Home

Download
212 Seiten, PDF, 0.4 MB

Zufallsgenerator
Ein beliebiger der 1253 Wortbeiträge

Textproben
1. Begegnung
2. Eroberung
3. Sex
4. Phantasien
5. Eifersucht
6. Alltag
7. Dreiecke
8. Krise
9. Trennung
10. Verliebtheit

Autoren
Aaron
Arthur
Charlotte
Gabriel
Hector
Jan
Judith
Lucia
Rebecca
Salome



Kapitel 7

Dreiecke

Der unsichtbare Dritte

GABRIEL: Am Anfang waren sie zu zweit, und plötzlich sind sie zu dritt. Ohne Kind, dafür mit Nebenbuhler oder Nebenfrau. Was tun? Hält man still, oder schaut man der Bescherung zu? Wenn ja, wie lange? Wie geht man mit dem Prinzip des Dritten in einer Beziehung um?

SALOME: Und das in Zeiten gesellschaftlicher Krisen und sinkenden Lebensstandards? Der männliche Samen fungiert doch als Metapher für das Geld. Wie mit dem Geld muß man auch mit dem Samen in Zeiten der Rezession sparsam umgehen.

REBECCA: Jetzt ist also Verzicht und Restriktion für den Mann angesagt!

LUCIA: Die Frau ist aufgrund ihrer Biologie von dem Zwang der Akkumulation befreit. Worauf warten wir noch?

HECTOR: Auf die Männer... Aber die schließen sich zusammen, schaffen sich neue Bereiche, in denen der tabuisierte Chauvi-Spruch wieder losgelassen werden kann.

CHARLOTTE: Und wo bleibt die Libido?

REBECCA: Im Fußballstadion.

ARTHUR: Für mich sind Männerfreundschaften der Inbegriff des Grauens.

HECTOR: Ich weiß, welche Bilder du im Kopf hast. Du meinst eine faschistoide Männerfreundschaft. Es gibt aber auch wirkliche Freundschaften. Ich habe immer großen Wert darauf gelegt, enge Beziehungen zu Männern zu haben, weil ich mit einem Mann ganz andere Dinge besprechen kann als mit einer Frau. Hinzu kommt, daß ich mich bei einem Mann nicht verstellen muß. Mit einer Frau entsteht oftmals eine erotische Spannung, die für mich eine Art Doppelbödigkeit darstellt. Meine Sprache verliert ihre Eindeutigkeit in den Mäandern der Verführungsspiele.

SALOME: Aber es gibt auch Kameradschaft zwischen Mann und Frau. Wenn ich den Mann sympathisch finde, schlage ich ihm freundlich auf die Schulter – ohne Hintergedanken.

JAN: Ich fahre trotzdem lieber mit einem Freund in Urlaub als mit einer Frau. Ich fühle mich freier mit einem Mann, bin ihm keine Rechenschaft schuldig. Wenn der eine nachts wegbleibt, gibt es keine Probleme. Es ist alles selbstverständlicher.

HECTOR: Man hat wenig echte Freunde. Freundschaft kann in Liebe übergehen, auch in platonische oder gleichgeschlechtliche.

GABRIEL: Nach welchen Kriterien sucht man sich Freunde aus? Wie allen Realitäten des Gefühlslebens entzieht sich die Freundschaft häufig dem Zugriff des Verstands.

SALOME: Im Unbewußten eines Menschen muß es geheimnisvolle Affinitäten geben, die bewirken, daß zwei Personen sich wiedererkennen und Freunde werden. Ich habe Freundschaften auf den ersten Blick erlebt, die sich von der Liebe auf den ersten Blick kaum unterschieden.

LUCIA: Die Freundschaft erfordert im Gegensatz zur Liebe, daß die Freunde ein umgreifendes Gemeinsames haben, ein gemeinsames politisches Ziel oder Ideal, eine Bewunderung für die gleichen Schriftsteller oder die gleichen Filmemacher.

SALOME: Mir gefällt aber besonders der dialektische Charakter der Freundschaft und die wechselseitige Bereicherung. Zwei Freunde müssen sich nicht ähnlich sein, sonst könnte ich keine Freunde aus anderen Kulturkreisen haben.

ARTHUR: Ich möchte in der Freundschaft wie in der Liebe so akzeptiert werden wie ich bin, mit meinen Qualitäten und Fehlern. Diese Anerkennung finde ich eher bei Frauen.

AARON: Für mich ist das Fehlen jeglicher Eifersucht ein sicheres Kriterium für die Echtheit einer Freundschaft.

GABRIEL: Diese Auffassung kann aber nicht von denen geteilt werden, die jede Freundschaft als die Verkleidung einer homosexuellen Anziehung ansehen. Solche Freunde kennen die Qual der Eifersucht. Statt miteinander das Transzendente zu suchen, halten sich beide gegenseitig für das Transzendente. Das kann nur zu Enttäuschungen führen und früher oder später zum Zerbröckeln der Freundschaft.

SALOME: Wir sprechen jetzt weniger über die Freundschaft im ursprünglichen Sinne des Wortes als über eine Erotik, die noch ihren Weg sucht. Das kennt man doch aus der Schulzeit. Das zärtliche Wort, die leidenschaftlichen Briefe, die man der Freundin schenkt, gelten eigentlich, wenn auch unbewußt, demjenigen, auf den man wartet und dessen Gesicht man noch nicht kennt.

REBECCA: Diese erotisch getönte Freundschaft erlischt schnell, sobald eine der beiden sich in einen Mann verliebt.

SALOME: "Frauen sind einander Kameraden in der Gefangenschaft", schreibt Simone de Beauvoir. "Sie helfen sich gegenseitig, ihr Gefängnis zu ertragen, bereiten sogar gemeinsam den Ausbruch vor: Der Befreier jedoch wird ein Mann sein." Ihrer Meinung nach sind Frauen keine Freundinnen, sondern Komplizinnen. Andere Zeiten, andere Sitten. Die Menschen, denen ich existentiell verbunden bin, sind sowohl Frauen als Männer.

JAN: Ist die Freundschaft zwischen Mann und Frau nicht problematisch? Viele behaupten, sie sei ganz und gar unmöglich.

CHARLOTTE: Ich denke, daß die Freundschaft zwischen Mann und Frau sich unbestritten aller Schwierigkeiten als überaus fruchtbar erweist. Natürlich ist klar, daß einer solchen Freundschaft das Erotische nicht gänzlich fremd ist. Manchmal ist die Freundschaft besonders zärtlich, obwohl das Sexuelle im eigentlichen Sinne daraus verbannt ist. Anders wäre es keine Freundschaft mehr.

GABRIEL: In den 70er Jahren haben viele Menschen keinen Widerspruch zwischen Freundschaft und Sexualität gesehen. Sie dachten, daß eine innige geistige Begegnung sie zwangsläufig dazu bringen würde, auch die körperliche Begegnung zu suchen. Man ging sehr schnell mit Freunden ins Bett.

SALOME: Das habe ich nie mitgemacht, obwohl ich oft mit Freunden im gleichen Bett geschlafen habe. Die Verwirklichung einer Freundschaft zwischen Mann und Frau ist für mich nur möglich unter der Bedingung, daß beide sich der Notwendigkeit bewußt sind, das Sinnliche zu sublimieren, daß sie diese Sublimation aufrichtig wünschen und daß sie genügend Kraft haben, sie durchzuführen.

JAN: Der Verzicht, den man in einer Beziehung übt, verleiht ihr Gewicht.

SALOME: Ich vertrete mit der Treue keine asketischen Ideale. Die Renaissance von Ehe und Familie und die Rückkehr zur Keuschheit, die gerade propagiert werden, sind mir in ihrer Ideologie zuwider. Was mich an der freundschaftlichen Liebe reizt, ist der unklare zweideutige Raum, in dem sie sich bewegt und die Fähigkeit zur Vergeistigung, die sie erfordert.

JAN: Dieses Spielchen kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Du scheinst die Männer permanent auf die Probe stellen zu wollen. Sie müssen sich deinen Regeln unterordnen.

SALOME: Platonische Liebe ist kein Spiel, sie ist bloß eine Variante der Freundschaft oder der Liebe. Mehr noch: Die erotische Liebe selbst hat keine Aussicht, dauerhaft glücklich zu sein, wenn sie nicht danach strebt, zu wahrer Freundschaft zu werden. Die sinnliche Anziehung währt länger, wenn die Partner auch geistig verbunden sind.

HECTOR: Kurz und gut: Du machst keinen großen Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe außer, daß du mit deinem Partner auch schläfst.

SALOME: Mit meinem Partner realisiere ich die Verschmelzung von Körperlichem und Geistigem. In der freundschaftlichen Liebe hingegen spiegelt der Freund nur einen oder wenige der mannigfaltigen Aspekte meiner Persönlichkeit, egal wie wesentlich die geheimen Affinitäten sein mögen. "Durch die Liebe und nur durch sie realisiert sich auf einer höchsten Stufe die Vereinigung von Wesen und Existenz", schreibt André Breton.

GABRIEL: Du weißt doch besser als ich, daß eine inzestuöse Bindung mit der Mutter die platonische Liebe möglich macht. Deine Verehrer haben alle einen Mutterkomplex. Sie haben Angst, sich festzulegen, drücken sich um die Verantwortung und brauchen den Ehemann als Konkurrenten. Das ist doch alles füchterlich ödipal!

SALOME: Dann muß ich mich allerdings fragen, was Liebe überhaupt ist, welche Rolle ich als Person spiele?

LUCIA: Eine geringe Rolle, denke ich.

ARTHUR: Das ist sehr traurig. Die Arbeit an der Liebe, der Einsatz, etwas aufzubauen, ist ein wichtiges Moment. Auch in der freundschaftlichen Liebe.

CHARLOTTE: Die Liebe muß nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit beruhen. Wichtig ist, daß man selbst liebt, auch wenn der Gegenstand der Liebe die Gefühle gar nicht erwidert. Es gibt doch im Prinzip nichts Schöneres in der Liebe als das Leiden; alles, was danach kommt, ist langweilig.

SALOME: Die Liebe durch das Leid zu erkennen, ist das Geheimnis von Tristan und Isolde. Es genügt Tristan, von seiner Leidenschaft zu träumen. Seine Liebe gilt der Liebe an sich und nicht Isolde als Person. Ihre Abwesenheit ist der Antrieb der Sinnlichkeit, die Todessehnsucht...

GABRIEL: ...und die Rivalität zu König Marc, dem Ehemann. Der Kampf gegen das patriarchalische Gesetz, das der König verkörpert.

AARON: Isolde ist die Frau, die unerreichbar bleiben muß, genau die richtige für einen Mann, der von ihr getrennt bleiben möchte. Man verliert sie, sobald man sie besitzt. Vergeistigte Liebe ist Heimweh, Sehnsucht nach der Mutterbrust. In der Literatur bleibt sogar der Blick, den die Liebenden austauschen, weniger eine Brücke zwischen zwei Inseln als das Zeichen der Trennung.

ARTHUR: Dreieckskonstellationen führen zu Vergleichen, und der Vergleich führt zur Eifersucht. Wer ist der Stärkere, ich oder der Rivale?

SALOME: Nach der Psychoanalyse ist das Begehren per definitionem dreieckig. Seine Intensität wird durch das Dritte bestimmt. Die Triangulierung allein gibt jedem die Möglichkeit, ein Feld einzunehmen, einen Raum zu schaffen. Das Dritte kann ein Rivale sein, ein Freund, sexuelle Enthaltsamkeit – als Raum für sich allein – oder die Arbeit. Allmählich ersetzt die Arbeitssucht den Männern die Maitresse.

ARTHUR: Oft ist der Rivale nur scheinbar abwesend. Er wird durch einen Spaltungsmechanismus oder durch die Phantasie ersetzt: Die geliebte Person spaltet sich dann in Subjekt und Objekt. Dabei werden die drei Spitzen des Dreiecks wieder hergestellt.

LUCIA: Auch ohne reales Motiv ist es anscheinend üblich, daß sich zwischen zweien immer wieder der Reiz eines dritten Moments einschleicht, das die herkömmliche Beziehung irritiert. Ein Kind kann eine solche Funktion haben, auch Literatur oder Filme. Verhindert wird die Erfüllung alter Prägungen, weil sie sich abgenutzt haben. Der Unterschied ist nur, daß die Prägungen über ihre fingierten Ohnmachten oder angelesenen Vorbilder selbst die Herrschaft haben, während man dies über die Präsenz eines Kindes nicht hat.

JAN: Vielleicht ist zwischen einem Paar, das ein Kind hat, nur etwas gegenständlich geworden, was bei den anderen die gleiche Macht hat. Nur wissen sie es nicht. Sie glauben, sie hätten alles im Griff.

GABRIEL: Seltsam, daß wir von einer Macht sprechen, einem dritten Moment, einem Reiz. Es scheint mir wichtig zu klären, worin dieser Reiz eigentlich besteht.

REBECCA: Je länger ich darüber nachdenke, um so mehr erscheint mir das Dritte als eine Möglichkeit, ein neues Bewußtsein zu erlangen. Oder könnte man vielleicht sagen: überhaupt Bewußtsein zu schaffen? Es muß sich dabei ja nicht um eine reale Dreiecksbeziehung handeln. Aber das Dritte, als Imagination einer Außenperspektive, eines Abseits, eventuell auch einer Fremde wirkt auf mich wie eine Beobachterinstanz, eine Möglichkeit zu Relativierungen innerhalb einer Zweierbeziehung. Teilweise kann ein Kind solche Funktionen übernehmen: Es schaut mich in manchen Konflikten mit so erstaunten Augen an... Wenn ich mir in Konfliktsituationen ein Kind als heimlichen Beobachter vorstelle, offenbart sich mir manche Absurdität einer Auseinandersetzung.

JUDITH: Versuche ich, mich in die Phantasie einer Dreiecksbeziehung hineinzuversetzen, so habe ich den Eindruck, daß sich mir ein Raum öffnet. Darin sehe ich einen Reiz: Allein schon die Phantasie von der Existenz eines Dritten erhöht die möglichen Kräfte innerhalb eines solchen Raumes um ein Vielfaches. Es tauchen Spannungen auf – positiver und negativer Art – Rollenverschiebungen sind möglich, Kräfteverhältnisse müssen neu erprobt, Nähe und Distanz neu bestimmt werden.

CHARLOTTE: Ich kann diesen Aspekt verstehen, doch die ständige Präsenz eines Dritten kann auch eine Bedrohung darstellen. Sicherlich gibt es viele mögliche Ausprägungen, die es annehmen kann. Eine der angsteinflößendsten scheint mir allerdings die scheinbare Allgegenwart von Bildern von Frauen zu sein, die als perfekter, schöner als du gelten. Immer bist du mit der Unerreichbarkeit des Ideals konfrontiert, das hat in keiner Weise eine belebende Wirkung. Es kann zu einem unheimlichen Spuk werden.

GABRIEL: Es gibt Mächte, die die Heimlichkeit zerstören.

ARTHUR: Das hat nichts mit Zerstörung zu tun. Eher ist es eine Art Naturgesetz, daß zwischen zweien ein Drittes auftauchen muß. Mit diesem Dritten entwerfe ich Möglichkeiten, Freiräume, hier siedelt sich meine Imagination an. Dieses Dritte gibt mir die Gelegenheit, mich ab und zu aus der Zweierbeziehung zu entfernen. Das soll keine Bedrohung für meine Partnerin darstellen. Das ist der Raum, den ich für mich beanspruche, und ohne dessen Gewährung ich nicht in der Lage wäre, überhaupt eine Beziehung zu führen. Die Vorstellung, dieses Dritte wäre ausgeschlossen, ist für mich ein Horror. Ich sehe nicht ein, warum es mir verboten sein soll, Bilder von anderen Frauen zu entwerfen, ihnen auch ein bißchen zu huldigen. Ich liebe nun einmal die Schönheit, sie entzündet, inspiriert mich, und was ich liebe, das male ich mir aus.

REBECCA: In einer Beziehung kann noch eine andere Art des Dritten präsent sein. Nicht nur das Phantasieren von unerreichbaren Schönheiten, auch die Vorstellung von der Verkörperung des Verbotenen, des Tabus, ist denkbar. Das 'Banale' des alltäglichen Zusammenlebens wird in dieser Phantasie durchbrochen. Dieser Dritte ist der Rebell in der Fremde, mit dem ein Zusammenleben nicht möglich wäre, zu dem du dich aber immer wieder hingezogen fühlst. Er ist Ausdruck verborgener, ungelebter Wünsche. In dem Bewußtsein, ein Leben hätte auch anders werden können, im Wahrhalten brachliegender Selbstanteile liegt für mich ein großer Reiz. Hier wird die Phantasie vom Dritten Ausdruck eines Mangels, der in Wirklichkeit niemals ausgeführt werden soll. Das ausgemalte Bild hat nichts mit dem realen Zusammenleben zu tun. Darum stellt diese Phantasie keine Bedrohung für den Lebenspartner da.

HECTOR: Auch die Verflossenen können in einer aktuellen Beziehung herumspuken, sogar einen ungeheuren Einfluß ausüben. Im Grenzfall sind sie in der Lage, die aktuelle Beziehung zu zerstören. Nicht nur, daß sich Redensarten, Interpretationsweisen früherer Partner einschmuggeln und breit machen, sondern wie oft muß in einer Partnerschaft das Unerledigte früherer Beziehungen ausgetragen werden! Das geht bis an den Rand des Erträglichen.

SALOME: Früher konnte die Beziehung zum Göttlichen einen Raum schaffen, der über die Zweierbeziehung hinausging. Heute sind es die Verflossenen, das Kind, die Idole und die Mannequins. Oder aber das Dritte fehlt. Viele Beziehungen versuchen sogar, es auszurotten. Das Gesetz würde hier lauten: "Du sollst keine Götter neben mir haben!" Mit dem Konzept von Harmonie und Treue versuchen solche Beziehungen sich abzuschotten. Für mich wäre das tödlich. Nicht nur die Liebe, das Begehren, auch die Möglichkeit des Sprechens, der Auseinandersetzung bedürfen eines Aspekts, der über die Zweisamkeit hinausführt.

REBECCA: Dieser Aspekt hat in meinen Augen nichts mit einem realen 'Fremdgehen' zu tun. Vielmehr kann er etwas Geistiges ansprechen.

ARTHUR: Oder er ist der Inbegriff des Dionysischen, der Vervielfältigung der Lust. Eine Übertretung der Grenze, die das reale Leben auferlegt. Das Treuekonzept ist doch nur ein moralisches Konstrukt, dazu da, gewissen Leidenschaften einen Riegel vorzuschieben und das promiskuitive Leben zu verhindern.

SALOME: Im Grunde schlafen immer vier Personen miteinander: zwei reale Liebende und zwei imaginäre, hervorgegangen aus Einbildungskraft und Begierde.

LUCIA: Vielleicht treffen sich diese beiden Seiten – die geistige und die körperliche – gerade in diesen Phantasien: in der ersehnten Fusion von Körper und Geist. Wir sprechen immer von den zwei Seiten, doch ist gerade dieses Ineinsfallen der Kern unserer Sehnsucht und zugleich nur in der Phantasie angesiedelt.

REBECCA: Mir liegt die geistige Seite dieser Phantasien näher. Die Nähe in einer Zweierbeziehung kann den Blick auf den anderen verstellen. Sein tägliches Schneuzen, sein allmorgendlicher verknitterter Ausdruck im Gesicht, diese ganze Menschlichkeit macht es manchmal schwer, zu erkennen, was darüber hinausgeht. Das ist wie die Verstrickung ins Unentrinnbare des Lebens. Es gibt nur wenige, die die Kraft haben, dieses Verwobensein ins Leben positiv zu verstehen. Manchmal sehnt man sich wieder heraus, will die Entfernung. Ich verstehe diejenigen, die diese Nähe scheuen, die sich nur der Liebe auf Distanz hingeben. Ich glaube, daß ich nur durch die Entfernung eine Poesie der Beziehung zu entwickeln vermag.

CHARLOTTE: Vielleicht halten sich Beziehungen mit Phantasie-Dritten deshalb solange, weil einer die permanente und entzaubernde Nähe verweigert und nie ganz in das gemeinsame Leben eintritt. Die Liebe auf Distanz bleibt als Raum für die Poesie, auch wenn in diesem Raum oft große Einsamkeit und Kälte herrschen.

GABRIEL: Mir gefällt dieser poetische Aspekt. Das Schreiben unzähliger Briefe, die Beschreibungen deiner derzeitigen Lebenslage und deiner Gefühle, geben einer Beziehung eine andere Dimension. Immer wieder erfindet man neue Kosenamen, und du kicherst vor dich hin, wenn du dir ihre Reaktion auf einzelne Passagen in deinem letzten Brief vorstellst. Die täglichen Gänge zum Briefkasten, das fieberhafte Lauschen auf das Klappern des Briefkastendeckels. Wehe, dieses Klappern bleibt einmal aus!

AARON: Das Schöne daran ist, daß die Tage niemals undokumentiert zerrinnen.

SALOME: Das erinnert mich an die Briefe von Kafka an Felice und Milena. Fast in jedem Brief findet man Passagen, in denen er die Geliebte um den nächsten Brief anfleht, in dem Gefühl, ohne diesen nichts mehr in seinem Leben zustande zu bringen. Erst in dem Moment, in dem die Geliebte eine reale Beziehung verlangt, tritt der Rückzug ein. Die Liebe auf Distanz findet stets mit dem Einklagen eines gemeinsamen Lebens von einer Seite ihr Ende: im Rückzug des leidenschaftlichen Briefeschreibers oder im Überdruß des Adressaten.

HECTOR: Können wir nicht konkreter werden? Ich will eine Geschichte aus dem Leben.

AARON: Ich habe einen Freund. Wir kennen uns seit frühester Kindheit. Irgendwann, etwa mit vierzehn, haben wir Truffauts Film gesehen und heißen seitdem heimlich Jules und Jim. Er, der Franzose, ich der Deutsche. Wir haben damals vereinbart, im Leben immer alles zu teilen: "On partagera tout!" Zunächst die Frauen und irgendwann das Bett.

HECTOR: Habt ihr euer Versprechen gehalten?

AARON: Mit einer leichten Variation. Der Seitensprung ging von meiner Freundin aus. Ich habe es verziehen, weil er mein bester Freund war.

ARTHUR: Eine überaus noble Geste.

AARON: Die Beziehung war dadurch nicht beendet. Ich konnte beide verstehen.

HECTOR: Du hast dich in beide hineinversetzt und gedacht, das sei das Beste, was dir geschehen konnte.

AARON: Ich bin nicht verlassen worden. Ich habe beide geliebt, sie und ihn. Daher verstand ich gut, daß auch sie sich lieben. Das Dreieck hatte sich geschlossen. Wunderbar.

SALOME: Da finden wir natürlich die homosexuelle Komponente von Jules und Jim wieder.

GABRIEL: Ich hatte zwei Freunde, die immer wieder die gleichen Frauen begehrten. Früh morgens fuhren sie Brötchen aus, der eine von vier bis sieben, der andere von sieben bis zehn. Um sieben wurde der Platz im Bett getauscht. Die Frau blieb liegen. Im Grunde waren alle Frauen ein Alibi für ihre nicht ausgelebte Homosexualität.

HECTOR: Ich frage mich bloß, warum der Dritte, wenn er nicht gerade der Busenfreund ist, sich auf solch ein Spiel einläßt, obwohl er nicht sicher sein kann, die besseren Karten zu haben. Ich hätte eine furchtbare Angst vor der Niederlage.

GABRIEL: Nicht das Begehren nach dem Objekt der Liebe ist in der Dreiecksbeziehung wesentlich, sondern das Duell mit dem Rivalen.

REBECCA: Ich habe einmal erlebt, wie zwei Männer um eine Frau Schach spielten.

SALOME: In seinem Roman Ich will die Liebe der anderen leben stellt Jean Cayrol die bewegende Kraft einer unerwiderten Liebe dar. Solch eine Liebe kann auch helfen, die Last einer gewöhnlichen Existenz freudiger zu tragen.

REBECCA: Du hast doch selbst mehrere Jahre eine Dreiecksbeziehung gehabt.

SALOME: Ich habe mich nicht in einen anderen verliebt, weil ich unglücklich verheiratet war. Im Gegenteil: Die Liebesbeziehung zu meinem Mann war von außergewöhnlich existentieller Tragweite. Wir waren sehr jung, als wir uns kennengelernt haben. Unzählige Hindernisse standen unserer Liebe im Weg: die Entfernung, die Familie, die Schule, und wir haben sie alle überwunden. Die ersten Jahre nach diesem Leidensweg waren eine Art von Gefühlsrausch, eine Ekstase. Das plötzliche Auftauchen einer neuen Liebe war eher ein Versuch, einer exzessiven Dyade zu entfliehen und einen Bereich für mich zu suchen, in den mein Partner nicht eindringen konnte.

JAN: Oft stirbt die Liebe, weil die Menschen es nicht schaffen, Distanz zu gewinnen und einen Raum für sich zu haben. Der Weg, den du gegangen bist, verlangt einen großen Kraftaufwand.

SALOME: Es war kein reifer Weg. Aber damals konnte und wollte ich nicht anders handeln. Bloß keine Kompromisse schließen! Es wäre für mich der höchste Verrat an unserer Beziehung gewesen.

ARTHUR: Welche Rolle hat der andere Mann in deinem Leben gespielt?

SALOME: Eine sehr bedeutende. Neben meinem Lebensgefährten ist er einer der Menschen, die ich am meisten geliebt habe. Diese Liebe war zwar sehr narzißtisch, eine Geschwisterliebe, eine Verdopplung. Sie war völlig losgelöst von der ersten Beziehung. Er wohnte in einer anderen Stadt, wir sahen uns ungefähr alle zwei Monate, und wir sprachen miteinander Deutsch, nicht Französisch. Er war der erste richtige Einstieg in dieses Land, in diese Sprache, die mir bis dahin fremd geblieben war. Durch die Genese der neuen Wörter habe ich vielleicht die Liebe und den Weg zu anderen Deutschen gefunden. Inzwischen ist mir die tiefe Kluft, die uns trennte, klargeworden. Wegen der Entfernung und der Unmöglichkeit, zu dritt zusammenzuleben, stand die Beziehung jenseits der Realität.

LUCIA: In unserer augenblicklichen Situation wäre eine Nebenbeziehung völlig undenkbar. Ihr hattet Zeit, euch auseinanderzusetzen, ihr wart Studenten. Ich brauche Jan heute als Halt, aber ich sehe ein, daß in der gegenseitigen Präsenz etwas verlorengeht, was man künstlich wieder erzeugen muß.

SALOME: Die Geschichte ist ohne das gesellschaftliche Umfeld der 70er Jahre nicht nachvollziehbar. Sie wurde damals von unseren Freunden anerkannt, es wurde applaudiert, und man unterstützte uns. Trotzdem war es schwierig und schmerzhaft für uns drei.

AARON: Du warst es, die als erste aus der Symbiose ausgebrochen ist. Das Urbild ist aber der Mann, der aus der Beziehung ausbricht.

SALOME: Nicht ausbricht, sondern fremdgeht, und das ist etwas anderes. Trotz aller Nachteile finde ich die offene Beziehung ehrlicher und mutiger als das heimliche Fremdgehen. Mein Großvater verausgabte sich mit Maitressen, während seine Ehefrau zu Hause Selbstverzicht übte. Diese Doppelmoral ist doch einfallslos, fade und armselig.

AARON: Früher bin ich platonisch fremdgegangen. Ich verliebte mich leidenschaftlich in andere Frauen, saß dann aber auf dem Bettrand und sagte: "Nein, ich darf es nicht."

GABRIEL: Ist das Untreue? Wenn man ehrlich ist, muß man mit Retourkutschen rechnen, und davor hat man Angst. Man nimmt dem Partner die Freiheit, adäquat zu reagieren und zu entscheiden. Eine Bekannte hatte eine Affäre, von der sie allen gemeinsamen Freunden unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählte. Der Partner wurde zum Dorfgehörnten, das preisgegebene Geheimnis stellte ihn ins gesellschaftliche Abseits.

AARON: Wer fremdgeht und nichts sagt, hat nicht nur Angst, verlassen zu werden, er läßt auch das eigene Gefühl der Einsamkeit nicht zu, das im Moment eines Geständnisses Wirklichkeit würde. Demjenigen, der zu Hause sitzt und nichts ahnt, wird eine Erfahrung vorenthalten.

LUCIA: Als ich zu zweifeln begann, ob ich eine ausschließliche Liebe zu Jan wollte oder ob es andere Menschen für mich geben könnte, fand ich zunächst keine Antwort. Trotzdem mußte ich es herausfinden.

JAN: Diese Absicherungen verstehe ich nicht. Entweder gehe ich das Risiko ein, daß ich verliere, oder ich lasse es bleiben und ziehe mir einen Keuschheitsgürtel an.

GABRIEL: Ausgeglichene Konten sind für mich extrem wichtig. Als ich erfuhr, daß plötzlich in Dritter im Spiel war, dauerte es nicht lange, und wir waren zu viert.

CHARLOTTE: Das ist eine offensive Überlebensstrategie.

REBECCA: Gleichzeitig käme mir jedoch der Gedanke, daß ich damit einen anderen Menschen nur benutze.

GABRIEL: Ich habe die andere nicht benutzt. Die Beziehung war sehr intensiv und liebevoll. Außerdem hatte sie selbst auch einen Freund.

HECTOR: Eine andere Liebe nebenbei zu leben, ist für mich nicht auszudenken.

GABRIEL: Diese Zeit habe ich nicht bereut.

SALOME: Ich möchte sie auch nicht missen. Noch heute bin ich mit dem anderen Mann befreundet, unsere Liebe wurde vor langen Jahren platonisch.

GABRIEL: Dazu würden Jules und Jim vermutlich sagen: Treue ist Faulheit. Können die Menschen überhaupt zu zweit sein?

ARTHUR: Zwei Menschen auf einer Insel sind nicht lebensfähig. Damit assoziierte ich immer nur die folie deux.

LUCIA: Endlich sind wir bei der folie angelangt. Der Versuch, den Irrsinn der Liebe so lange als nur irgend möglich auszuleben! Das schönste mir bekannte Beispiel dafür ist die Geschichte eines verliebten Pärchens, das sich über Monate unter der Vorspiegelung, Mitglied einer reichen aristokratischen Familie zu sein, ein Leben in Saus und Braus bereitet hat. Der bekannte Namen, der mit Adel und Reichtum assoziiert wurde, genügte, eine Villa über Monate ohne Mietzahlung zu nehmen, sich einen Rolls Royce vor die Tür stellen zu lassen, die Wohnung mit Perserteppichen auszulegen und sich die köstlichsten Abendessen ins Haus bringen zu lassen. Erst nach Monaten ist der Betrug aufgedeckt worden. Sicherlich wußten sie, daß es auf Dauer auffliegen würde, aber sie haben sich darum nicht geschert. Sie haben für kurze Zeit ihre Liebe in einem herrlichen Irrsinn gestaltet. Wäre ich Richter gewesen, hätte ich sie freigesprochen!

ARTHUR: Du scheinst eine sehr positive Auffassung von der folie deux zu haben. Für mich ist das eher die Verwirklichung eines Alptraums. Hier wird nun tatsächlich das dritte Moment ausgeschlossen, und gerade aufgrund dieses Ausschlusses kann sich der Wahnsinn einnisten.

GABRIEL: In welcher Form?

ARTHUR: Oh, die Ausformungen dieses Wahnsinns sind so vielfältig, wie es die menschliche Psyche nur sein kann. Entscheidend für mich ist, daß so scheinbar harmlose Vorstellungen von Harmonie im Terror enden.

GABRIEL: Auch die Eifersucht kann zu einer folie deux führen.

REBECCA: Ich will aber noch ein wenig bei der positiven folie deux bleiben. Ich stelle sie mir als ein zeitweises gemeinsames Leben in einer der Realität entrückten Welt vor. Sicherlich kann diese Entrückung zu einem Psychothriller werden, aber ebenso kann sich das Leben so gestalten, als trete man in einen Roman ein. Ich glaube, es war Simone de Beauvoir, die gesagt hat, sie versuche sich jeden Moment ihres Lebens als Teil eines Romans vorzustellen und es auch in dieser Weise zu gestalten. Bei der folie deux fehlt dieses bewußte Element – deshalb liegt der Wahn so nah – aber manchmal entführt sie dich mit Haut und Haar in die Fiktion. Auf einmal fragst du dich, ob das Traum oder Wirklichkeit ist. Aber solche Momente sind kurz. Im Grunde lebt man in einem ständigen leisen Déja-vu-Gefühl, man weiß, daß es ein Wiedersehen ist, aber man weiß nicht, womit. Das hat etwas mit Glück zu tun.

SALOME: Du vergißt die folie deux als Einverleibung, als ein Höllenspiel in einer gefährlichen Unwirklichkeit, als gegenseitiges Verzehren, sich auszehren. Vor allem symbiotische Beziehungen laufen Gefahr, in einen negativen Irrsinn abzugleiten. Ich möchte Euch eine kurze Passage von Unica Zürn vorlesen: "Norma empfindet ihre Einverleibung durch Flavius wie ein Entweichen ihres Knochenmarks, wie das Verströmen ihrer Adern und das Schwinden ihrer Sinne. Flavius löst zuerst das Weiche aus Norma: ihre Angst, ihre Zutraulichkeit, ihre Zärtlichkeit, ihre Schlafsucht, ihre Mütterlichkeit, ihre Kindlichkeit, ihre Spaßhaftigkeit, ihre Traurigkeit, ihr Lächeln, ihre Tränen und das Innere ihrer Arme. Alle diese schwarzen, süßen Schlucke schluckt er mit zunehmendem Durst herunter. In ihrem Haus gerät Norma in ihren einsamsten Zustand: sie wird von sich selbst verlassen und der Trinker bleibt unempfindlich gegen ihre Versuche, sich vor ihm zu bewahren." Hier drückt sich ein Aspekt heillos verzwickter Zweierbeziehungen aus, und in gewisser Weise besteht auch hier eine folie deux, beide Seiten sind an diesem grausamen Szenario beteiligt.

HECTOR: Aber – um an Rebecca anzuknüpfen – mir kommt noch eine weitere, anscheinend höchst seltene Variante der Beziehung in den Sinn: die glückliche.

AARON: Was? Du glaubst, daß es das gibt?

ARTHUR: Bist du von allen guten Geistern verlassen?

LUCIA: Wen meinst du jetzt?

GABRIEL: Darüber sprechen wir nach dem Ende des Buches.