ins Spiel. Und das Verhältnis zum anderen beim Sex muß nichts mit Liebe zu tun haben. Von sich aus schert sich die Sexualität kein bißchen um die Liebe.

ARTHUR: Liebe findet in der Sexualität ihr Telos, so wie das Sexuelle überhaupt ihr Anfang ist. Die Sexualität ist das Einfachste und das Schwierigste in der Liebe, sie ist der Anfang und häufig das Ende. Sie kann die Liebe erhalten, vertiefen oder auch boykottieren. Alles dreht sich um den Sex. Und das ist gut so. Ich bin dagegen, es, wie es heute Mode ist, zu einem Moment unter anderen zu machen.

GABRIEL: Reine Sexualität ohne Liebe entspricht nicht der Sexualität, die ich in einer Partnerschaft suche, und die Sexualität, die ich in der Liebe finde, ist tatsächlich nur ein Moment unter vielen anderen.

LUCIA: Trotzdem ist der Sex wichtig. Warum?

ARTHUR: Da alleine kann sich alles erfüllen oder nicht erfüllen. Alles Begehren – und Liebe heißt vor allem Begehren –, verwirklicht sich in der Sexualität. Alles andere ist Abbild, Folge, Substitut, Kompensation.

SALOME: Nein! Liebe ist nicht auf Sexualität allein zurückzuführen. Das Lustempfinden geht über den rein biologischen Triebzusammenhang hinaus. Es gehört dem Bereich des Psychischen ebenso sehr an wie dem des Körperlichen.

CHARLOTTE: Das Begehren richtet sich doch auf die Vereinigung, das Verschmelzen zu einer Einheit. Sich körperlich zu lieben, stellt diese Einheit her, real und auch symbolisch.

SALOME: Es soll diese Verschmelzung herstellen, erreicht sie aber nie. Das Paradoxe und Traurige der Sexualität liegt darin begründet, daß ihre vollkommene Erfüllung unmöglich ist. Sobald der Akt beendet ist, trennen sich Partner und Körper aufs neue. Der Körper wird wieder fremd, lebt für sich statt für mich.

JAN: Dann wäre der arme Sex nichts als eine verzweifelte Anstrengung, ein phantastisches Verlangen zu erfüllen?

LUICIA: Präzise.

JUDITH: Seht ihr darin nicht gerade das Wunderbare? Was wäre das Begehren mit Erfüllung? Wonach würde man noch suchen? Ich denke, die Erfüllung als Illusion ist das, was zwei Menschen in ihrer Körperlichkeit zusammenhält.

LUCIA: Männer halten Sexualität für die Grundlage einer Beziehung und wollen den Rest darauf aufbauen. Ich kenne das genau umgekehrt: Wenn die Beziehung funktioniert, funktioniert auch der Sex.

JAN: Aber ich verliebe mich doch nicht in eine Frau, mit der ich mir nicht vorstellen kann, ins Bett zu gehen. Der Wunsch nach Sexualität ist im Verliebtsein immer eingeschlossen. Die Forderung, den Sex nicht so wichtig zu nehmen, ist absurd. Es ist ein romantischer Mythos, daß Sex funktionieren muß, wenn sich zwei Charaktere wunderbar verstehen und sich in Harmonie in die Augen schauen. Im Bett entscheidet sich die Sache.

LUCIA: Sex kann sich auch entwickeln, nach und nach. Gerade darin kann der Reiz liegen.

JAN: Sicherlich ist es aufregend, das Verlangen zunächst in kleinen Portionen zu genießen. Trotzdem: Das Interesse am Sex mit dem anderen ist von Anfang an vorhanden. Die Frage ist, wie man es beginnt, langsam oder sofort am ersten Abend. Das hängt noch nicht einmal von deinem Typ ab. Das gehört zur Willkürlichkeit des Sex.

REBECCA: In keiner anderen Situation, in keinem anderen Augenblick zeigt sich eine Person so unverstellt und offenbart sich so rückhaltlos wie beim Sex. Da hast du einen Menschen in jedem Sinn nackt vor dir. Nackt und grenzenlos verletzbar – wie man selbst.

JUDITH: Ich liebe die Verletztbarkeit des Mannes in diesen Augenblicken. Er ist ungeschützt, ohne die lächerlichen Allüren der großen Sicherheit und Selbstsicherheit.

SALOME: Noch einmal zu Arthur: Mir ist die Beschränkung der gemeinsamen Körperlichkeit in der Liebe auf den Sex zu einfältig. Natürlich sind zwei Liebende auch zwei liebende Körper. Aber die körperliche Beziehung in der Liebe ist viel zu umfassend, als daß sie sich auf das Genitale zurückführen ließe. Es gibt eine Reihe von intensiven körperlichen Kontakten, die für die Liebe grundlegend sind, jedoch nichts mit Sex zu tun haben. In vielen Situationen geht es nur um Nähe: daß man sich berührt, streichelt, umarmt, um Geborgenheit zu geben und zu spüren. Dann dreht es sich nicht um die Körper an sich. Die Körper stellen das her, was die Liebenden spüren wollen: Anwesenheit und Nähe.

HECTOR: Hat diese Nähe und Geborgenheit nicht auch in der letzten Vereinigung ihr Urbild und Vorbild? Genau darum geht es doch, wenn man zusammen schläft.

SALOME: Das primäre Begehren wurde in den Zweck der Fortpflanzung gestellt und unterdrückt. In der Liebe setzt es sich wieder durch. Die Zärtlichkeit fließt in mir wie ein Saft, sie gibt mir meine Wurzeln zurück.

LUCIA: Wenn du bei einem Spaziergang Arm in Arm gehst, dich aneinanderschmiegst oder Hände hältst, suchst du keinen Sex, sondern nur den Kontakt, die Berührung. Das verursacht keine sexuelle Erregung.

JUDITH: Nach diesen Körperkontakten verlangst du nur, wenn du den anderen liebst. Die Körper sind zwar von Bedeutung, aber das Sexuelle steht nicht im Vordergrund.

ARTHUR: Kommen wir zum Sex zurück.

LUCIA: Sagte der Phallus.

JUDITH: In der Liebe ist der Sex zärtlicher, feiner, entwickelter.

SALOME: Sex ist vor allem ein endlos verspieltes Spiel. Am schönsten sind lange Vorspiele, ganz ohne Ziel vor Augen.

ARTHUR: Immer muß es moderat sein – in kultivierten Formen aufgehoben. Das ist nicht das Wesen des Sex. Die überverfeinerten Vorspielereien haben fast etwas Asexuelles, hinter ihnen steckt eine Angst: die Angst vor einer Überwältigung durch ein unkontrollierbares Geschehen. Sex muß unmittelbar sein, etwas Plötzliches und Heftiges. Es bricht einfach durch, und du willst nur noch eines: Lust! Du wirst ganz und gar Trieb. Ich denke an Brechts 'Baal'.

HECTOR: Das ist mir zu draufgängerisch. Ich habe eher das Bedürfnis, unmittelbare Lust in Spielen auszudrücken, die sowohl sprachlich als auch körperlich sein können und trotzdem eine gewisse Distanz wahren. Lust, die in einem spielerischen Wechsel von unmittelbarer Erfüllung und Verzögerung besteht, in Wortspielen, in kleinen Aggressionen und Offensiven, dann wieder in der Zurücknahme und Zärtlichkeit. So eine Art kultiviertes Spiel.

SALOME: Ich finde Arthurs venerischen Appetit gesund, aber ein wenig roh. Diese Art Sexualität ist charakteristisch männlich. Außerdem unterstellst du, daß sublimierte Begehren geringere Befriedigungen bieten als die rohen. Der Mensch aber besteht in der Sublimierung. Du willst zurück zum Animalischen, zum Primären – du suchst Dionysos. Das ist ein gefährliches Unterfangen und vielleicht auch ein illusorisches.

ARTHUR: Ich beschreibe keine umfassende Sexualität, sondern wesentliche Momente darin.

GABRIEL: In meinen Ohren klingt das nach Gewalt. Als ginge es darum, den anderen niederzustrecken. Ich sehe dann einen Mann, der sich auf eine Frau stürzt und sie brutal 'nimmt'.

ARTHUR: So etwas habe ich nicht im Kopf. Humbug!

JAN: Es ist ein Übereinanderherfallen, wo sich etwas Erotisches aufgestaut hat.

CHARLOTTE: Ich bin mit Arthur einverstanden. Genau darin besteht die höchste Sexualität: die Lust des Augenblicks. Du denkst nicht mehr daran, was davor oder was danach ist.

ARTHUR: In dem Augenblick meine ich keinen anderen Menschen, kein konturiertes Subjekt, das ich vor mir sehe, es ist anonym.

CHARLOTTE: Das ist auch nicht mehr die Lust des anderen, die man genießt, es geht nur um die eigene Lust: Autoerotik.

LUCIA: Ich kenne das zwar auch, aber das ist doch auf bestimmte Zeiträume begrenzt, oder?

CHARLOTTE: Sicher, aber es ist nicht nur ein Phänomen der ersten Monate einer Beziehung. Es kommt immer wieder vor.

ARTHUR: Du bist beim Kochen und in einer äußerst mißlichen Situation, weil du gleich Besuch bekommst. Dabei berührt man sich zufällig, und plötzlich gibt es einen gewaltigen Schlag der Lust. Man fällt übereinander her, wälzt sich über den Boden, der Stuhl fällt um, irgendetwas klirrt. Alles gleichgültig. Das ist kein Spiel. Da ist keine Distanz mehr. Da sind zwei Körper, die verrückt werden aneinander.

SALOME: Was bedeutet dieses Fieber, das dich bis zur Raserei treibt, wenn nicht eine explosive Äußerung des Strebens nach Auflösung der Dualität und Sehnsucht nach Symbiose.

ARTHUR: Aber ist das nicht wunderbar: Der ganze Kopf, die ganzen Formen sind weg. Ein Delirium der Wollust. Nicht du führst etwas aus, sondern: etwas ereignet sich mit dir, gibt vollkommene Lust. Ich will damit nicht Sexualität schlechthin kennzeichnen, sondern Momente darin, die ich als wesentliche empfinde. Natürlich spreche ich nicht von Gewalt oder sadomasochistischem Sex.

REBECCA: Körperliche 'moments of being'?

ARTHUR: Genau! Etwas, das sich erschöpft in somatischen Sensationen, die schwindelerregend sind. Das, was du willst, ist jenseits aller Sprache. Warum sollte es immer außen vor bleiben?

LUCIA: Was mich stört, ist die Fixierung darauf, daß nur die körperliche Lust die wahre Lust sein soll, in der sich die Ich-Grenzen auflösen.

GABRIEL: Wie fühlt sich dieser sexuelle Schwindel an?

JAN: Du bist ganz und gar Körper, nichts sonst. In jedem Augenblick bist du ausschließlich das, was du gerade fühlst, was man dich gerade fühlen läßt. Hier, dort, an den verschiedensten Stellen, nacheinander, gleichzeitig.

CHARLOTTE: Du bist nie ein vollständiger Körper, sondern immer nur eine einzelne Stelle, ein einzelnes Teil. Oder anders: Der ganze Körper besteht dann nur aus der einen Stelle, die erregt wird. Mal bist du ein Ohr, mal ein Knie, mal eine Brust, mal nur das Geschlecht. Die Einheit des Körpers fällt auseinander, sie interessiert dich nicht.

HECTOR: Aber gerade Berührungen einzelner Punkte lassen den Körper als Ganzen vibrieren. Von der einzelnen Stelle aus verbreitet sich zauberartig ein elektrisierendes Gefühl über den ganzen Körper. Schon eine flüchtige Berührung löst diese Wirkung aus.

JUDITH: Ist es nicht immer dieselbe Lust? Löst eine Erregung am Ohr oder an der Brust nicht denselben süßen Kitzel aus, den du im gesamten Körper spürst? Eine Lust, die an verschiedenen Stellen erregt werden kann, hier besser, dort schlechter. Versuche doch einmal, die Lust im Körper zu lokalisieren, während du dich hingibst. Es ist eine universelle Lust. Sie ist gleichgültig gegenüber der Stelle, an der sie erregt wird.

GABRIEL: Erotische Anziehungen gehen nie von einem ganzen Körper aus. Was dich verrückt macht am Geliebten, ist ein einzelner Körperteil, eine bestimmte Zone: die Haare, die Augen, der Mund oder irgendein anderes Fragment. Dann sieht du nur noch einen Mund durch die Welt spazieren. Oder du siehst nur Haare, die fallen, sich bewegen, nach hinten gelegt werden, wieder ins Gesicht fallen, glänzen und deren Farbe im Licht wechselt.

LUCIA: Sich auf einzelnes zu kaprizieren am anderen, ihn durch mein Begehren zu fragmentarisieren, ist eine Wirkung des Sex. Das hat etwas Barbarisches. Ich will als Ganzes gesehen werden, nicht zerlegt werden. Ich bin nicht das einzelne. Nur bezaubernde Haare oder ein schöner Mund – das könnte auch jemand anders sein. Das ist anonym. Die Liebe ist die Gegenbewegung dazu, immer das Ganze und Runde der Person wahrzunehmen.

ARTHUR: Barbarisch? Sich in Details, ins kleinste und einzelne zu vernarren, heißt doch, an einer anderen Person Dinge wahrzunehmen, die ansonsten übersehen werden. Ich mache etwas zu einem ganz Besonderen. Das Muttermal an dieser bestimmten Stelle, das Ohrläppchen, das Handgelenk. Natürlich gibt es auch eine Gegenbewegung. Aber gerade diese einzelnen Dinge, die ich besonders liebe, binden mich sehr eng.

ARTHUR: Ist Sex nicht etwas vollkommen auf sich selbst Fixiertes, wie Judith sagte, und der Sex zu zweit nicht eigentlich Autoerotik? Was ich will, ist 'meine' Lust, 'meine' Befriedigung. Darum geht es.

CHARLOTTE: Nicht nur darum. Manchmal möchte ich nur dem anderen geben, was ihm Lust bereitet. Es gibt ein Geben, eine Situation, in der du merkst, der andere ist durch dich erregt, und du gibst ihm Befriedigung, die mit eigener Lust nichts zu tun hat, wohl aber mit – das klingt jetzt komisch – Liebe. Darin erschöpft sich dann mein Verlangen. Zu merken, wie ich den anderen um den Verstand bringe. Du machst dem anderen Geschenke und willst ihm Gutes tun. Dieses Geben gehört zum Süßesten beim Sex.

ARTHUR: Und selbst wenn es beim Sex immer um die eigene Lust ginge! Das wäre doch nicht schlimm: Sex ist vielleicht die einzige Situation, in der die Wünsche und die Lust des einzelnen volle Gültigkeit besitzen. Dazu kommt das Wunderbare, nämlich der Grund, warum Sex überhaupt funktioniert: Mein Begehren und mein Vergnügen können ganz und gar mit denen des anderen zusammenfallen. Küsse ich den anderen, ist das meine Lust, aber ebenso seine. Wo gibt es das schon?

CHARLOTTE: Lust potenziert sich auch gegenseitig. Je erregter und leidenschaftlicher der andere durch mich wird, desto leidenschaftlicher wird er mit mir sein und ich mit ihm. Das treibt sich immer weiter und höher.

AARON: Ich glaube nicht, daß beim Sex nur der Körper zählt, da gehören noch viele andere Dinge dazu. Die ganze Person muß dich aufregen. Beim Sex suhlen sich nicht nur die Leiber. Es ist eine unerhörte Näherung der Seelen, etwas Geistiges auch, vor allem in der Vereinigung. Ich könnte es mit keiner Frau, die mich nicht auch in einem Gespräch reizen könnte.

JAN: Das glaube ich nicht. Stell' dir vor, du bist in den Sommerferien, irgendwo im betäubenden Süden am Meer. Plötzlich steht ein verrückter Körper vor dir, braungebrannt. Am Strand liest sie Vom Winde verweht, sie trägt einen pinkfarbenen Bikini und eine unmögliche Sonnenbrille. Alles was du außer ihrem Körper siehst, läßt dich verzweifeln. Kein Wort könntest du mit ihr wechseln. Trotzdem bringt dich der Körper um den Verstand, du liegst den ganzen Tag nur auf dem Bauch.

AARON: Ich würde sie mir anschauen, aber nicht mehr wollen.

JAN: Warte ab. Am Abend bist du in der kleinen Hoteldisco, du hast Wein im Kopf und sie will. Natürlich nur für eine Nacht. Warum es nicht tun, wenn dich dieser Körper erregt und du ihn erregst? Es ist ein Arrangement: Nur die Lust interessiert, kein Austausch der Personen, kein Morgen. Was wäre schlimm daran? Die Frage ist doch nur: Ist es schön, gibt es Lust?

HECTOR: Eben. Es muß bei Sexualität nicht um Liebe gehen. Zwei erregte Körper können zusammenfinden und Befriedigung haben, Affären und One-night-stands. Ich bin dagegen, das zu diskriminieren. Dieses Gerede von der neuen Treue, der strengen Bindung des Sex an die 'wirklich ernsten' Gefühle füreinander und sogar an die Ehe – gräßlich! Man greift auf moralische Werte der fünfziger und sechziger Jahre zurück. Aids ist da nur ein Vorwand. Aids hindert Promiskuität nicht. Aber bitte Safer Sex.

LUCIA: Das ist vielleicht eher eine männliche Phantasie und eine männliche Fähigkeit, sich ganz und gar als Körper der Lust zu empfinden, ohne den anderen als Person wahrzunehmen.

SALOME: Für mich ist das Begehren selbst viel lustvoller als der Akt. Dazu gehört wesentlich die Sprache. Das Begehren, das sich in Worten äußert, die man sich zuflüstert. Die plötzlich alles anstoßen, einen sexuellen Taumel auslösen. Es können viele Worte sein oder nur ein einziges. Manchmal ist es nur die Stimme, der bestimmte Ton, die Schwingung.

LUCIA: Auch beim Sex brauche ich manchmal die Sprache. Dann will ich bestimmte Worte hören oder selbst sagen. Oder einfach nur die vertraute Stimme des anderen spüren. Worte können die Lust steigern. Manchmal zärtliche Worte, manchmal auch härtere Worte.

ARTHUR: Verschone mich! Ich ertrage keine Worte dabei. Sex ist der Ort, an dem die Worte und die gewöhnliche Sprache hinfällig und überflüssig ist. Die Kommunikation der Körper ist die vollkommenste Kommunikation, bar der Worte, überhaupt nicht einholbar im Verbalen. Phantastische Phänomene, die unsprachlich funktionieren.

SALOME: In der Erotik verändert sich die Funktion der Sprache. Die Sprache findet ihre Wurzeln wieder, kehrt zurück zum Augenblick ihrer Entstehung. Unartikuliert ist sie Schrei und Lautmalerei.

ARTHUR: Die esoterische Kommunikation der Körper ist natürlich selbst eine Sprache: sich zu streicheln, zu lieben, die Spiele, der wilde Ausbruch: alles Arten, sich zu unterhalten, miteinander zu sprechen. Dinge zu sagen, die sich sonst nicht sagen lassen. Aber es ist eine hermetische, eine dunkle und zitternde Sprache, die sich nicht übersetzen läßt in die Sprache der Begriffe. Es entfaltet sich eine höchstverfeinerte Unterhaltung, die in einer Sprache, wie ich sie jetzt benutze, niemals zu reformulieren ist. Bedeutungen, die der andere wie du selbst nur ahnen und fühlen kannst.

AARON: Kommen wir auf Liebe und Sexualität im engeren Sinne zurück. Sex spielt in den verschiedenen Phasen der Liebe eine unterschiedliche Rolle. Verliert die Sexualität an Bedeutung?

HECTOR: Eine bestimmte Qualität muß der Sex behalten. Sex bleibt ein Zeichen für den Zustand einer Liebe. Wenn er fade wird, ist es vorbei.

AARON: Irgendwann ist der Körper des anderen kalter Kaffee. Die Leidenschaft erstirbt. Es stellt sich eine schreckliche Langeweile ein, die man dann entweder erträgt oder aus der man ausbricht, in Seitensprüngen oder sogar durch eine Trennung, eine neue Beziehung.

GABRIEL: Da bin ich mir nicht sicher.

REBECCA: Das kann man vermeiden, wenn man aufmerksam ist.

AARON: Zwei Körper, die sich irgendwann nicht mehr erregen können, weil alles bekannt und eingefahren ist. Man verrichtet immer dieselben Handlungen, dieselben Abläufe, berührt immer dieselben Stellen, führt dieselben Handgriffe und Bewegungen aus. Weil man irgendwann einmal herausgefunden hat, daß eben diese die größte Lust bereiten. Ich meine den Überdruß, eine auslaugende Gewohnheit, für die niemand etwas kann, die sich einfach einstellt.

HECTOR: Das erste halbe Jahr läuft der Sex, da liegst du jeden Tag im Bett, wenn es das Leben zuläßt. Dann kommt ein halbes Jahr, das in Ordnung ist, und dann kommen noch zwei bis drei Jahre, in denen man es erträgt. Und dann...

LUCIA: Man kann es auch umgekehrt sehen. Durch das anwachsende Vertrauen, die sich auflösenden Ängste und Vorbehalte wird eine immer größere Zärtlichkeit möglich. Erst dann traust du dich zu zeigen, was dir die größte Lust bereitet, führst die Hand deines Partner an die besonderen Stellen, sprichst darüber.

REBECCA: Genau. Mit der Zeit wächst die Fähigkeit, auf immer feinere Begehren des anderen einzugehen und auch an sich selbst solche feinen, flüchtigen Begierden zu entdecken. So würde die mögliche Lust immer farbiger, immer ausgetüftelter.

ARTHUR: Haben wir nicht ein viel zu starres, stumpfes Bild von einem Körper? Ich glaube an einen unendlichen Prozeß, in dem sich zwei Körper stetig zu immer neuer Lust verwickeln können. Ein Körper ist nie etwas Abgeschlossenes und endgültig Festgelegtes, sondern immer in Veränderung.

REBECCA: Zu welcher Lust dein Körper fähig ist, erfährst du erst allmählich mit dem anderen.

ARTHUR: Zuerst lernt man, was der eigene Körper und der des anderen ist, wie sie in diesem Moment empfinden. Aber schon dabei verändern sich Körper. Beide entdecken an sich erogene Zonen und Berührungen, die sie noch nicht kannten, die davor noch gar nicht zum Körper gehörten. Was dir früher eklig war, kann heute das süßeste Vergnügen sein.

REBECCA: Es gibt Ekel, die zu tief liegen. Was meinst du, was manche Mütter ihren Töchtern von den Geschlechtsteilen der Männer erzählen.

JAN: Warum sollte Liebe ihren Kern nicht in der Idee haben, sich immer kunstvoller Lust zu bereiten? Körper können sich von trübseligen Beschränkungen freimachen, sich immer weiter erobern.

LUCIA: Das klingt nach guter alter Utopie: den ganzen Körper zu sexualisieren, alles zur Möglichkeit der Lust zu machen, ihn dem schnöden Lebensgeschäft zu entziehen.

REBECCA: Dann aber ist Sex auch ein bewußter Prozeß, fast eine Arbeit mit dem anderen. Man müßte miteinander sprechen, etwas absichtsvoll versuchen, Scham überwinden wollen.

JUDITH: Dein Verhältnis zu deinem eigenen Körper, wie du ihn siehst, was du überhaupt wahrnimmst von ihm, ist ja etwas, was sich in der Erziehung herstellt. Bestimmte Regionen und Handlungen werden tabuisiert: sie gelten als schmutzig, pervers... Analer Sex zum Beispiel.

HECTOR: Ich weiß gar nicht, ob es ein natürliches und zwangsläufiges Nachlassen der sexuellen Anziehung geben muß. Bei mir ist das anders: Sexualität vollzieht sich in Zyklen. Es gibt die Lustphase, in der ich alle drei Stunden könnte. Das dauert drei Tage, und danach ist es für Wochen vorbei.

SALOME: Am Anfang ist man unersättlich, das hat aber nicht unbedingt etwas mit Sexualität zu tun. Es geht um eine Obsession, eine hektische Sucht, immer, überall beim anderen zu sein, ohne Unterlaß. Man will den anderen mit sich bedecken, alle Distanzen überwinden. Es gibt eine Angst, nicht genug zu erfahren, nicht alles zu entdecken.

JUDITH: Das läßt irgendwann nach. Sexualität und ihre Bedeutung verändern sich in einer Liebesbeziehung, wie alles. Die Liebe besteht eben darin, daß alles in einer gemeinsamen Bewegung bleibt.

SALOME: Irgendwann kann dir das Körperliche auch zuviel werden, zuviel Nähe und Verschmelzung bedeuten. Gerade in einer längeren Beziehung sind Distanzierungen wichtig. Die Anorgasmie der Frau wie auch bestimmte Formen der Impotenz beim Mann entstehen aus der Furcht, ganz und gar vereinnahmt zu werden.

JUDITH: Am meisten habe ich Angst vor der Gewohnheit. Das ist der Tod des Sex.

JAN: Es wäre doch das beste, man setzte mal fünf Jahre damit aus.

SALOME: Man muß Tricks finden, um sich den Sex aufregend zu erhalten. Sexualität muß man sich erarbeiten. Ein Kniff sind Unterbrechungen, kürzere oder längere Phasen, in denen man sich zurückhält. Man kann den Sex inszenieren.

CHARLOTTE: Dabei gibt es keine Grenzen. Sex ist der Ort der unendlichen Mannigfaltigkeit. Es ist alles möglich, und jeder kann seinen ganz eigenen Sex finden. Der eine liebt den Sex mit den Händen, der andere mit dem Mund. Nichts, aber auch gar nichts kann man verallgemeinern. Sex ist individuell, anarchisch.

ARTHUR: Eben. Sexuelle Erregung ist das absolut Willkürliche. Natürlich kennt man nach einer gewissen Zeit bestimmte Handlungen und Situationen, Arrangements, die zur Erregung führen. Es gibt etwas Eingespieltes, bestimmte Tageszeiten, Orte usw. Man weiß, was einen aufregt. Aber das ist nicht das Wesentliche: Der größte Reiz liegt im Unerwarteten, im Plötzlichen. Wenn in einer ganz alltäglichen und meist unpassenden Situation ein heftiges Begehren entsteht. Wenn du dann das Verrückteste versuchst und alle peinlichen Überraschungen in Kauf nimmst, um es tun zu können. Eine Düne am Strand, wo du weißt, daß alle paar Minuten jemand vorbeikommen wird. Oder du fährst von der Autobahn ab, kilometerweite Umwege für einen Waldweg, obwohl du eh zu spät bist und es Ärger geben wird. Sex verursacht Störungen, Chaos.

SALOME: Das Wesentliche im Sex ist die Vielfalt. Die Zeit der Vorherrschaft des Genitalen ist vorbei. Das heißt aber: Wir haben veränderte Körper. Die Losung müßte lauten: 'polymorphe Sexualität'. Frauen waren noch nie so zentriert um ihr Geschlecht. Im Grunde ist jede Frau von Natur aus homosexuell.

LUCIA: Richtig! Wir müssen weg von den konventionellen und häufig primitiven Begegnungen von Penis und Vagina. Die Popularität endloser Masturbationen scheint mir etwas interessant Neues zu sein. Achtundsechzig und die schöne 'sexuelle Revolution' war doch ein lächerlicher Tanz um die Genitalien.

AARON: Anarchie und Grenzenlosigkeit beim Sex. Dennoch gibt es Grenzen. Was ist mit den wirklichen harten Praktiken, SM-Sex zum Beispiel?

HECTOR: Was beiden gefällt, ist erlaubt. Wenn die Wünsche einander entsprechen, wenn man nach dem Sex kein medizinischer Fall ist und sich niemand als Opfer seiner Leidenschaften sieht, geht alles.

LUCIA: Die Wirklichkeit ist meist komplizierter. Da kollidieren die Wünsche. Wenn einer oralen Sex liebt, der andere nicht, was dann? Aus der Sicht desjenigen, für den das die größte Lust bedeutete, wäre eine Beziehung, in der oraler Sex ausgespart bliebe, immer wieder frustrierend.

ARTHUR: Ich glaube – ganz allgemein –, wenn Sex für einen der beiden unbefriedigend bleibt, ist das ein legitimer Grund, eine andere Beziehung zu suchen.

REBECCA: Der Sex kann die Liebe boykottieren.

AARON: Wenn das Begehren des einen auf etwas zielt, was der andere nicht will, müßte dort zuerst einmal Schluß sein. Es reicht, daß irgendetwas auch nur ein wenig unangenehm ist. Das dürfte aber keine endgültige Grenze sein. Man müßte zusammen versuchen, sich dem Wunsch desjenigen, der zunächst einmal verzichten muß, zu nähern. Widerwillen kann man auflösen. Da gibt es interessante Prozesse, die man an sich erleben kann.

GABRIEL: Einspruch! Es ist doch völlig ausgeschlossen, daß ich jeden Scheiß' – Entschuldigung – mitmache, den sich eine enthirnte Lustnudel zusammenphantasiert, nur damit sie die letzten Sprossen ihrer Lustleiter erklimmt. Es gibt Grenzen. Bei aller Liebe.

ARTHUR: Es gibt eine dunkle Dynamik von Verbot, Ekel und Lust. Ein Verbot schafft erst die Lust.

GABRIEL: Bei mir nicht.

JUDITH: Wenn du dich mit einer 'enthirnten Lustnudel' zusammentust, mußt du eben gewisse Zugeständnisse machen...

HECTOR: Ich finde, daß der Grundakt gesichert sein muß. Der Grundakt ist die Kopulation. Alles andere ist zweitrangig. Der Mann muß sich abreagieren können, damit es sich nicht aufstaut.

GABRIEL: Dann wird du nie die sinnlichen Verzückungen des coitus reservatus erleben. Das Sperma, das sich zurückhält, eröffnet dem Liebenden die Vielfalt der weiblichen Erotik.

CHARLOTTE: Dennoch führt eine längere Frustration zu Verstimmungen. Dann läuft die Liebe falsch.

JAN: Wenn du so etwas sagst als Mann, bist du gleich ein Tier.

CHARLOTTE: Klar. Dennoch: Das Begehren und den Sex von dem Ganzen der Person trennen zu können, ist eher eine Fähigkeit des Mannes.

JAN: Und die Frauen, mit denen ich so etwas mache, sind Halluzinationen? Oder du müßtest behaupten, daß sie das eigentlich nicht wollten.

CHARLOTTE: Es gibt reale Unterschiede in der Sexualität von Männern und Frauen. Natürlich sind diese Unterschiede nicht mehr so einfach auszumachen: der Mann kennt nur den Penis und den Akt, die Frau nur das Vorspiel und so weiter. Trotzdem...

SALOME: Ich finde den 'wilden Sex' sehr männlich. Liebkosen ist eine Art, sich auf die Frau einzulassen, allgemein auf das Weibliche einzugehen, weil Frauen einen ganz anderen Rhythmus haben als Männer. Frauen brauchen viel länger, um zum Orgasmus zu kommen. Das Vorspiel ist eine Spiegelung der Sexualität selbst.

CHARLOTTE: Ist das nicht ein Mythos, daß die Frau immer die weiche, sanfte Sexualität sucht?

SALOME: Das meinte ich nicht. Es ist die Frage, ob man das Vorspiel männlich-kurz oder weiblich-ausgiebig praktiziert. Die langen Vorspiele in den romanischen Ländern sind ein Eingehen auf die weibliche Sexualität.

CHARLOTTE: Was Arthur meint, soll weibliche Sexualität nicht unterdrücken. Diese Phantasien können durchaus weiblich sein.

SALOME: Ich mache auch keine Trennung zwischen Mann und Frau, sondern zwischen männlich und weiblich. Diese Anteile weist jeder auf. Es ist kein Zufall, daß die deutschen Frauen so auf südländische Männer abfahren. Die haben nicht mehr Sexappeal. Da geht es nicht um Sex, es geht um die Verführung durch Worte.

ARTHUR: Ich würde die Differenzen auch lieber an Individuen festmachen, nicht am anatomischen Unterschied.

SALOME: Sondern daran, wie die Erziehung die Jugendlichen mit Sexualität konfrontiert. Der Koitus hat nichts Natürliches. Es ist ein historisches Produkt, die Festschreibung eines bestimmten Machtverhältnisses zwischen Mann und Frau.

HECTOR: Natürlich mußte die Frauenbewegung herausstellen, daß die gesellschaftlichen Vorstellungen von der Frau, von ihrem Körper und ihrer Sexualität nicht von der Natur angelegt waren. Männer und Frauen müßten alles noch einmal diskutieren, in einer entspannteren Situation.

ARTHUR: Die Verunsicherung des Mannes wird immer auf die Emanzipation der Frauen und der Schwulen zurückgeführt. Dahinter steht die Angst vor der Befreiung des Weiblichen, vor der Gleichberechtigung von Frauen und Schwulen, vor allem aber die Furcht vor einer Verweiblichung unserer Gesellschaft.

SALOME: Daher läßt die Werbung die Frau hinter dem Schleier oder dem Schador verschwinden. Die Auflösung ihrer Sexualität sieht man auch im anorektischen Körperbild der extrem dürren Mannequins. In der Modebranche kursiert sogar das Bonmot, die beste Frau sei der Transvestit! Wohin soll das führen!

REBECCA: Die Mode bringt den fetischistischen Kern ans Licht: Das Androgyne ist ein als Frau verkleideter Phallus!

JAN: Übertreibt ihr nicht? Der emanzipierte Mann muß heute von sich behaupten, es gehe gar nicht nur um sein Geschlecht, er habe keine phallisch zentrierte Sexualität und auf den Orgasmus komme es nicht an. Daß der Penis, seine Aktionen und der Orgasmus im Mittelpunkt stehen, gilt als primitiv. Aber für den Mann ist er nun einmal das zentrale Organ bei der ganzen Sache, auch wenn es nur um Berührungen geht. Alles gleitet dahin – küßt mich eine Frau am Ohr, zucke ich doch unten. Das heißt nicht, daß ich die Vorspiele entwerten will.

GABRIEL: Daß es zuckt, sei unbenommen. Entscheidend ist die Interpretation des Phänomens sowie die Frage, weshalb es zuckt. Ich empfände das Zucken um so schöner, je weniger Hormone im Spiel wären. Am heftigsten zuckt es doch dort, wo noch erobert, entdeckt, gefesselt und beeindruckt werden will. Erobert wird jedoch nicht sexuelles Wohlverhalten, sondern die Persönlichkeit des anderen; gefesselt werden keine Extremitäten, sondern die Aufmerksamkeit; beeindruckt wird nicht durch sexuelle Leistungen, sondern durch Zärtlichkeit und Zuneigung.

REBECCA: Vorspiel ist sowieso eine diskriminierende Bezeichnung, wahrscheinlich die Erfindung eines Mannes. Das heißt doch: Das eigentliche Spiel kommt noch, nämlich das genitale, das 'richtige'. Wir schaffen den Begriff ab!

JUDITH: Frauen haben einen reicheren Körper, viel mehr Möglichkeiten, Lust zu fühlen und zu empfangen. Mir kommt es so vor, als hätten wir mehr empfindliche Oberfläche, mehr Haut am Körper als der Mann. Schon daß es Vagina und Klitoris gibt, verhindert, daß wir einfältig werden. Und beide bereiten andere Lust, es gibt kein Primat. Dazu noch die Brüste. Mir tut der Mann leid.

HECTOR: Da hätten wir einen Unterschied, der in der Anatomie liegt und vielleicht weitreichende Folgen hat. Der Mann kennt ein Zentrum und hat ein Primat, die Frau viele kommunizierende Punkte.

CHARLOTTE: Mir ist das alles zu allgemein. Wir können nicht die 'eine' weibliche oder männliche Sexualität formulieren. Sex ist individuell. Es gibt Frauen, die den Mann am liebsten in sich spüren, andere wollen nur gestreichelt werden. Manche haben ein gebrochenes Verhältnis zu ihren Brüsten oder lehnen sie sogar ab.

JAN: Aber es sind doch auch die Frauen, die nur das eine an uns wollen: den Phallus. Was interessiert sie schon der Rest unseres Körper? Zuerst gibt es noch ein paar Küßchen hier und da, ein bißchen Gestreichel, bis sie glauben, jetzt kann die Hand runter gleiten, ohne daß es zu prompt wäre.

ARTHUR: Die große weibliche Phantasie arbeitet dann ganz schön erbärmlich vor sich hin mit dem Ding. Wenn sie drei Variationen in der Bewegung hinbekommt, kannst du froh sein. Manchmal fühlt man sich wie abgefertigt.

HECTOR: Weil die Frauen nichts von uns wissen. Es gibt unüberbrückbare Abgründe zwischen den Geschlechtern. Allein die Art zu berühren, zu tasten. Der Mann tastet anders, wäscht sich anders, betrachtet sich anders. Der Mann erreicht sein ganzes Geschlecht, kann sich überall berühren, wird überall berührt und gesehen. Das körperliche und sexuelle Empfinden hat ja auch mit Autoerotik zu tun.

JUDITH: Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst.

HECTOR: Wenn der Mann die Frau anfaßt und streichelt, empfindet er sie anders als seinen eigenen Körper. Es ist das ganz Fremde.

JUDITH: Ich denke, auch ein Mann ist fähig, weiblich zu berühren.

HECTOR: Was wissen wir schon in Bezug auf Körperlichkeit vom anderen? In den entscheidenden Punkten nichts! Als Mann weiß ich nur: Wir haben die Erektion. Und wir haben auch die Erschlaffung. Wir haben dieses Moment der Hochzeit. Aber was wissen wir von den Frauen. Sie können uns erzählen, was sie wollen, können behaupten: "Wir waren erregt und hatten auch einen Orgasmus." Ich habe mir immer eingebildet zu wissen, wann eine Frau den Höhepunkt hat. Mittlerweile glaube ich an gar nichts mehr.

ARTHUR: So wird man(n) Agnostiker.

JAN: Aber es gibt doch vielfältige Möglichkeiten – nicht nur Worte –, dem anderen mitzuteilen, was sich wo wie anfühlt. Das gehört doch wesentlich zum Prozeß der Liebe.

SALOME: Ein Frauenkörper fühlt sich viel weicher an. Das war immer mein Problem mit Männern. Selbst die kleinen Details, zum Beispiel die Ohrläppchen. Oder nimm die Brüste. Wie soll ich bei einem behaarten Mann meine Sehnsucht nach glatter Haut, nach diesem Weichen und Fülligen stillen. Es verlangt der Frau eine enorme Überwindung ab, den Mann als ein erotisches Objekt wahrzunehmen. Schließlich war die Mutter das erste Liebesobjekt, an dem alles Begehren entfacht und ausgebildet wurde.

HECTOR: Eben. Und selbst die emanzipiertesten Frauen kommen auf dich als Mann mit den alten Vorstellungen von männlicher Sexualität zu, zum Beispiel, daß der Mann immer kann und will. Die Erektion ist eine Selbstverständlichkeit.

ARTHUR: "Schatz, ich habe Kopfschmerzen" ist anerkannt, doch wenn die Erektion nicht hinhaut, ist es eine peinliche Katastrophe und Grund zum Spott. Da lachen die Männer sich selbst aus.

REBECCA: Eine Frau, die ein bewußtes Verhältnis zu ihrem Körper hat, braucht eine größere Vertrautheit zu einer Person als ein Mann, damit Sex möglich ist. Bevor ich mit einem Mann schlafe, möchte ich weitreichende Sympathie empfinden. Vielleicht weil ich diejenige bin, die etwas aufnimmt. Das geht tiefer als für einen Mann.

LUCIA: Irgendwann erzählte mir eine Frau, daß sie mit keinem Mann schlafen könnte, wenn es ihr nicht vorstellbar wäre, von seinem Samen ein Kind zu bekommen. Sie phantasierte, alle diese Männer in sich zu bewahren. Das erste Kind, das sie bekam, war für sie eine Mischung aller Männer, mit denen sie geschlafen hatte. Von jedem war etwas dabei. Die entscheidende Frage ist: Welchen Samen willst du behalten und welcher ist dir widerlich?

CHARLOTTE: Ich könnte mir keinen Sex mit einem vorstellen, bei dem ich nicht das Gefühl hätte, es könnte ein Kind entstehen.

JAN: Und ihr glaubt, einem Mann genüge es, irgendeinen netten Unterleib vor sich zu haben! Frauen glauben, daß der Sex nur für sie eine komplexe Bedeutung hat. Wir dagegen stoßen einfach etwas aus, und das war's. Wo, ist uns ja egal. Aber: Ich fließe doch in die Frau, ich selbst. Ich finde das Verhältnis dazu sehr eng.

HECTOR: Der Mann erleidet den Alptraum, daß der Samen zurückfließt, daß er nicht bewahrt wird, einfach abstirbt.

GABRIEL: Millionenfacher Zelltod.

HECTOR: Und die Frau geht ins Bad, schließt die Türe hinter sich und duscht sich ab.

ARTHUR: In einer Affäre – gut! Doch in der Liebe ist das für mich eine unerträgliche Vorstellung. Ich wäre zutiefst gekränkt, wenn meine Freundin das Gefühl hätte, sich duschen zu müssen. Das hätte eine klare Aussage.

LUCIA: Das ist nur die Illusion einer Reinigung, eine symbolische Handlung. Es geht um die Beseitigung des Gröbsten. Gegen das Feine, das danach kommt, kannst du ohnehin nichts unternehmen. Manchmal ist es schön, in anderen Situationen jedoch wieder unangenehm: Du mußt raus in die Welt, du stehst in der U–Bahn, und es tropft...

CHARLOTTE: Es kann wunderbar sein, wenn du es den ganzen Tag in dir spürst.

AARON: Eine irrsinnige Vorstellung, noch Tage danach zu tropfen.

HECTOR: Männer tropfen doch auch.

AARON: Nicht tagelang!

HECTOR: Aber Stunden.